Miss Sara Sampson. Gotthold Ephraim Lessing

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Miss Sara Sampson - Gotthold Ephraim Lessing


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Was hätte ich Ihnen für Vorwürfe zu machen, Mellefont? Keine.

      MELLEFONT.

      So hätten Sie, sollt’ ich meinen, Ihren Weg ersparen können.

      MARWOOD.

      Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in eben dem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet, verdient diese Vorwürfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darüber scherzen.

      MELLEFONT.

      Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es jemals an allen unsern Liebeshändeln gehabt hat, auf die ich itzt nicht ohne Abscheu zurücksehen kann.

      MARWOOD.

      Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Närrchen. Es lässt sich alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfällt. Glauben Sie mir doch, ich kenne es besser, als Sie. Wenn es nicht das beste, das getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel Mühe geben, es zu behalten?

      [26]MELLEFONT.

      Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich Ihnen.

      MARWOOD.

      Und ich sage Ihnen; ich besitze es im Grunde noch.

      MELLEFONT.

      Marwood, wenn ich wüsste, dass Sie auch nur noch einen Faser davon besäßen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus meinem Leibe reißen.

      MARWOOD.

      Sie würden sehen, dass Sie meines zugleich herausrissen. Und dann, dann würden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben.

      MELLEFONT

      (beiseite). Was für eine Schlange! Hier wird das Beste sein, zu fliehen. – Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es nur ohne dieses Lächeln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine ganze Hölle von Verführung schreckt.

      MARWOOD

      (vertraulich). Höre nur, mein lieber Mellefont; ich merke wohl, wie es itzt mit dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack sind itzt deine Tyrannen. Lass es gut sein; man muss sie austoben lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am sichersten eingeschläfert, und endlich gar überwunden, wenn man ihnen freies Feld lässt. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir nachsagen, kleiner Flattergeist, dass ich jemals eifersüchtig gewesen wäre, wenn stärkere Reize, als die meinigen, dich mir auf eine Zeitlang abspenstig machten? Ich gönnte dir ja allezeit diese Veränderung, bei der ich immer mehr gewann, als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer, mit neuer Inbrunst in meine Arme zurück, in die ich dich nur als in leichte Bande, und nie als in schwere Fesseln schloss. Bin ich nicht oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu vertrauen hattest, als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um sie gegen andre zu verschwenden? [27]Warum glaubst du denn, dass ich itzt einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen würde, zu welchem ich nun eben berechtiget zu sein aufhöre, oder – vielleicht schon aufgehört habe? Wenn deine Hitze gegen das schöne Landmädchen noch nicht verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen sie bist; wenn du ihren Genuss noch nicht entbehren kannst: wer hindert dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest? Musst du deswegen so unbesonnene Anschläge machen, und mit ihr aus dem Reiche fliehen wollen?

      MELLEFONT.

      Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemäß, dessen Hässlichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich, in dem Umgange mit einer tugendhaften Freundin, die Liebe von der Wollust unterscheiden gelernt.

      MARWOOD.

      Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen müsst doch selbst nicht wissen, was ihr wollt. Bald sind es die schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend reden, und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das Schlimmste aber ist, dass ihr das eine sowohl als das andre überdrüssig werdet. Wir mögen närrisch oder vernünftig, weltlich oder geistlich gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch beständig zu machen, einmal wie das andre. Du wirst an deine schöne Heilige die Reihe Zeit genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Überschlag machen? Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr: und diesem geb ich noch zwei, aufs längste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich geruhige Liebe folgen: der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du dich daran erinnern lassen: und wann du dieses [28]Erinnern satt hast, so wirst du dich zu der äußersten Gleichgültigkeit so schnell gebracht sehen, dass ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veränderung rechnen darf – Das wäre nun ungefähr ein Monat. Und diesen Monat, Mellefont, will ich dir noch mit dem größten Vergnügen nachsehen; nur wirst du erlauben, dass ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf.

      MELLEFONT.

      Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein. Ein tugendhafter Entschluss sichert mich gegen Ihre Zärtlichkeit und gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht länger aussetzen. Ich gehe, und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als dass Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen lassen.

      MARWOOD.

      Gut, dass Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von wem hatten Sie ihn schreiben lassen?

      MELLEFONT.

      Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben?

      MARWOOD.

      Unmöglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir, ich weiß nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen verschwendet haben, musste ein Gastwirt, sowie den übrigen theologischen Rest ein Quäker geschrieben haben. Dem ungeachtet will ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt anbelangt, so wissen Sie wohl, dass alle die Geschenke, welche Sie mir gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen, nie als mein Eigentum angesehen, und itzt alles mitgebracht, um es wieder in diejenigen Hände zu liefern, die mir es anvertrauet hatten.

      MELLEFONT.

      Behalten Sie alles, Marwood.

      MARWOOD.

      Ich will nichts davon behalten. Was hätte ich [29]ohne Ihre Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, und mich für keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne meine Bekanntschaft geblieben wären; und vielleicht auch nicht.

      MELLEFONT.

      Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet itzt aus Ihnen? Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht.

      MARWOOD.

      Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts, als billig. Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, dass Sie mir diese Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen andern Sinn als diesen haben könnte: »Marwood, ich hielt Euch für eine niederträchtige Betriegerin; ich bedanke mich, dass Ihr es wenigstens gegen mich nicht sein wollt.«

      MELLEFONT.

      Genug, Madame, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern in einen Streit von Großmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am ungernsten unterliegen möchte.

      MARWOOD.

      Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr Andenken bei


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