Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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Herr, wir leben nicht mehr in der Zeit der Richter und Makkabäer.«

      »… sondern in der der Weltkriege.«

      »Die Einzahl dieses Begriffes genügt mir durchaus. Ich hatte gehofft, daß dieser Krieg zur endgültigen Überwindung der Ansichten, wie Sie sie hier vorbringen, etwas beitragen könnte.«

      »Und auch da haben Sie sich getäuscht, Herr Nathan.«

      »Leider muß ich das aus Ihrem Munde hören.«

      Wichmann war der Wechselrede mit wachsender Aufmerksamkeit und wachsendem Erstaunen gefolgt. Er hatte bis dahin nicht gewußt, daß Juden sehr verschieden und auch untereinander sehr verschiedener Meinung sein konnten. Loeb, den Fräulein Hüsch als ›Mann‹ bezeichnet hatte, trat im Umkreis des Dienstes für Wichmann wenig in Erscheinung. Er besuchte die ›Stille Klause‹ nicht und hielt sich von allen Klatschereien fern. Wichmann saß heute zum erstenmal mit ihm an einem Tisch und empfand Sympathien für diesen energischen und persönlich zurückhaltenden Menschen.

      Als Loeb und Nathan ihren Wortstreit abbrachen, wandte sich die Aufmerksamkeit wieder Fräulein Hüsch zu. Auch Nischan war nicht mehr geneigt, auf seinen ausforschenden Nachbarn zu hören, sondern äugte nach der entfernten Dame, die, ebenso wie die Herren, fleißig rauchte und sprach.

      »Ach … ich bitt’ Sie … Herr Korts … so empfindet doch kein moderner Mensch mehr. Einfach albern find’ ich das. Was wollen Sie mit Kranz und Schleier? Sie werden mir doch nicht erzählen, daß es in unserer Stadt eine Frau über achtzehn gibt, die noch unschuldig ist? Und dann dieser lächerliche Abglanz von Pascha und Haremsgewohnheiten und womöglich noch den Strohkranz, weil eine so dumm war, ein Kind zu kriegen. Das ist doch Quatsch! Wir leben nicht mehr zwischen Makartsträußen und Dämmerblau, sondern im Paddelboot und beim Tango. Die Beziehungen sind klar – ’n bißchen gewürzt mit Eifersucht und Sehnsucht, geb’ ich zu – und jedenfalls kann der Mann keinen Anspruch an die Frau machen, den er im um gekehrten Fall auch nicht erfüllt.«

      »Oho, da ist denn doch noch ein leiser Unterschied.«

      »Nur in Ihrer Einbildung, in Ihrer typisch männlichen Einbildung und Verkennung der Wirklichkeit. Was wollen Sie denn eigentlich? Ein Sportmädel im Badeanzug – und eine Schleierfee, die Silberglocken-Zügel zieht – das läßt sich nicht in einer Person vereinigen, und die Fee ist überlebt.«

      »Billigen Sie einer Frau kein Geheimnis mehr zu?« fragte Wichmann.

      »Geheimnis bleibt immer – das Geheimnis des Sex-Appeal – das ›gewisse Etwas‹– aber man ist sich doch dessen bewußt, worum ’s geht, und schwelgt nicht in unverstandenen Gefühlen. Auch die Liebe ist etwas Natürliches, und es kommt lediglich darauf an, daß man Geschmack hat und Niveau hält.«

      »Sie bejahen weniger die Sehnsucht als die Erfüllung – und streichen damit vielleicht das Reizvollste der großen Leidenschaft aus unserem Erleben.«

      »Große Leidenschaft? So was hat’s immer nur einmal unter Tausenden gegeben: Die Männer möchten natürlich gern, daß wir dahinschmelzen in Liebe. Sie vergessen aber dabei, daß sie selber auswechselbare Größen sind. Statt ›x‹ kann man auch ›y‹ in die Gleichung einsetzen.«

      »Mit dieser Meinung sind Sie bisher immer durchgekommen?«

      »Gott sei Dank, ja.«

      »Und Sie haben diesen Vorgang auch bei Ihren Mitmenschen beobachtet?«

      »Jedenfalls duelliert sich doch heute keiner mehr einer Frau wegen.«

      »Darüber sind Sie schon einmal anderer Meinung gewesen«, bemerkte Korts.

      Fräulein Hüsch kam nicht mehr zur Antwort, denn die Tür des rauchgeschwängerten Zimmers öffnete sich, und Grevenhagen trat ein.

