Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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hiergewesen?«

      »Heute noch nicht.«

      Der merkwürdige Mensch blieb in der Mitte des kleinen Zimmers stehen und sah sich um.

      »Sie wohnen nicht schlecht, Herr Assessor Wichmann. ›Klein, aber mein.‹ Als ich seinerzeit eintrat, mußte ich mit einem zweiten Herrn zusammen hausen. Die Räume sind knapp und winklig in unserem alten Bau, nur für die hohen Herren ist Platz. Können Sie eigentlich durch den Hof zu uns in den Orient hinübersehen?« – Der Sprecher trat an das Fenster. – »Kaum. Im Winter vielleicht durchs dürre Geäst. Ein Wunder, daß die Ulmen noch wachsen. Es gibt doch eine Ulmenkrankheit? Die könnte man auch kriegen, wenn man lange genug in dem Stall hier versauert.«

      »Fühlen Sie sich bereits angegriffen, Herr Nathan?«

      »Der Bazillus fliegt uns alle an. Ist das ein Leben, das wir hier führen? Vor den Akten sitzen, wenig verdienen, langsam vorwärtskommen, die Launen der Mächtigen ertragen und verkalkt in Pension gehen – sind das die Hoffnungen, die Sie sich haben an Ihrer Wiege singen lassen?«

      »Meine Wiege war, soviel ich mich erinnern kann, ein Gitterbett, und der Gesang war vermutlich mehr meinerseits. Über seinen Wohlklang und die darin ausgedrückten Zukunftsansprüche kann ich aus Mangel an Gedächtniskraft leider keine Aussagen mehr machen. Aber vielleicht hat Ihr Intellekt etwas früher zu registrieren angefangen, Herr Nathan, und Sie können sich die bei der Säuglingsmilch gehegten Hoffnungen noch einmal hochkommen lassen?«

      »Es kommt nichts als Käse zum Vorschein, Herr Wichmann, laufend, stinkend, schon verdorben. Wenn man sich vorstellt …«

      »Ich begreife auch nicht, Herr Nathan, warum Sie sich bei uns aufhalten. Es gibt ohne Zweifel bessere Verdienstmöglichkeiten. Auch Fräulein Hüsch, deren Vater Geschäftsmann ist, stellt das immer wieder fest.«

      »Verdienst, sagen Sie? Was will ich schon mit dem Verdienst?«

      »Ist es nicht Ihr Lebensziel, ein reicher Mann zu werden?«

      »Nein – Herr –«

      Nathan hatte sich dem Fragenden zugewandt. In seinem Körper ging auf einmal eine Veränderung vor, als ob in ihm etwas wachse und seine schlaffen Glieder, seinen gebeugten Nacken ausfülle und straffe. Er sah aus wie ein gereiztes Tier im Angriff, und Wichmann nahm unwillkürlich das Kinn zurück, mit einem Schauer und wie vor einem beginnenden Kampf. Aus den Augen des andern brach ein gelbes Licht, und seine Fäuste hatten sich verkrampft.

      »Nein – Herr – Verdienst ist nicht mein Ziel – Macht will ich haben – Macht!« Mit dem letzten Wort brach die Spannung in dem Menschen wieder zusammen. Die Finger hatten sich gelöst, die Augen schlossen sich halb, und die Schultern wurden wieder schlaff. »Es ist alles Mumpitz, Herr Wichmann. Reden wir von etwas anderem. Wenn man noch ein Leben führen könnte wie der Grevenhagen. Die Familie hat offenbar viele gesellschaftlichen Beziehungen! Grevenhagen muß sehr vermögend sein, vielleicht auch von der Frau her?«

      »Ich habe die Grevenhagensche Steuererklärung noch nicht studiert. Aber mir scheint, Geld ist doch auch in Ihren Augen nicht so unnütz, wie Sie mir eben versichern wollten.«

      Der Regierungsrat lachte leichthin. »Von ganz unnütz habe ich nichts gesagt. Oder doch? Aber auch Geld ist Macht. Na, jedenfalls der Stil, in dem die Familie ihren Sport und ihre Geselligkeit treibt, ist für einen schlichten Ministerialbeamten auffallend. Es muß sehr viel privates Vermögen dahinter stehen, so daß man sich fast wundert, warum Grevenhagen auf das schimmlige Dasein in den Amtsräumen überhaupt noch Wert legt. Auf Gehalt und Pension müßte er doch verzichten können, wenn er innerhalb von wenigen Monaten ein Diadem für achtundzwanzigtausend Mark und zwei Grauschimmel für sechzigtausend Mark kauft.«

      »Sie sind genau orientiert, wie nicht anders zu erwarten war, Herr Regierungsrat Nathan. Genauer als ich! Wollen Sie mir nicht weitere reizvolle Einzelheiten aus den privaten Budgets der Abteilung verraten?«

