Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr. Albrecht Gralle

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Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr - Albrecht Gralle


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      Ich war mir ziemlich sicher, dass Opa Elias das Lächeln Nummer sechs aufgesetzt hatte, immerhin besser als Nummer drei. Jedenfalls fragte ich Opa, nachdem sein Lächeln Nummer sechs vorbei war: „Hast du Anna auch schon abgeholt?“

      „Nein, die ist selbst gekommen, und da kam ich auf die Idee, dich abzuholen. Steig ein, Enkel!“

      Ich stieg ein und nahm mir vor, aufzupassen.

      Er fuhr an, und wir schwiegen. Bei einer roten Ampel kratzte sich Opa am Kinn und sagte beiläufig: „Ach, da fällt mir ein … Wer ist eigentlich diese Frau, die neben euch wohnt? Ich hab sie heute Morgen zufällig gesehen.“

      „Rechts oder links von uns?“

      „Wenn man vor eurer Haustür steht, rechts.“

      „Ach so, das ist Frau Mergenthaler.“

      „Und die … also die lebt mit ihrem Mann ganz allein in dem großen Haus?“

      „Nee, die ist ganz allein. Ihr Mann ist vor einem Jahr gestorben, glaub ich. Ab und zu kommt ihre Tochter vorbei. Mama meinte, sie ist letzte Woche fünfundsiebzig geworden.

      „Aha. Fünfundsiebzig“, murmelte Opa, „sieht aber aus wie sechzig.“

      „Sechzig ist aber auch schon ziemlich alt“, sagte ich.

      „Nicht für mich.“

      Na ja, wenn man so alt wie Opa ist, dachte ich, dann kommen einem sechzigjährige Frauen wahrscheinlich wie junges Gemüse vor. Ich wartete darauf, dass noch irgendetwas kommen würde, aber es kam nichts. Opa war nur höflich und wollte sich nach einer alten Frau erkundigen.

      Als wir zu Hause ankamen, war meine Mutter ganz gut gelaunt, weil Opa mich von der Schule abgeholt hatte. Sie dachte wohl, dass es lauter Freundlichkeit gewesen war, aber ich konnte das Lächeln Nummer sechs nicht ganz vergessen, das plötzlich verschwunden war, als ich zu ihm ins Auto gestiegen war, so als ob er es ins Handschuhfach gelegt hätte.

       4

      Zufällig sah ich nachmittags, als ich meine Hausaufgaben machte, wie Opa, der etwas in der Hand hielt, zu dem Nachbarhaus hinüberging und bei Frau Mergenthaler klingelte. Er hatte seine ausgebeulte Strickjacke ausgezogen und ein Jackett an. Ich sah, wie unsere Nachbarin aufmachte und wie Opa ihr eine Schachtel überreichte, die wie ein Geschenk aussah.

      Komisch, dachte ich, Frau Mergenthaler hatte doch letzte Woche schon Geburtstag gehabt. Ganz schön nett von Opa, ihr zu gratulieren. Vielleicht war Opa doch gar nicht so schlimm, wie wir alle dachten.

      Als wir gegen sechs Abendbrot aßen, wir waren tatsächlich alle einmal anwesend, was nicht jeden Tag vorkam, fehlte Opa. Zehn Minuten später klingelte er und setzte sich gut gelaunt an den Tisch.

      Meine Mutter blickte ihn kritisch an, weil er dieses Jackett trug, und mir fiel auf, dass er irgendwie nach Zitronen roch.

      „Warst du auf einer Veranstaltung?“, fragte sie.

      „Auf einer Veranstaltung?“, sagte er stirnrunzelnd. „Wie kommst du denn darauf?“

      „Na ja, dein Outfit. Du hast dich so … zurechtgemacht …“

      „Auch in meinem Alter sollte man auf sein Äußeres achten.“

      „Opa war bei Frau Mergenthaler“, platzte Anna heraus. Sie hatte ihn wohl auch gesehen. Ich hatte mich zurückgehalten, weil ich mir nicht sicher war, ob es Opa recht war, dass wir von seinem Besuch wussten.

      „Bei Frau Mergenthaler?“, wunderte sich meine Mutter.

      „Meine Güte, du tust geradeso, als ob es ein Weltwunder ist, wenn man mal die neuen Nachbarn begrüßt. Es ist doch einfach höflich, sich da mal vorzustellen. Ich bin schließlich nicht asozial!“

      „Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, sagte sie.

