Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 40/41. Hanno Plass

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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 40/41 - Hanno Plass


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humana gelegenen Konflikts ist Folge einer Beschämung, die das Eingeständnis eigener Schwäche verbietet. Damit sind wir beim ›Ideal der Härte‹, von dem Adorno gesprochen hat. Es geht eine Verbindung mit dem Gefühl des Ekels ein, welches nicht vor dem dritten Lebensjahr aufzutreten scheint, während der von Freud so bezeichneten analen Phase: »In disgust […] we reject as contaminating those things – feces, other bodily waste products, and the corpse – that are the evidence of our own animality and mortality, and thus for our helplessness in important matters.«44 Dieser Ekel lässt sich dann auf andere projizieren »as contaminating or defiling, turning them into an underclass.«45 Die pathische Projektion findet also auch bei Nussbaum die ihr gebührende Aufmerksamkeit, ohne dass sie freilich deren weltanschaulichen Charakter und seine aggressive Verfolgungssucht berücksichtigt.

      Leider sind die Äußerungen Nussbaums zur Sozialpsychologie nicht ganz konsistent. Es erheben sich drei Einwände. Erstens fürchte ich, dass der Nachdruck, den Nussbaum auf die Beschämung legt, wichtige Aspekte der frühkindlichen Erziehung außer Acht lässt. Wo ist die Feindseligkeit, die das elterliche Verhalten hervorrufen kann oder muss, und die es womöglich selbst schon an den Tag legt? Der Mechanismus der Projektion negativer Eigenschaften auf out-groups muss ein Rätsel bleiben, wenn man nicht auf die Verdrängung von Feindseligkeit Bezug nehmen kann.

      Der zweite Einwand lautet: Wenn Nussbaum sich mit der Psychologie der frühen Kindheit beschäftigt, rechnet sie durchaus mit dauerhaften Persönlichkeitsstrukturen.46 Aber im Hinblick auf die bekannten Experimente von Milgram und Zimbardo gelangt sie zu dem Ergebnis, dass »bad behavior is not just the result of a diseased individual upbringing or a diseased society. It is a possibility for apparently decent people, under certain circumstances.«47 Diese, wahrscheinlich auf Erich Fromm und die Autoritarismus-Studie von Adorno u. a. anspielende These wirft die Frage auf: Wie lässt sich der bemerkenswerte Anteil derer erklären, die sich in den Experimenten durch die Umstände nicht zum bad behavior haben verleiten lassen?48 Es gibt keine automatische Relation von Umständen und menschlichem Verhalten. Statt die Verführbarkeit der menschlichen Natur im Allgemeinen zu beklagen, wäre es notwendig, die in der Persönlichkeit verankerten Faktoren zu identifizieren, die das Nichtmitmachen ermöglichen und die Fähigkeit zum Nein-Sagen stärken.

      Mein dritter Einwand lautet: Obwohl Nussbaum anmerkt, dass »particular social and political structures make a big difference to the outcome [der frühkindlichen Krisen, H.E.S.]«49, scheint sie doch in derselben Psychologismusfalle zu stecken, die schon Freud tiefere Einsichten verwehrt hat. Die Institutionen scheinen einen psychologischen Ursprung zu haben: »the narcissistic child’s original desire to turn parents into slaves finds fulfillment – by the creation of a social hierarchy.«50 Adorno hatte Freuds Anspruch, Soziologie sei nichts als angewandte Psychologie, als verfehlt zurückgewiesen.51 Die familiären Verhältnisse, in denen sich die psychologischen Antriebe ausbilden, prägen zweifellos die Art, in der auch die Erwachsenen fühlen und handeln, aber sie erklären nicht die gesellschaftlichen Kategorien wie Eigentum, Tausch und Produktionsverhältnis, Herrschaft oder Staat, die ihnen selbst vorausgesetzt sind. Pointiert gesagt: Wenn der Ekel die ekelerregenden Eigenschaften auf eine bestimmte Gruppe projiziert, so ist deren Existenz als niedere Klasse nicht das Ergebnis der Projektion, sondern deren Voraussetzung. Sklaverei und Kolonialherrschaft erzeugen Rassismus, nicht umgekehrt. Wenn Arbeiter auf den Partys der Aktionäre eine Seltenheit sind, so ist nicht die Exklusion das Problem, sondern dass es Arbeiter und Aktionäre gibt. Vorurteile gegen Sinti und Roma sind nicht die Ursache dafür, dass sie in vielen europäischen Ländern am Rand der Gesellschaft leben, sondern weil dem so ist, eignen sie sich als Objekt der Projektionen. Natürlich müssen wir auch mit der Macht der Tradition rechnen, die eine Minderheit, wie die Juden in Deutschland, zum Objekt des projektiven Verfolgungswahns designierte, obwohl sie weitgehend assimiliert war. Und natürlich haben wir auch mit der Macht des Konformismus und dem nackten Geschäftsinteresse zu rechnen.

