Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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Persönlichkeit, daß es sich für Herrn Nischan gelohnt hatte, an der Tür zu lauschen? Aber es war nicht gesagt, es war sogar unwahrscheinlich, daß dieser Herr sich schon seit zehn Uhr, also nun eine Stunde lang, bei Grevenhagen aufhielt. Die Neugier Nischans mochte sich auf einen anderen Besucher gerichtet haben.

      Die Zwischentür ging zögernd auf. Man hörte durch den Spalt Stimmen.

      »In diesem Sinne! Es war mir sehr interessant, Ihre Meinung zu hören, Herr Ministerialrat.«

      Der sich Verabschiedende kam in das Vorzimmer heraus. Es war ein Herr in mittleren Jahren, vielleicht um die Vierzig. Ohne daß Wichmann hätte sagen können, warum, hielt er den Fremden eher für einen Geschäftsmann als für einen Beamten. Seine Bewegungen waren selbstbewußt, seine Stimme klang etwas laut. Er nahm jetzt Hut und Mantel, grüßte Fräulein du Prel mit Betonung, ohne mehr als das flüchtighöfliche Kopfnicken der Sekretärin zu erreichen, und verließ das Vorzimmer. Als seine Schritte draußen verklangen, erschien Grevenhagen an der Zwischentür, um den Assessor hereinzubitten.

      »Wollen Sie bitte Platz nehmen. Ich muß Sie noch einen Augenblick um Geduld bitten.«

      Der Ministerialrat las ein Schriftstück durch und machte sich darinmit Blaustift verschiedene Merkzeichen. Wichmann beobachtete ihn dabei. Er sah die Züge, die um die Mundwinkel abwärts führten, die scharfe und gerade Nase, die gewölbte Stirn mit den etwas eingefallenen Schläfen. Das war der Mann, der hart geblieben war, als Marion sich in Angst um den Bruder gewunden hatte. Aus dem blassen Nordhimmel seiner Augen hatte er dieses Geschöpf betrachtet, in dem das Blut geheimnisvoller kreiste und dessen Körper weich war. Er hatte nein gesagt. Vielleicht hatte Marion gezittert und vergeblich gesucht, sich an ihn zu lehnen. Er war ruhig geblieben; mit gleichmäßigen ritterlichen Manieren und beherrschter Stimme hatte er sie abgewiesen. Sie, die ihm mit ihrem Körper gehören mußte, lag die Nächte hindurch mit schmerzenden Augen wach, bis sie bei einem Fremden Hilfe suchte.

      »Was führt Sie zu mir, Herr Assessor?«

      Wichmann schrak unter der Stimme auf.

      »Eine persönliche Frage, Herr Ministerialrat. Einige Dispositionen, die ich jetzt treffen muß, machen es mir wichtig, etwas über die ungefähren Aussichten und Möglichkeiten meines beruflichen Vorwärtskommens zu erfahren.«

      Über die Seele des Vorgesetzten schien der zweite, der eiserne Vorhang herunterzugehen. »Darüber kann ich Ihnen leider keine bindende Auskunft geben, Herr Assessor!«

      »Das habe ich auch nicht erwartet, Herr Ministerialrat. Ich bin noch nicht lange hier, und ich weiß nicht, ob meine Arbeiten Ihre volle Zufriedenheit verdient haben. Meine Frage geht nur auf einen allgemeinen Rahmen, auf die üblichen Möglichkeiten.«

      »Auch da bin ich leider überfragt, Herr Assessor. Obwohl die Stufen des Avancements festliegen, ist über die Zeit, in der man die einzelnen erreicht, nur schwer etwas zu prophezeien. Das Tempo wechselt, von Person zu Person und von Mal zu Mal. Die Umstände, die mitsprechen, sind sehr vielfältig, und speziell in Ihrem Falle gibt es keinerlei Erfahrungsregeln, denn Herr Casparius und Sie sind für uns ernennungstechnisches Neuland. Sie beide sind die ersten Herren, die in unser Ministerium schon als Assessor und nicht erst als Regierungsrat einberufen wurden.«

      »Die Hoffnung, bei den jetzt bevorstehenden Ernennungen schon mit einer Planstelle berücksichtigt zu werden, würde wohl sehr vermessen sein?«

      Grevenhagens verdeckter Blick schien sich auf das Schriftstück zu richten, in dem er die blauen Merkzeichen gemacht hatte.

      »Ich müßte Sie bitten, sich hierüber mit der Personalabteilung unmittelbarin Verbindung zu setzen. Die Entscheidung über die Ernennungen hängt nur in geringem Maße von mir persönlich ab.«

      Wichmann war wie einem Fechter zumute, dessen Stöße nicht berühren. Er war erregt.

