Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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      »Wenn er nicht sich selbst und damit Ihnen, meine verehrten abendländischen Damen und Herren, im letzten Moment noch alles verpatzt.«

      Korts hörte auf zu essen. »Wieso verpatzt?!« Er machte bei der Frage den Eindruck eines wütenden Stiers. Da er aber nicht die Hörner werfen konnte, reagierte er im Zustand erhöhter Kampfbereitschaft mit rot anlaufender Stirn und einer erstaunlichen Art, die Ohren zu bewegen und sogar die Haare im Nacken zu stellen.

      »Ja«, beruhigte der Schwabe, »jetzt lasse Sie sich no net die Galle ins Blut trete, Herr Korts! Sie müsse zur Zeit verdaue und diesen chemischen Prozeß nicht durch Arger stören. Es wäre sonscht schad um die Überreschte des betagten Huhns, das Sie sich soeben einverleibt habe. Also ich mein’ nur, der Grevenhagen ischt zu vielem imschtand … habe Sie nix g’hört, was heut morge schon wieder los war?«

      »Wieso denn?«

      »Ha no, wenn Ministerialdirektore und -räte zu nachtschlafender Zeit plötzlich eine Sitzung abhalte, dann muß nach meiner dienschtlichen und persönlichen Erfahrung eine Welt am Einstürze sein … ich hab’ mich heut Punkt neun Uhr nur noch mit Mühe hinterm Boschhofer dünn g’macht …«

      »Bei uns im Abendland ist das kein Wunder, wenn einer um neun Uhr zum Dienst kommt und dann auch zu arbeiten anfängt!«

      »Ha, jetzt entschuldigen Sie, Herr Korts, also beim Grevenhagen wär’ es doch ein Wunder, wenn er erst um neun Uhr käm’, weil er alle Tag, die der Herrgott dieser verderbten Erde gönnt, genau um halb neun Uhr mit seinem Kabriolett zum Dienscht vorfährt. Aber daß wir zur Sach komme … Sie wisse doch, warum Ihr Chef zum Boschhofer gerufe worden ischt?«

      »Wer soll mir’s denn gesagt haben? Mein sehr schweigsamer Dienstvorgesetzter etwa?«

      »Sie wisse nix von dem grünen Fragezeichen des St.?!«

      »Keine Ahnung.«

      »Sie sind ein ebenso großer Schweiger, Herr Korts, wie Ihr Chef. Das ischt Ihnen gewiß lästig, daß ich so viel schwätz’. Auch muß ich mein Apfelmus essen.«

      »Was wissen Sie denn?«

      »Also sonscht einfach gar nix. Daß ein heilloser Krach im Gang ischt über selles Fragezeichen und daß die ganze Abteilung bebt, weil keiner weiß, warum der St. des Fragezeichen gemacht hat.«

      Fräulein Hüsch bestellte Zitronenlimonade. »Dann braucht doch nur einer den Staatssekretär zu fragen, warum?«

      »Wenn der Boschhofer aber net fragt – Allergnädigste? Und der Grevenhagen keinen persönlichen Zutritt beim St. hat, sintemalen er nur der Untergebene unseres dicken Josef ischt und zudem von diesem nicht gebilligte politische Ansichten in der Mördergrube seines Herzens hegt?!«

      »Na, wissen Sie … So was ist auch nur bei einer Behörde möglich! So ein Blödsinn! So ein Tollhaus! Ich würde ja sofort zum St. gehen!«

      »Daran zweifle ich keinen Moment, Allergnädigste. Am besten sofort vom Friseur zum Staatssekretär!«

      »Halten Sie den Mund! Was heißt Friseur? Ich war heute ab neun Uhr im Dienst. Herr Wichmann kann das bezeugen.«

      »Da haben Sie wieder mal Glück, daß Sie einen Kavalier und falschen Zeugen finden.«

      Das Opfer würgte einen nicht ganz gar gekochten Apfelschnitz hinunter. Korts grinste unverblümt. Casparius lächelte wohlwollend aus tiefen Schimpansenaugen.

      Der Heimweg zum Ministerium in der mittäglichen Herbstsonne wurde durch eine kleine Schleife verlängert. Wichmann hätte gern noch Weiteres über das grüne Fragezeichen und seine offenbar amtsbekannte Bedeutung im Zusammenhang mit den zu erwartenden Ernennungen erfahren. Aber als sich die Einteilung der Gesellschaft für den Rückweg ergab, träumte er einen Augenblick zu lange, und schon war er von beiden Seiten der Dame durch Korts und Casparius ausgeschlossen und dem ältlichen Kollegen mit Namen Meier-Schulze zugewiesen. Höflich ließ er die Schilderungen der alten schönen Friedenszeit in Straßburg und Posen über sich ergehen und versuchte dabei, nach vorn zu horchen. Einzelne Gesprächsfetzen, die er auffing, gaben jedoch keinen weiteren Aufschluß.