      Es ist ein empfindlicher Mangel in Nussbaums so instruktiven Erörterungen von Narzissmus, Scham und Ekel, dass sie ökonomische Kategorien wie Eigentum und Konkurrenz übergeht. Das ›Ideal der Härte‹ hat militärische Konnotationen, aber es ist sicher auch eines der Ökonomie. Um die ökonomischen Verhältnisse illusionslos in den Blick zu bekommen, bedarf es einer Distanzierung, die nur die Utopie, der Blick vom Nirgendwo aus, ermöglichen kann. Der Mangel analytischer Schärfe ist auch ein Mangel an Utopie. Im IX. Buch von Platons Politeia resümiert Glaukon, dass der Staat, den sie entworfen haben, auf Erden nirgendwo (oudamou) zu finden sei. Dennoch ist der Entwurf, wie Sokrates sagt, verbindlich. Offensichtlich ist dies die Stelle, auf die sich Morus bei seiner Wortschöpfung »Utopie« (Nichtort) bezieht. Als der fiktive Erzähler Raphael sich der Skepsis gegenüber sieht, ob das gesellschaftliche Unrecht, die Scheidung in Arm und Reich, sich je werde ändern lassen, leitet er zu seiner Erzählung mit den Worten über: »Es wundert mich nicht, dass du so denkst; du kannst dir ja kein Bild machen oder nur ein falsches.«52 Heute sind die Bilder verbraucht und Konstruktionen wie die Platons müssen sich der Kritik stellen, elitär zu sein und dem modernen Freiheitserfordernis der Utopie nicht gerecht zu werden. Tatsächlich scheint der »Verein freier Menschen«53 die beste Formulierung, durch welche die Utopie heute charakterisiert werden kann. Sie zieht zur Erläuterung weitere Begriffsbestimmungen herbei wie Gleichheit (als Abschaffung der Klassen), Würde und Selbstverwirklichung. Die so bezeichnete Utopie bedarf der historischen Konkretisierung in emanzipatorischer Praxis. Adorno war der Auffassung, dass eine solche Praxis bis auf weiteres nicht möglich sei. Umso wichtiger scheint es, sich der utopischen Hoffnungen der Vergangenheit zu versichern und zu sehen, dass Bildung, in einem sehr umfassenden Sinn, nicht nur ein integraler Bestandteil der Utopie ist, sondern auch von sich aus eine utopische Dimension enthält.

      Thomas Jung

       »… über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen« 1

      Konstellationsbildung durch Begriffstranszendenz?

       Sprachphilosophische Überlegungen zu einem Motiv

       Theodor W. Adornos

      »Jeder Begriff besitzt Komponenten und definiert sich durch sie […]. Er ist eine Mannigfaltigkeit, wenngleich nicht jede Mannigfaltigkeit begrifflich ist.«

      Gilles Deleuze und Félix Guattari

      1. Updating: Theodor W. Adorno

      Bis zum Modischen sind die Schriften Adornos zwischen den 1960er und 1980er Jahren aktuell gewesen. In der Erinnerung an seine philosophischen Texte wird aber klar, was vergangen, was heute kaum mehr als philosophische Diktion salonfähig ist: die immense Verführungskraft der adornitischen Sprache, ihre unnachahmliche Expressivität im Ausdruck sowie die Konstruktion kontrapunktischer Satzgebilde, in denen negativdialektisches Denken zur Darstellung kommt. Was den Expressionismus des Stils betrifft, kann nur noch Nietzsches Zarathustra mithalten. An die Ausdruckskraft Adornos reicht die heutige Philosophensprache nicht mehr heran; Anschlussfähigkeit an standardisierte Diskurse ist der intellektuelle Leitwert geworden. In den gegenwärtigen Philosophiedebatten haben die Schriften Adornos nur noch marginale Präsenz, allenfalls werden sie als Rückblicke auf eine Kritiktradition behandelt, die mit dem Namen ›Kritische Theorie‹ verbunden ist und ihre generationsspezifische Resonanz hatte. Die Marginalität hat auch damit zu tun, dass eine radikale, eminent gesellschaftsbezogene Kritik nur noch mit spitzen Fingern berührt wird. Kritik, die geschichtliche und gesellschaftskonstitutive Inhalte im Spiegel einer Zerfallslogik thematisiert, ist nicht mehr en vogue. Sie wäre anrüchig, geradezu konsensstörend – weil eben zu intransigent im Denken. Radikale Kritik im Denkgestus Adornos findet in der Konjunktur des Anerkennungsdenkens, die Kritik versöhnlich hält, keinen Platz mehr. Diese Kritik ist weit von dem entfernt, was die Schriften Adornos leitmotivisch ausmachte: der unversöhnliche Anspruch auf ›rettende Kritik‹2.

      Rekurriert man auf den ›frame of reference‹ der gegenwärtigen Philosophiediskurse, so muss festgestellt werden, dass die Philosophie Adornos »unterdessen [von] einer Furie des Verschwindens«3 heimgesucht worden ist. Abgelöst wurde sie durch unterschiedliche Konzepte, die sich heute als philosophischer Mainstream darstellen. Diese Konzepte sind im Einzelnen:

      Zum


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