      »Dürfte ich bei einer solchen Vorsprache voraussetzen, daß ich von der Abteilung aus vorgeschlagen bin?«

      »Für eine Auskunft hierüber ist der Abteilungsleiter, Herr Ministerialdirektor Boschhofer, allein zuständig. Wenden Sie sich an ihn.«

      »Ich möchte keinen Schritt tun, Herr Ministerialrat, aus dem von irgendeiner Seite geschlossen werden könnte, daß ich mit der Behandlung meiner Personalangelegenheiten unzufrieden sei.«

      »Das steht nicht zu fürchten. Sie können Herrn Ministerialdirektor Boschhofer sagen, daß ich Sie gebeten habe, sich an ihn unmittelbar zu wenden.«

      »Ich danke, Herr Ministerialrat.«

      Der Assessor ging. Ja – Grevenhagen, das war der Mann, der Marion hatte abweisen können. In Wichmann begehrte es auf. Ein weniger aalglattes Verhalten seines Vorgesetzten glaubte er durch seine Leistungen verdient zu haben.

      Es war ihm jetzt unmöglich, seine Arbeit wiederaufzunehmen. Er griff nach dem Telefon und meldete sich bei Boschhofer an.

      »In einer halben Stunde«, gab Frau Laura Lundheimer Bescheid.

      Auch diese halbe Stunde ging vorüber, und Wichmann erschien im ersten Stock.

      Frau Lundheimer hatte den Kostümrock eng um die dicken Hüften gespannt. Die Ärmel ihrer Bluse waren kurz, der Ausschnitt tief. Unter nachgezogenen Augenbrauen schauten die Augen auf den eintretenden Assessor. Die Hände gaben das Spiel über den Tasten auf.

      »Guten Morgen, Frau Lundheimer …«

      »… Herr Doktor! Es tut mir furchtbar leid – der Ministerialdirektor ist noch nicht da. Wollen Sie noch etwas Platz nehmen und warten?«

      Wichmann setzte sich.

      Frau Lundheimer betrachtete das junge Blut mitleidig-verständnisvoll und gesprächslustig. »Nun sind Sie schon ein paar Monate in unseren Arbeitsräumen. Ich erinnere mich noch gut, wie Sie hierherkamen.«

      »Ja. Im Herbst. Und nun sitze ich da, immer noch Assessor!«

      »So ehrgeizig?«

      »Nicht einmal. Aber ich möchte jetzt einiges für meine Zukunft festlegen.«

      Frau Lundheimer lachte. »Da haben Sie recht. Sie wollen sich doch nicht etwa verloben? Weil Sie von Zukunft sprechen?«

      »Das kommt ja für unsereinen gar nicht in Frage, Gnädigste. Bei dem Tempo der Beamtenkarriere muß man entweder Privatvermögen haben oder Schlaganfallkandidat werden – und dann seine Pflegerin heimführen. Vorher reicht es nicht zum Heiraten.«

      »Oh!« Frau Lundheimer legte den Kopf schief und blickte neckisch.

      »Sind alle Frauen so anspruchsvoll? Steht es wirklich so schlimm um Sie?«

      »Natürlich. Sie wissen doch, daß ich von der Liste wieder gestrichen worden bin.«

      »Wirklich? Warum vermuten Sie das? Haben Sie irgendeine Dummheit gemacht?«

      »Vielleicht bin ich im Mondschein über Dächer gewandelt, ohne es zu wissen. Haben Sie mich nicht beobachtet?«

      Frau Lundheimer schüttelte die festgerollten blondierten Locken. »Sie haben noch Humor, Herr Doktor. Nein, ich beobachtete gar nichts. Aber überlegen Sie selbst! Vielleicht finden Sie den Grund Ihres Mißgeschicks heraus? An irgend etwas muß es doch liegen!«

      »Mein Verstand geht ebenso zu Ende wie das Rechnungsjahr, Gnädigste. Meine Harmlosigkeit ahnt ja nicht einmal, was für Beweggründe hier überhaupt über Ernennung oder Nicht-Ernennung zu entscheiden pflegen.«

      »Ja, wer soll das sagen? Die Leistung natürlich und das Dienstalter und wohl auch die sozialen Verhältnisse … und was dann eben noch so dazukommt, wenn die Waagschale schwankt.«

      »Was sind das dann noch für rätselhafte Gewichte?«

      »Tscha, wir sind alle Menschen, Herr Doktor. Ministerialdirektor Boschhofer scheint Ihnen sehr gewogen zu sein.«

      »Und wer ist mir nicht gewogen?«

      »Wer soll das wissen? Eine Ernennung durchläuft einen langen Instanzenweg. Wesentlich ist natürlich


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