Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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und ein leises Auf- und Zugehen in den Angeln war zu vernehmen.

      Wieder herrschte Stille, aber Fräulein du Prel hatte den Kopf etwas gehoben.

      Ein nicht sichtbarer Apparat rasselte leise. Die Sekretärin wurde zum Chef gerufen.

      Ministerialrat Grevenhagen ließ bitten.

      Oskar Wichmann hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, daß sein Herz einen schnelleren Gang einschaltete. Er schloß die gepolsterte Doppeltür hinter sich, seine Füße fühlten durch die Schuhsohlen einen weichen Teppich. Er verbeugte sich und nahm auf einem einfachen Stuhl, dem Diplomatenschreibtisch gegenüber, Platz. Seine Hände waren noch immer unnütz.

      Ministerialrat Grevenhagen fragte sehr sachlich und kühl, und der Kandidat empfand den Ehrgeiz, ebenso farblos und korrekt zu antworten.

      Nein, er hatte sich für diese spezielle Materie noch nie interessiert, hoffte aber, sich bald einzuarbeiten.

      Er würde nicht versäumen, sich bei Ministerialdirektor Boschhofer zur Vorstellung anzumelden.

      Mit Regierungsrat Korts und Inspektor Baier war er noch nicht bekannt geworden.

      Das Telefon vermittelte Fräulein du Prel den Auftrag, die beiden Mitarbeiter des Referats in einigen Minuten zu rufen. Ministerialrat Grevenhagen hatte eine Mappe mit schwerem Deckel aufgeschlagen und leistete unterdessen Unterschriften. Die Feder ging glatt über das Papier. Der Name war in steilen Buchstaben ausgeführt und ohne Irrtum zu lesen, auch als er an diesem Morgen zum zwölften und, wenn man einige Jahre rechnete, vielleicht zum mehrtausendsten Male geschrieben wurde. Ein einziger versteckter Schnörkel des beginnenden »G« gab Rätsel auf.

      Die Nägel der schreibenden Hand waren kurz, mit einer nur andeutenden Spitze geschnitten und erinnerten in ihrer peinlichen Sauberkeit an sandgescheuerte Friesenhäuser. Die Hand war schlank und weißhäutig, etwas welker, als dem Alter dieses Mannes angepaßt sein mochte, und doch in Übereinstimmung mit dem hellgrauen Haar, das der Scheitel in geradliniger Ordnung teilte. Ministerialrat Grevenhagen gehörte zu den Menschen, die auch im Sitzen schlank und groß wirken. Der Siegelring zeigte ein eigentümliches Wappen.

      Als das letzte Blatt unterzeichnet und die Mappe an den zum Abtragen bestimmten Platz gelegt worden war, hob sich der schmale Kopf hinter dem Schreibtisch, und Oskar Wichmann wurde von dem Blick, der ihn traf, so gefesselt, daß ihn nur das anerzogene Verhalten in bestimmten gesellschaftlichen Lagen davor behütete, den Vorgesetzten länger als eine Sekunde anzustarren. Aber auch als er sich zwang, die Lider hin und wieder zu senken und sein Gegenüber nur im ganzen in den Gesichtskreis zu nehmen, hatte er in Wahrheit nichts als den Blick vor sich, der ihn gemustert hatte. Grevenhagens Augen waren von einem hellen Blau, das sich mit dem nördlichen Himmel am Morgen vergleichen ließ; sie schienen in die Tiefe zu fassen und wieder über alles hinwegzugleiten wie die Augen der Seeleute oder der Hirten, in die das Wesen einer weiten Landschaft eingegangen ist.

      Auch der Ministerialrat mochte in der kurzen Spanne, in der sich sein Blick mit dem Oskar Wichmanns fester getroffen hatte, einen ersten Eindruck von dem Charakter des ihm noch Unbekannten gewonnen haben. Seine linke Hand holte eine dunkelblaue Mappe, die er auf dem großen Schreibtisch etwas abseits geschoben hatte, wieder herbei und stellte den Deckel auf, während die rechte, noch nicht ganz schlüssig, ein paar zusammengeheftete, mit Schreibmaschine beschriebene Blätter in der Mappe hin- und herzog.

      »Sie haben sich auch mit wirtschaftlichen Dingen befaßt?«

      »Ja.«

      »Vielleicht lesen Sie nebenbei die kleine Ausarbeitung hier, die Vorgänge am Rande unseres Arbeitsgebietes behandelt. Vertraulich. Wenn Sie sich zu angestrichenen Fällen irgendwelche Gedanken machen oder Kritik erlauben wollen … um so besser.«

      Stumme Verbeugung.

      Oskar Wichmann erhielt die Blätter im schützenden blauen Aktendeckel. Er faßte ihn vorsichtig, in dem Gefühl der noch nicht durchschauten Bedeutung des Inhalts, und beobachtete die Art, in der sich die Mundwinkel des Ministerialrats leicht herunterzogen.

