Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 40/41. Hanno Plass
Читать онлайн книгу.bildet, wird das Nichtidentische konstitutives Moment einer Dialektik von Identität; so das hegelsche Diktum: »Wahrhaft ist ohne Nichtidentisches keine Identität«36. Die Dialektik – so Adorno – »trägt die Dialektik des Nichtidentischen nicht aus«; Hegel »eilt darüber […] hinweg«, weil »sein eigener Begriff des Nichtidentischen bei ihm Vehikel« wird, »es zum Identischen, zur Sichselbstgleichheit zu machen«37. Indem das Nichtidentische in seiner dialektischen Verwiesenheit zum Identitätsmoment im identifizierenden Begriff aufgehoben wird, verliert es, was ihm zukommt: seine Unbestimmtheit, seine Bestimmungslosigkeit. Hegel hat zwar die Dialektik von Identität und Nichtidentität entfaltet, jedoch alles Nichtidentische in die Totalität des Identischen zurückgesetzt: eben weil das »Totale bei ihm doch den ontologischen Vorrang an sich reißt. Dazu hilft die Erhebung der Vermitteltheit des Nichtidentischen zu dessen absolut begrifflichem Sein«38. Die Konsequenz ist die begriffliche Zurüstung alles Wirklichen, ist der Denkzwang durch identifizierende Allgemeinbegriffe, »alles qualitativ Verschiedene«39 einzuebnen. Dem anfänglich Widersprüchlichen, Gegensätzlichen, das zwischen dem begrifflichen Denken und den Gegenständen bzw. den Sachverhalten der Welt besteht, wird durch eine Identitätsdialektik der Stachel gezogen. Erst wenn die Dialektik nicht mehr »im Bann des Gesetzes, das auch das Nichtidentische affiziert« steht, wenn sie vielmehr »die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom Allgemeinen entfaltet«, dann »gäbe [diese] das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte«40. Im kritischen Durchgang durch die Dialektikkonzeption Hegels gewinnt Adorno die Gestalt der Negativen Dialektik, weil in ihr der Begriff des Nichtidentischen zum Angelpunkt wird für den »Nachweis der Insuffizienz einer begrifflichen Bestimmung angesichts des von ihr erfaßten Gegenstandes«41. Zugleich wird das Nichtidentische zum Platzhalter für das Inkommensurable, den unbegrifflichen Rest, der durch die hegelsche »Logik der Denkbestimmungen« ausradiert wird; letztlich »um sie den Sachen überzustülpen«42. Da die hegelsche Begriffslogik die Erkenntnis als begriffliche Fixierung des Realen, des Objektiven, versteht, muss die Programmatik der Kritik der Negativen Dialektik ihre identitätslogische Entsprechung aufbrechen. Nicht, um fälschlicherweise zur reinen Anschauung, zur konkreten Unmittelbarkeit, zurückzukehren, sondern um das Bewusstsein von Nichtidentität, die als referentieller Schatten jeder Begriffsbildung wirkt, in Begriffen gegen den Begriff selbst auszuspielen. Mit der Umwidmung der Begriffsdialektik von Hegel zu einer negativen Dialektik des Begriffs bewegt Adorno sich im kritischen Fahrwasser dessen, was er an der hegelschen Konzeption gewinnt: dass die Negation der Negation nicht zugunsten seiner Positivität gedacht werden muss, sondern als prinzipielle Differenz, die die »absolute Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität«43 sprengt. Die Rettung des einzelnen Seienden vor seiner ontologischen Einebnung ins umfassende Seinsgeschick oder seine Glättung durch die Aufhebung seiner Negationskraft qua identifizierenden Begriffs sind die Einsprüche, die Adorno gegen Heidegger und vor allem gegen Hegel formuliert. Dass er dabei nicht beim Gegenstand ansetzt, sondern bei dem Begriff, der diesen zu erfassen sucht, ist der argumentative Ausgang seines kritischen Durchgangs durch die beiden philosophischen Referenztheorien.
Will man einen zentralen Argumentationstopos der Negativen Dialektik herausstellen, um die Idee der konstellativen Begriffsbildung zu verhandeln, so ist es der Doppelaspekt, den Adorno am Begriff festmacht: Einerseits die Begriffskritik als Destruktion der Falschheit der Begriffsfunktion, ihrer Logik der Identitätsstiftung, andererseits dasjenige, was durch diese Logik wegfällt, weggeschnitten wird: das ›Mehr‹ am Begriff, das nur in einer Transzendierung seiner selbst zu begründen ist. Man kann diesen Doppelaspekt des Begriffs auch als Paradoxon seiner Bestimmung auffassen, und dann ergibt sich, was der Titel dieser Abhandlung programmatisch verspricht: »die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen«44. Wie aber ist diese Transzendierung mit und durch den Begriff zu leisten, ohne in einer Aporie erkenntnistheoretischer Art stecken zu bleiben? Meines Erachtens nur, indem man dieses begriffliche Transzendieren sprachtheoretisch entfaltet; nicht aber, wie Adorno meinte, durch eine erkenntnistheoretische und seinstheoretische Kritik allein.45
4. Die Lesarten des Nichtidentischen
Das Nichtidentische, der durch keine positive Vermittlung zu identifizierende Rest des Seienden, ist in den Werkinterpretationen der Negativen Dialektik in verschiedener Weise interpretiert, gekennzeichnet bzw. in seiner begrifflichen Aporetik verhandelt worden. Meines Erachtens lassen sich vier Lesarten auseinanderhalten, die jeweils eine andere Interpretation des Begriffs des Nichtidentischen vorlegen.