      „Im Übrigen hat sich Charl… Frau Mergenthaler ganz gut gehalten mit ihren fünfundsiebzig Jahren. Sieht aus wie sechzig.“

      „Du bist ja gut informiert.“

      „Na ja, sie hat erzählt, dass sie Geburtstag hatte, und da fragt man mal nach.“

      Meine Mutter verstummte und war mit dem Essen beschäftigt. Als wir fertig gegessen hatten und in unsere Zimmer verschwanden, blieb ich noch kurz hinter der Küchentür stehen und hörte, wie meine Mutter sagte: „Du hast doch nicht etwa die Absicht, Frau Mergenthaler den Hof zu machen?“

      „Was soll das heißen? Willst du mir verbieten, dass ich Frauen kennenlerne? Übrigens hat sie eine tadellose Figur!“

      „Ich möchte nicht, dass Charlotte sich falsche Hoffnungen macht. Du weißt ja vermutlich, dass ihr Mann vor einem Jahr gestorben ist, und da ist man natürlich empfänglich für nette Worte und so weiter …“

      Ich hörte, wie Opa auf den Tisch haute. „Das wird ja immer besser!“, polterte er.

      Meine Mutter: „Nicht so laut, Papa!“

      Opa: „Meine eigene Tochter will mir den Umgang mit tollen Frauen verbieten. Unglaublich! Was wäre denn dabei, wenn ich mich mit Charlotte befreunde?“

      „Ach, ihr nennt euch auch schon beim Vornamen! Das ging ja schnell!“

      „In meinem Alter macht man nicht viele Umwege, um zum Ziel zu kommen.“

      „Und wie heißt dein Ziel?“

      „Ich fange eine Beziehung mit einer netten Frau an, die einsam ist und sehr … anregend. Und wenn alles gut läuft, werde ich auch mit ihr Sex haben, wenn es das ist, was du befürchtest!“

      Ich spürte förmlich, wie meiner Mutter die Worte fehlten. Es blieb ein paar Sekunden still, dann sagte sie: „Mit allem habe ich gerechnet, aber nicht, dass du, dass du …“

      „He! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, Annika. Ich bin nicht bereit, mich deinen säuerlich christlichen Moralvorstellungen unterzuordnen.“

      Meine Mutter lachte kurz auf. Es war das Lächeln Nummer acht: spöttisches Auflachen.

      „Funktioniert das überhaupt noch in deinem Alter?“, fragte sie.

      „Soll ich jetzt in die Details gehen?“, begann Opa. „Es dauert natürlich etwas länger, bis das Blut in Wallung kommt und …“

      „Hör auf“, seufzte sie. „Ich will das alles gar nicht wissen. So habe ich mir deinen Aufenthalt hier nicht vorgestellt.“

      „Annika, beruhige dich. Es ist nichts Schlimmes passiert. Die Welt wird nicht untergehen, wenn ich eine Beziehung mit einer Frau beginne. Im Gegenteil, sei froh, dann gehe ich euch nicht auf die Nerven!“

      Ich hörte, wie Stühle gerückt wurden, und schlich davon. Ich hatte genug gehört und war gespannt, wie sich die Geschichte mit Frau Mergenthaler und Opa weiterentwickeln würde.

      Am nächsten Morgen wusste ich nicht, ob ich das Mäusegetrappel geträumt hatte oder nicht. Beim Frühstück sagte ich dann: „Bei uns gibt es Mäuse oder andere Tiere.“

      „Was?“ Sven und meine Mutter blickten mich an. Anna war noch in ihrem Zimmer.

      „Ich bin gestern Nacht davon aufgewacht. Da war so ein Trippeln.“

      „Mich würde das nicht wundern“, meinte Sven. „Dieses Haus hätte im Grunde total überholt werden müssen.“

      „Dann muss ich im Keller nachsehen, ob irgendwelche Packungen angeknabbert sind“, überlegte meine Mutter.

      „Ich werde mal ein paar Mausefallen besorgen, dann sehen wir ja, ob es welche gibt. Oder es ist ein Marder oder ein Dachs. Die halten sich auch gerne in so alten Häusern auf.“

      „Ein Dachs?“

      „Ja. Warum nicht?“

      Für


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