      »Es ist bemerkt worden, Herr Wichmann, daß Sie sparen. Aber das ist ohne Zweifel eine Tugend und mit den kommenden Ausgaben für das Eigenheim durchaus zu rechtfertigen. Blonde Mädchen sind hübsch, nicht?«

      »Warum soll ich mich von dieser allgemeinen Geschmacksrichtung ausschließen?«

      »Sie haben recht. Das Kollektive des Geschmacks ist eine der interessantesten soziologischen Erscheinungen in der Stadt. Es zeigt sich darin, daß die Großstadt fähig ist, ein eigenes Lebensgefühl auszubilden.«

      »In der kleinen Stadt ist das doch viel ausgeprägter.«

      »Irrtum, Irrtum, Herr Wichmann. Die sogenannte Kleinstadt ist nichts als ein ekelerregendes Amphibium, nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Dorf und nicht Stadt. Sehen Sie sich die Frauen dort an, wie sie gekleidet sind, das sagt alles. Die Tracht ist ihnen verlorengegangen, und Geschmack haben sie nicht. Sie laufen herum mit Rosen und Federn, die Röcke zu kurz oder die Röcke zu lang. Ich würde die Menschen nicht so hassen, und ich wäre überhaupt anders geworden, wenn meine Eltern nicht in der Folterkammer ›Kleinstadt‹ gelebt hätten. In der Großstadt ist der unerträgliche Zwischenzustand zwischen Dorf und Stadt überwunden. Man hat sich ganz gelöst von dem total platten Lande, und das Flutende hat seinen eigenen Rhythmus gewonnen. Augenblicklich geht der Strom nach ›industrieblond‹ haben Sie sich nicht auch schon gewundert, daß eine so elegante Dame wie Frau Grevenhagen das Haar noch immer schwarz trägt?«

      »Ich habe ehrlich gestanden über eine andere Möglichkeit noch nicht nachgedacht. Vermutlich wird sie ihrem Gatten so gefallen, wie die Natur sie geschaffen hat.«

      »Eine typisch teutonische Auffassung, daß eine Frau sich nach dem Geschmack des Mannes zu richten habe. Haben Sie sich noch nie Rechenschaft darüber gegeben, was für eine Barbarei in dieser Forderung liegt? Geschmacksfragen gehören in das subtile Empfinden der Frau, allenfalls noch derjenigen Männer, die genügend weibliche Hormone in sich haben, um mit Feingefühl zu reagieren. Man kann Nuancen nicht mit der Keule entscheiden. In Fragen des Geschmacks sollen die Frauen unsere Erzieherinnen sein. Nicht umgekehrt.«

      »Dann bilden Sie Ihr Auge an den großen Blumen der Dame Lundheimer, Herr Nathan; ich nehme an, daß Sie sich dem Unterrichtskurs mit Hingabe widmen. Haben Sie aus Ihrer bewährten Quelle nicht schon etwas Neues erfahren, was Sie heute hierher treibt?«

      Ein kurzer Ruck mit dem Kopf verriet, daß Nathan sich in einer stillen Absicht überrascht und getroffen fühlte. Er parierte. »Ach, der rätselhafte Besucher bei Boschhofer ist Ihnen auch schon bekannt?«

      »Sie haben angenommen, daß die Nachrichten ins Abendland aus Mangel an genügend interessierten Stafettenläufern etwas langsamer transportiert werden?«

      »Na ja. Also was meint man denn hier zu der Sache?«

      »Wenn Herr Nischan den Besucher durch das Schlüsselloch gesehenhätte, wären wir vielleicht besser unterrichtet. Bloße Kombinationen gebe ich nicht weiter.«

      »Durch das Schlüsselloch? Sie machen mir Spaß, Herr Wichmann!« Nathan lachte laut. »Gibt es so was?«

      »Ein Schlüsselloch? Natürlich – an den meisten Türen gibt es so etwas.«

      »Sie machen mir Spaß, Herr Wichmann. Hat Ihnen Nischan schon von der Sache erzählt?«

      »Nischan nicht, aber vielleicht haben Sie die Güte?«

      »Es geht mich eigentlich nichts an. Ich möchte mich auch nicht auf bloße Kombinationen einlassen; das geht zu weit, Damen gegenüber so gut wie im Amt. Aber eine Frage …«

      »Hm?«

      »Sie kennen den mysteriösen Herrn vielleicht vom ›jour fix‹ bei Grevenhagen? Mit Grevenhagen hat die Sache unbedingt etwas zu tun.«

      »Wenn Sie den Namen wüßten?«

      »Irgend etwas mit ›burg‹, ›bruck‹– oder ›krug‹? Wäre das möglich?«

      »In dem weiten Zauberkreis, den Sie mit diesen präzisen Angaben ziehen, ist vieles möglich. Haben Sie den Herrn gesehen? Wenn nicht, dann muß doch Frau Lundheimer beschreiben können,


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