      »Aber bitte, meine Herren – behalten Sie doch Platz. Ich bin sehr verspätet und möchte gar nicht stören. – Meines Bleibens ist leider auch nicht lange.«

      Er machte eine leichte Verbeugung vor Fräulein Hüsch, der ein Rot in die Schläfen stieg, und nahm den Platz am entgegengesetzten Tafelende ein. Die Dame schien zu bedauern, daß der eleganteste der Anwesenden sich so weit von ihr entfernt niederließ. Grevenhagen war im Smoking, er trug die Ordensschnalle mit vielen Bändchen, deren Bedeutung Wichmann nicht kannte, und an der linken Brustseite das Eiserne Kreuz 1. Klasse mit seiner strengdekorativen Wirkung und dem Fluidum, das von der Vorstellung besonderer Gefahr und besonderen Mutes für Wichmann seiner Schulerziehung gemäß immer ausging.

      August Nischans Augen begannen einen verdächtigen Schimmer zu bekommen, und seine Sprechweise war schon etwas gehemmt.

      »Wir freuen uns – alle, Herr Ministerialdirigent, Sie noch in unserer Mitte begrüßen zu können.«

      Der Ober brachte auf Wichmanns Wink einige Flaschen der ›1921 Auslese‹ und stellte die beiden Zigarrenkisten geöffnet auf.

      »Sie sind … zur rechten Minute gekommen, Herr Ministerialdirigent.« Es trat allgemeine Stille ein, da man annahm, daß Nischan eine Tischrede beginnen wolle. »Fräulein Hüsch … hat soeben einige … bedeutungsvolle Fragen … des menschlichen Lebens ventiliert … beleuchtet … zum Beispiel, ob sich ein moderner Mann noch einer Frau wegen schießt?«

      Wichmann bereute tief, Herrn August Nischan vorzeitig Kognak in den Wein haben gießen zu lassen.

      Grevenhagens Mundwinkel verzogen sich ironisch. »Bei so blutrünstigen Themen sind Sie bereits angelangt, meine Damen und Herren? Ich schließe daraus, daß Sie sich alle recht wohl fühlen, denn nur im Vollbesitze guter Laune und eines gesättigten Magens pflegt der Mensch von Untreue und Tod zu singen. Es würde mich natürlich sehr interessieren, wie Fräulein Hüsch zu der angeschnittenen Frage steht – damit ich rechtzeitig für Eimer und Scheuertücher sorgen kann, wenn der dicke rote Saft angeschossener männlicher Herzen über die Schwelle der Bücherei zu sickern beginnt.«

      Die Tischrunde grinste oder lachte, je nach Temperament. Fräulein Hüsch gefiel es, daß sie so schnell wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt war.

      »Vorläufig keine Gefahr, Herr Ministerialdirigent«, erwiderte sie angeregt. »Ich begnüge mich mit Verwirrungen weniger aufregender Art. Ich gehör’ nicht mal zu denen, die Boxkämpfe sehen müssen diese modernen Turniere.«

      »Es ist sicher ein Vorzug, gnädiges Fräulein, wenn sich eine Dame zur Friedenspalme bekennt, und ich freue mich, wenn Sie in diesem Sinne unter den Nationen der Referate 1 und 2 tätig sind. Auf Ihre Rolle als Mittlerin und unser aller kommende Zusammenarbeit erlaube ich mir das Glas zu heben!«

      Grevenhagen grüßte mit dem Weinglas Fräulein Hüsch. Nischan äugte umher. Der Assessor verrichtete Stoßgebete, daß der halb Betrunkene vorläufig schweigen möge.

      »Damen können wirklich eine ungemein verbindliche Rolle spielen«, sagte Nischan. »Ungemein verbindend. Wie war das doch mit der Palme … oder dem Zweig … Herr Nathan? ›In den Händen … in den Händen … ‹«

       »Friedenspalmen in der Hand,

       wandeln wir zum Abendland.

       Orient zum Okzident,

       und es nimmt ein gutes End’!«

      »Ach, so war das … nein, Nathan … es war doch keine Palme, es war doch ein Zweig …«

      Nischans Bemerkung ging glücklicherweise in der allgemeinen Zustimmung unter.

      Eugen Casparius klopfte ans Glas.

      »Sehr verehrter Herr Ministerialdirigent! Herr Ministerialrat! Meine verehrte Kollegin, liebe Kollegen! Eine Konstellation, die sich seit vierhundert Jahren nicht mehr gezeigt hat, ischt endlich wieder Ereignis geworden: Orient und Okzident haben sich vereinigt, und es ischt ein Reich geschaffe, in dem die Sonne der Arbeit und der von ihrem Licht zum Leuchten gebrachte Mond, nämlich die Kollegialität, nicht untergehen wird. Wir sind alle reichlich verschieden, unser stolzer Loeb läuft auf


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