      Die beiden Gruppen der Gehenden näherten sich einander, als man wieder in die Ottostraße einbog. Fräulein Hüsch wandte ein paarmal den wohlfrisierten Kopf mit dem schwarzen Hut und lachte Wichmann verführerisch und verheißend an. Sie war keine schlechte Erscheinung. Aber da Korts ihre Blicke eifersüchtig zu kontrollieren schien, hielt Wichmann sich zurück.

      Über die grau belegte Treppe ging es zum grau belegten Korridor im Westflügel des zweiten Stocks. Man verabschiedete sich von den Mitgliedern des sogenannten »Orients«, die den weiteren Weg zu ihren Dienstzimmern im Ostflügel einschlugen.

      Als der Regierungsassessor sein kleines Zimmer wieder betrat, ging er einen Augenblick an das offene Fenster. Es war warm geworden über Mittag. Die Sonne hatte sich gedreht und strahlte von Süden über das Dach auf die Ulmenspitzen. Auf dem Aktenbock des Neueingestellten, auf jener Seite, an der Inspektor Baier das in Kunstschrift angefertigte Schild »Eingang« hatte anbringen lassen, hatten sich drei Aktendeckel mit Inhalt eingefunden. Es handelte sich um allgemeine Verfügungen und Mitteilungen, die von jedem Herrn zur Kenntnis zu nehmen und abzuzeichnen waren. Wichmann griff nach dem Tintenstift. Die eine der Verfügungen trug die Unterschrift des Staatssekretärs. »Neumann« war in einer auffallend zierlichen Handschrift gekritzelt; das Schreiben mit dem harten Stift auf der Wachsplatte, die vervielfältigt worden war, schien der Hand schwergefallen zu sein; die einzelnen Buchstaben waren unsicher im Strich. Das also war der Mann des grünen Fragezeichens! Wichmann holte die Mappe mit dem Exposé aus der verschlossenen Mittelschublade des Schreibtischs und verglich. Wenn es um Fragezeichen ging, schien der Herr einen etwas festeren Zug zu haben.

      Eigentlich hatte die Hüsch recht. Ein unglaublicher Blödsinn, den Staatssekretär nicht einfach zu fragen! Sollte Wichmann als erwachsener Mensch und ausgebildeter Jurist sich den Kopf zerbrechen, warum Herr Neumann geruhte, einen begründeten Satz anzufechten? Schließlich war ein Regierungsassessor kein Kriminalkommissar. Wer hatte übrigens den Bleistiftstrich unter die bezweifelten Worte gezogen? Benutzte der Herr Staatssekretär etwa auch die für Assessoren vorbehaltene Trauerfarbe? Er sollte das unterlassen, wenn er in seinem Sandsteingebäude keine Verwirrung hervorrufen wollte. Aber im Ernst, war es anzunehmen, daß ein Leser einen Satz mit Bleistift unterstrich und dann den Stift wechselte, um ein grünes Fragezeichen anzubringen? Vielleicht war dem Herrn Neumann mitten in seinem Tun eingefallen, daß er »Grün« nehmen mußte … »Nehmen Sie Grün, det hebt Ihnen« … denkbar … vielleicht aber stammte die Bleistiftunterstreichung auch von anderer Hand … Der Strich war nicht mit dem Lineal, sondern sehr dick und etwas ansteigend mit der freien Hand gezogen – mit Grevenhagens Erscheinung stimmte er nicht zusammen. Wer überhaupt außer dem Autor konnte sich erlauben, in dem Originalexemplar dieses Exposés etwas zu unterstreichen? Boschhofer und der Staatssekretär konnten es sich erlauben.

      Aber Boschhofers Farbe war rot.

      Wenn die Herren schon bürokratische Regeln schufen, mochten sie sich doch gefälligst selbst daran halten!

      Wichmann kam ein Gedanke. Fräulein du Prel mußte die Gewohnheiten der Herren kennen.

      Er packte seine Notizen vom Vormittag als Material zum Diktat zusammen, dahinter etwas verborgen, die dunkelblaue Mappe. Auf diese Weise legitimiert, begab er sich nach der Vorderfront, Zimmer Nr. 412. Vor der Tür blieb er stehen und horchte einen Herzschlag lang – nicht zu leugnen, er blieb stehen und horchte –, und als er mit Befriedigung festgestellt hatte, daß hinter der Tür nichts als das leichte Klappern der Adlermaschine zu hören war, klopfte er an und trat ein.

      Die Sekretärin sah Wichmann durch einen Schleier der Zurückhaltung an.

      »Das fragliche Diktat besprechen Sie bitte mit Herrn Inspektor Baier, Herr Assessor. Ich selbst bin leider durch eine größere Arbeit für Herrn Ministerialrat Grevenhagen bis Dienstschluß in Anspruch genommen!«

      »Danke. Aber können Sie mir vielleicht über eine andere Kleinigkeit auf Grund Ihrer Erfahrung Auskunft geben? Pflegt einer der höheren Beamten


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