Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
Читать онлайн книгу.der Boschhofer hätte Sie gehalten, der kann den Casparius nicht so gut leiden, obwohl dem seine Partei auch zur Koalition gehört und der auch katholisch ist – aber doch ganz anders als der Boschhofer – ’s war also nicht Boschhofer, sondern Grevenhagen …«
»… der nicht darauf bestanden hat, daß meine Ernennung vorgehe.«
»Eben, eben! Und wenn Boschhofer nicht durch den Referenten gedeckt war, konnte er auch nichts machen. So ist Ihnen der Casparius um eine Nasenlänge vorausgekommen.«
»Na ja, sehen Sie … Ministerialdirigent Grevenhagen mit seiner Gewissenhaftigkeit war in einer schwierigen Lage. Casparius ist nur zu ihm abgeordnet. Es wäre Grevenhagen besonders übel angekreidet worden, wenn er diesen Mann mit seinem halben Dutzend Dienstjahren, einer Frau und drei Kindern meinetwegen hätte zurückstellen lassen. Es wird ihm sowieso dauernd der Vorwurf gemacht, daß er seine Mitarbeiter besonders schnell fördere. Mir selbst ist es lieber, daß Casparius die Planstelle bekommen hat.«
Das Telefon rief. Baier nahm den Hörer ans Ohr.
»Frau Lundheimer. Sie möchten sofort zu Boschhofer kommen, Herr Assessor.«
Wichmann machte sich auf den Weg. Auch der Amtmann Pöschko hätte heute mit der gemessenen Gangart des Assessors auf der rot belegten Treppe zufrieden sein können.
»Ach … mein lieber Herr Wichmann … Sie hatten mich während meiner Dienstreise sprechen wollen? Frau Lundheimer hat mich davon unterrichtet. Wo drückt der Schuh?«
»Ich möchte mir nur die Frage erlauben, Herr Ministerialdirektor, ob gegen meine Ernennung zum Regierungsrat Gründe vorgelegen haben, die in meiner Person oder in meiner Arbeitsleistung zu suchen sind, oder ob ich darauf hoffen kann, bei der nächsten Gelegenheit berücksichtigt zu werden?«
»Warum wollen Sie nicht darauf hoffen, lieber Wichmann?« Boschhofer war gut gelaunt. »Ich hatte angenommen, daß es schon diesmal klappen würde, aber Sie sind noch so jung, Maikäfer, der eben aus der Erde kommt, und ich kann auch nicht alles allein machen. Verstehen Sie mich? Herr Grävenhagen ist Beamter und nochmals Beamter. Er ist in alles verliebt, was mit dem Begriff ›Dienst‹ zusammenhängt, Dienstpflichten, Dienstauffassungen, Dienstalter … in Ihrem Falle ›Dienstalter‹ oder vielmehr fehlendes Dienstalter. Nur den Begriff des Dienstvorgesetzten oder die Person seines Dienstvorgesetzten scheint er abzulehnen. Vielleicht schätzt er es nicht, daß ich Sie schätze. Aber im nächsten Jahr liegt Ihr Fall schon anders. Ich hoffe, daß uns beim kommenden Etat einige neue Stellen bewilligt werden. Sie haben diese hübsche Ausarbeitung gemacht, ja, wirklich hübsch – ich habe nächstdem wieder etwas für Sie. Also sehen Sie nur vertrauensvoll in die Zukunft. Sie sind jetzt der einzige Assessor in unserer Abteilung. Es kann Ihnen nicht fehlen.«
»Ich danke, Herr Ministerialdirektor.«
In der Abteilung konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Wichmann entweder zugunsten seines Freundes Casparius auf die Ernennung verzichtet habe oder ein Opfer der bekannten Feindschaft zwischen Boschhofer und Grevenhagen geworden sei.