Erstens gibt es Reinterpretationen, die mehr oder weniger begriffliche Analogisierungen vornehmen, indem das Nichtidentische anhand der vorgegebenen Terminologie Adornos begrifflich variiert wird. Danach ist das Nichtidentische das Begriffslose, das Partikulare, das Besondere, das Individuelle, das Qualitative am Objekt, das unmittelbar Gegebene, das Andere, das Unentstellte, das Gewordene usw. Alle diese Termini kreisen zwar um einen identischen Bedeutungsgehalt, bringen aber außer einem Bündel lexikalischer Differenzen keine befriedigende Erklärung. Im Grunde können keine divergenten Merkmale des Begriffs des Nichtidentischen ausgemacht werden, sondern nur synonyme Bedeutungsüberschneidungen. Die Konsequenz solcher Unmöglichkeit, das Nichtidentische zu erklären, führt dann dazu, es als methodologischen Grenzbegriff auszuweisen, wobei dieser nur zu einer besonderen Erkenntnishaltung gegenüber den Objekten des Denkens verpflichtet ist: »Nichtidentisches wird nicht als das der Sache Anderes wahrgenommen, sondern bezeichnet einen anderen Blick auf die Sache; den, der sich ins Detail versenkt, sich des Besonderen, Individuellen in ihr annimmt«46. Gleiches gilt, wenn man für die Erfahrung des Nichtidentischen eine besondere epistemologische Einstellung einfordert: diejenige, die »gegenüber dem Objekt eine größere Aufmerksamkeit intellektuell aufbringt«47. Alle diese Versuche sind Verlegenheitsversuche, die die begriffskritische Reflexion der Negativen Dialektik entschärfen.
Zweitens wird aus einer genetischen bzw. genealogischen Perspektive, letzteres unter Berufung auf die Leibphilosophie Nietzsches, die Adorno in die Negative Dialektik hat einfließen lassen,48 das Nichtidentische als sinnlich-somatisches Moment bezeichnet. Dieses Moment ist – so die Vorstellung – gleichsam unterschwellig, besser noch: subkutan im Begriff aufgespeichert. Unterhalb der abstraktiven Leistung des Begriffs ruhen Leib- bzw. Empfindungserfahrungen, die in die Begriffsbildung konstitutiv eingeflossen sind, aber im fixierenden, abstraktiven Begriff nicht mehr offen präsentierbar sind. Die genuine Unsinnlichkeit des Begriffs vermag die sinnlichen Qualitäten der Erfahrungsobjekte nicht direkt auszudrücken, allenfalls indirekt. Als Erfahrungsrudiment »schwingt […] die subjektive Empfindung im gewählten Begriff noch mit«, weil »der Gegenstand« dem »Subjekt eine affektive Reaktion aufzwingt«, wenn er »in der engsten Fühlung erlebt wird«49. Die These ist also, dass allein in der expressiven Schicht der Sprache die ursprünglich affektive Reaktion noch zu detektieren ist. Dies mag im Vermögen des sprachlichen Ausdrucks, seiner expressiven Natur, insbesondere dort, wo sie keine epistemologische Funktion, sondern nur poetische Darstellungswirkung haben soll, noch angehen – aber auch im philosophischen Begriff?
Zudem gibt es einen sprachtheoretischen Einwand. Zwar stehen erkennende Subjekte in einem sinnlichen Verhältnis zur Objektwelt; die Umformung zur Objekterkenntnis, zu deren begrifflicher Erschließung, ist jedoch nur im Medium der Sprache möglich. Die Restitution eines subjektiven Empfindungsvermögens in die Welterschließungsfunktion der Sprache bedeutet nichts anderes als ein Repräsentationsdenken, das die sinnliche Erfahrung durch die Begriffssprache – wenn auch hintergründig – abbildbar machen soll. Außerdem: Wenn Adorno das Nichtidentische auch als das Intentionslose bezeichnet hat, so beruht jede sprachliche Ausdrucksgestaltung von Empfindungen letztlich auf intentionalen Akten, die wiederum nur Bewusstseinsintentionen eines Subjekts sein können. Die argumentative Rückführung des Nichtidentischen auf sinnlich-somatische Erlebnisqualitäten kappt eine zentrale Pointe der negativ-dialektischen Kritik am Begriff: dass das Nichtidentische sich nur negativ bestimmen lässt und nicht in der Ausspielung des Sinnlichen gegen das Begriffliche. Der gewählte Umweg über die Reklamation eines subjektiven Empfindens, das vorrangig in die Begriffsbildung eingeht, unterschlägt dessen sprachtheoretische Klärung. Der Weg orientiert sich bei der Genese der Begriffsbildung immer noch kantianisch an der Synthese von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit. Letztlich ist fragend anzumerken: Hat Adorno den Ausdruck ›Empfindung‹ nicht für alles