      Es klopfte an der Polstertür. Die beiden Mitarbeiter traten ein, und Wichmann, der ihnen vorgestellt wurde, merkte sich nicht viel mehr als die Namen und den auffallenden Unterschied der Erscheinung zwischen dem stämmigen, mit körperlicher Energie geladenen Regierungsrat Korts und dem blassen Inspektor Baier, der im Hinausgehen seine Brille putzte.

      Die drei Herren waren gemeinsam wieder verabschiedet worden. Wichmann folgte dem Inspektor, um alles das zu hören und entgegenzunehmen, was zu den äußerlichen Bedürfnissen, Beschränkungen und Aufgaben eines Assessors der Abteilung III im Ministerium gehörte.

      Als Wichmann endlich, sich selbst überlassen, in seinem neuen Dienstzimmer stand, öffnete er einen Spalt des Fensters. Schattigkühle Herbstluft wehte aus dem Hof herein, den das Gebäude in einem großen Viereck umschloß. Zwei Ulmen, die ihre Blätter verloren, reichten mit der Spitze der Zweige in den Morgensonnenschein, der über das Dach weg in schräger Richtung nur die oberen Stockwerke des Hauses traf. Oskar Wichmann setzte sich zum erstenmal auf seinen Schreibtischstuhl, der nun tagaus, tagein sein Platz sein sollte. Noch einmal rückte er an den Bleistiften, bis sie in ganz genauer Reihe lagen. Inspektor Baier hatte ihm schüchtern und dennoch bestimmt erklärt, daß ein Assessor und ein Regierungsrat mit Tintenstift oder Tinte zeichne, beziehungsweise anmerke, ein Ministerialrat mit Blaustift, der Ministerialdirektor mit Rotstift, der Staatssekretär grün und der Minister gelb. In eben dieser Reihenfolge der Amtsstufen lagen die Stifte jetzt auf dem Tisch des Anfängers und bezeichneten die Möglichkeiten seiner Zukunft – schwarz, blau, rot, grün – bis zum Staatssekretär. Wenn es ihm beliebte, in diesem Hause alt zu werden! Nein, vermutlich beliebte ihm dies nicht. Hier wollte er nur einige erste Schritte tun, um dann – was dann? Er wußte es selbst noch nicht.

      Ehe der Assessor begann, die Aufträge seines unmittelbaren Vorgesetzten auszuführen, konnte er sich im Vorzimmer von Boschhofer telefonisch zur Vorstellung anmelden. Das Verzeichnis der Ruf- und Zimmernummern der im Hause Diensttuenden verriet, daß der Ministerialdirektor im ersten Stock hauste. Boschhofer, Josef Boschhofer; Vorzimmer-Ruf Nr. 269. Als Wichmann die Hand nach dem Hörer ausstreckte, der schwarz, gekrümmt auf der Gabel lag, durchflutete ihn eine eigentümliche Ahnung, und er zögerte etwas, ehe er zugriff. Was denn, fürchtete er sich? Er war ja wohl verrückt!

      Die Zentrale hatte eine schnippische weibliche Stimme.

      »Nr. 269 bitte.«

      »Vorzimmer von Ministerialdirektor Boschhofer.«

      Wichmann brachte sein Anliegen vor.

      Die Antwort der Sekretärin klang nach einem längst volljährigen Mädchen mit dickem Hals und starkem Busen. Ministerialdirektor Boschhofer sei durch Sitzungen sehr in Anspruch genommen – Dr. Wichmann werde vorgemerkt. Anruf gegebenenfalls auch in der Handbücherei, ja. So schnell werde er jedoch kaum empfangen werden.

      »Danke.«

      Der Hörer knackte wieder auf die Gabel. Boschhofer … Boschhofer. Wichmann summte den Namen vor sich hin. Namen hatten schon als Kind seine Neugier geweckt. Er liebte die farbigen, vorstellungskräftigen Bezeichnungen, die er in seinen Indianerbüchern gefunden hatte: Langspeer, Nachtwandler, brennendes Wasser, flinker Hirsch – Stern, der über dem Berge aufsteigt, und »ihre Füße singen, wenn sie geht«. Boschhofer … Boschhofer … Es gab Märchen, in denen man Namen wissen mußte, um zu zaubern, in denen der Name eine eigene Bannkraft hatte. Alle diese Beziehungen waren jetzt verschüttet von Straßenstaub und Wissenschaft. Nur ein letztes war noch geblieben, der Zusammenhang von Name, Geschichte und Landschaft. Boschhofer … starker dicker Mann, etwas ganz anderes als das Nordlicht Grevenhagen. Eine Beziehung von Acker, Bier, Mastochsen, Barockkirchen und goldenen Engeln, Fett, Schlauheit, Selbstbewußtsein. Die Vorzimmerdame mußte bunter gekleidet sein als Fräulein du Prel, die Unnahbare. Grevenhagen – Grevenhagen – Patrizierahnen, Marschen und tangbehangene Deiche, Schiffsmasten, salziger Geruch der weither rollenden Wogen, Kühle und ein wenig müde gewordener Hochmut und ihm vorgesetzt: Boschhofer – Boschhofer … Da kreuzten sich Ströme, und vielleicht strudelten Wirbel. Der Assessor bildete sich plötzlich mit Gewißheit ein, daß Grevenhagen den


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