Das Leben, das der Assessor in den folgenden Wochen und Monaten führte, war ohne Schwierigkeiten und ohne tiefere Gedanken. Er hatte seine Ausgaben der Höhe seines Gehaltes angepaßt. Einige kleine Änderungen des bisher Gewohnten genügten, die Grundzüge des bisherigen Lebensstandards wurden nicht berührt. Das Erstaunen des Kellners in der Weinstube über die plötzliche Untreue des Stammgastes war überwunden. Die im Hause der Geheimrätin eingenommenen billigen und sättigenden Mahlzeiten wurden häufiger. Oskar Wichmann mied die Oper und das Schauspiel und ging wöchentlich einmal in ein Kino zum Vergnügen der lebhaften blonden Studentin, die Schildhauf mit ihm bekannt gemacht hatte. Die Paddelausflüge, die Oskar Wichmann mit Dieta am Sonntag unternahm, fanden häufig die Gesellschaft von Schildhauf und Fräulein Hüsch, und obwohl Lotte mit sehr vielem unzufrieden zu sein pflegte, wurde sie von den Herren nicht als Last, sondern als Anregung empfunden. Dieta lachte stets. Sie hatte eine Bewegung, die Locken aus dem Gesicht zu werfen, die hübsch war. Ihre weiße Haut und ihre roten Wangen brauchten keine Schminke. Wenn sie im hellblauen Wolltrikot über den Strand lief oder mit Rauschen und Getöse im seichten Wasser Schaum aufsprühen ließ, schauten viele nach ihrer mädchenhaften Gestalt, und Oskar Wichmann wußte, daß er selbst, braun gebrannt und schlank, nicht übel neben ihr aussah. Der freie Tag verlief mit Spielereien, und es folgten ihm Nächte mit langem Schlaf. Wenn Wichmann auf der Couch die Augen schloß, spürte er noch den feuchten frischen Duft, der über der sonnigen Seefläche gelegen hatte, und lächelte ein letztes Mal über das kindlich-hemmungslose Vergnügen, mit dem Dieta in Sonne und Wasser hineinsprang. Die Ausflüge kosteten nie viel. Das Mädchen war von einer erstaunlichen Kargheit in ihren Ansprüchen und fand es selbstverständlich, daß man sich des Abends trennte und Schildhauf mit seiner Partnerin allein in die gepflegten Seerestaurants gehen ließ, während Dieta mit Oskar noch am Ufer lag und Brühwürfel zum Brot abkochte. O wie schön, rief Dieta, wenn die Sonne unterging, o wie fein, wenn ihr Kamerad eine neue Tour vorschlug, o wie herrlich, wenn ihre Freundin aus dem Paddelklub ein größeres Boot und ein Zelt zur Verfügung stellte, in dem das Paar die Sternennacht eng aneinandergeschmiegt verbrachte. Wie ist das nett heute gewesen, sagte Dieta, als sie am vollbesetzten Strande Ball gespielt hatten und über schöne Körper und mißgewachsene Leiber gestolpert waren. Ach, das ist wunderbar! seufzte sie am verborgenen Fleck zwischen Weiden und Brennesseln, und sie fing an, weiße Muscheln zu sammeln.
Wichmann hatte Seen, Bäche und Flüsse mit ihr befahren. Nur zu dem einen See, um den er an einem Märztag allein gewandert war, hatte er sie nie geführt. »Wollen wir nicht einmal …?« fragte das Mädchen, aber als Oskar Wichmann ablehnte, war sie auch wieder zufrieden und musterte nur mit einem überraschten Blick sein Gesicht, dessen Ausdruck ihr auf einmal fremd erschienen sein mußte.
Es war, als ob der junge Mann einige tiefere Schichten seiner Seele verschlossen und zugemauert habe und Gras und Kräuter an der Oberfläche wachsen lasse, die ihn selbst und andere über das Darunterliegende wegtäuschten. Die Mitarbeiter nahmen seine Einkehr in die üblichen Bahnen eines jungen Beamtendaseins mit dem Wohlwollen der Herde hin, die jedem Stück ihre Gewohnheiten aufzwingt. Frau Lundheimer lächelte gerührt bei der Bemerkung, daß sie den träumerischen Assessor mit einem wirklich reizenden und frischen Mädchen auf dem Rang des großen Kinos gesehen habe. Casparius lud Dieta am verregneten Sonntag mit ein, und das Vergnügen der Drillinge an dem heiteren und hellen Mädchengesicht war so groß, daß Frau Anna Maria fast eifersüchtig wurde.
»O wie süß!« rief Dieta. »Nein, wie süß!«
Als die Sommerhitze den Asphalt der Kreuderstraße weich schmolz und die Sonntagspaddler weiße Mützen trugen, begann man in der ›Stillen Klause‹ von der Eifersucht des Kollegen Korts auf Lotte Hüsch zu sprechen. Der Gastraum mit den weißgedeckten Tischen und den kleinen Blumensträußen war dumpfig kühl hinter herabgelassenen Jalousien, der Hackbraten schmeckte einmal ein wenig übergangen, und der Konsum an Zitronenlimonade nahm zu. Korts stand häufig der perlende Schweiß auf der Stirn, wenn er fertig gegessen hatte. Er sprach wenig, und das wenige, was er sagte, klang unverbindlich. Vor seinem Arbeitseifer war trotz der entnervenden Wärme niemand sicher. Da ein weiteres Aufrücken für ihn vorläufig nicht in Frage kam, waren seine Gedanken und Empfindungen in der wesentlichen Richtung seines Daseins nicht beschäftigt und irrten um Frau und sachliche Arbeit. Die Kollegen warteten auf irgendeinen Ausbruch der angestauten Empörung gegenüber Lotte Hüsch, aber sie warteten vergeblich. Es gab nichts als gelegentliche spitze Reden. Fräulein Hüsch verbrachte das Wochenende weiterhin mit dem Regierungsrat Schildhauf. Das ›Ekel Pöschko‹ und der dem Assessor verhaßte August Nischan traten wenig in Erscheinung. Wichmann erfuhr an sich selbst, daß es möglich war, in Höflichkeit verkapselte Feindschaften lange Zeit herumzutragen. Nur selten, wenn er in den warmen Frühsommernächten zu dem wieder belaubten Ahornbaum hinüberschaute, dachte er an die Keller und Gräber seiner Seele und verachtete die Oberflächenform seiner neuen Lebensart. Diese Augenblicke gingen schnell vorüber. Er vermochte Marion jetzt zu sehen wie ein schönes Bild, wie eine Landschaft, versunken und bewundernd, aber geschieden und ohne Hoffnung der innigen Vereinigung. Es verging kein zum ›jour fix‹ bestimmter Donnerstag im Monat mehr, an dem Oskar Wichmann nicht der schon mit Gewohnheit empfangene Gast der Kreuderstraße 3 war. Er kannte die