Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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zugestimmt zu haben. Er setzte sich nicht. Mißgestimmt über sich selbst betrachtete er an der Wand die Bilder glücklicher Familien und edler Vollblutpferde.

      Die gnädige Frau war zu Hause und ließ bitten.

      Johann führte durch die Flucht der vorderen Zimmer, die dem Besucher schon genau bekannt war. Aber Wichmann dachte heute mehr an sein erstes Hiersein als an alle späteren.

      Im Herrensalon am Kamin stand Marion. In der schwarzen Georgette des schlicht gearbeiteten Vormittagskleides waren dunkelrote, mattfarbene Blüten eingewebt. Die Zartheit des Stoffes ließ Arme und Schultern durchschimmern. Die Hand hielt das Blatt mit den Aufzeichnungen Wichmanns über Helmbrechts Äußerungen.

      »Sie haben die Freundlichkeit gehabt, Herr Doktor Wichmann, einen Juwelier Ihrer Heimatstadt wegen des Diadems zu befragen, über das wir kürzlich sprachen. Ich bin Ihnen sehr verbunden für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. Sie haben dem Herrn unseren Namen genannt?« – Die Stimme klang dunkel, samten, wie immer.

      »Ihren Namen habe ich nicht genannt, gnädige Frau.«

      »Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir eine Möglichkeit eröffnet haben.«

      Das Morgenlicht fiel auf Marions Gesicht. Die Haut, vom Schmelz eines hellen Rosenblattes, war sehr gepflegt. Um die Mundwinkel und um die Augen lagen beginnende, noch halb verborgene Falten. Das schwarze Haar war glatt aus der schön geformten Stirn gestrichen.

      Oskar Wichmann machte seine Abschiedsverbeugung, und Frau Grevenhagen reichte ihm die Hand zum Kuß. Er führte die Förmlichkeit aus, ohne die warme Hand mit den Lippen zu berühren. Als er den Kopf wieder hob, trafen sich zwei Augenpaare, die vieles verbargen. Was sie verschwiegen, wußte doch jeder. Es war Feindschaft.

      Oskar Wichmann ging.

      Er ging nicht durch den Park. Seine eiligen Füße suchten die Straßen der Stadt. Im Ministerium sprang er die Treppe des Nebeneingangs über zwei Stufen hinauf, um nicht unpünktlich zum Dienst zu sein. Noch einmal dachte er an die Art, wie Marion Grevenhagen ihm die Hand gereicht hatte. Es war der letzte Versuch, die unausgesprochene Frage gewesen, ob sie ihre Macht über ihn wiederherstellen könne. Nein, Frau Marion. Der Stachel sitzt zu tief, und Sie sollen nie erfahren, daß er gequält hat.

      Oskar Wichmann saß über den Akten und beantwortete Anfragen.

      Dem jungen Manne war zumute wie den Kirchhofgängern, wenn sie nach einer Beerdigung heimkehren. Er hatte das Gefühl eines vollständigen Abschlusses. Wenn die Liebe zu Marion im Hause Musa gestorben war, so war sie jetzt begraben. Endgültig war die schaumumwobene Frauengestalt zu Staub geworden. Er hatte die zurückgebliebene Körperlichkeit, so schön sie auch war, sehen können, ohne daß sein Gefühl mehr berührt wurde, und nur seine Selbstachtung schmeichelte sich mit dem Gedanken, daß Wichmann keine gewöhnliche Frau geliebt habe. Marion Grevenhagen hatte bei dem letzten Gespräch Haltung gewahrt, obwohl ihre Lage dem Untergebenen des Gatten gegenüber weder besonders glücklich noch besonders würdig war. Nun war das Traumbuch der Liebe zugeklappt, das Leben in einer entgötterten Welt ging weiter. Es blieben die Arbeit, der Urlaub, die Kollegen, Dieta. Die Arbeit war das beste, vielleicht war auch der Urlaub gut. Während der Assessor dem kleinen Fräulein Sauberzweig seine Briefe diktierte, erschien ihm eine erste schüchterne Illusion firnbedeckter Gipfel, aus Nebel steigender Felsen. Fort von hier, ja fort! Wichmanns Empfinden war jung. Wenn es auch Trauerkleidung trug, so wandte er sich vom Vergangenen doch der Gegenwart und dem Kommenden zu. Auch hinter dem Alltäglichen des Dienstes und des Freundeskreises lagen für den noch nicht Dreißigjährigen allgemeine Hoffnungen, mögliche Erfüllungen, ein Unbestimmtes, noch nicht Abgegrenztes, das den Schritt lockte. Er hatte einen Fall getan und war dabei, sich wieder aufzurichten, um weiterzugehen. Die Nähe des Urlaubs drang dabei immer tiefer in seine Vorstellungen, um sich allmählich zum Mittelpunkt zu machen. Die Ferien vom Ich, das Spiel der Freiheit, das der auf Zeit entlassene Städter sich selbst vorspielt, hatte für Wichmann in diesem Jahr den Reiz eines Heilmittels, nach dem der Genesende gierig greift.

      Bei der Mittagsrunde in der »Stillen Klause« schlug der Assessor das Urlaubsthema an.

      »Was machen denn unsre hohen Chefs in den Ferien?« wollte die Bibliothekarin wissen.

      »Ha, die lieben sich gegenseitig so arg, daß sie sich gar nicht recht trennen können – jeder meint, er dürfe den andern net allein lassen. Der Boschhofer ischt so besorgt um das Wohlergehen der Abteilung, daß er sich überhaupt noch kein Urlaub ang’setzt hat, und der Nischan nimmt immer bloß acht Tage hintereinander. Der Grevenhagen geht scheint’s Anfang Auguscht, wenn du wieder da bischt, Wichmann. Mehr als drei Wochen bleibt er jetzt net weg, kalkulier’ ich, damit’s ihm im Winter nachher noch zum Skifahre langt.«

      Die folgenden Tage vergingen im Flug, und der Morgen kam, an dem Oskar Wichmann im Touristenanzug Dienst tun wollte, um den Mittagszug vom Büro aus zu erreichen. Der kleine Handkoffer war gepackt und verschlossen, der Rucksack lehnte dick beleibt daneben, und der erwartungsfreudige Urlauber verzehrte Ei und Schinkenbrot. Da klingelte es, und Martha brachte die eingelaufene Post. Das treue Tanzstundenfräulein hatte wieder einmal einen dicken hellblauen Brief geschickt, den man auch in der Bahn lesen konnte. Daneben lag auf dem Tablett ein weißes Herrenkuvert. An die Schrift vermochte sich Wichmann nicht zu erinnern. Der Stempel verriet, daß das Schreiben aus seiner Heimatstadt kam. Wichmann aß sein Ei fertig, schaute auf die Uhr – es war noch Zeit –, dann öffnete er und las. »Lieber Herr Oskar!«

      Na, wer …? Wichmann drehte den festen Bogen um, um nach der Unterschrift zu sehen: Gottfried Helmbrecht.

      Ach, das Diadem! Ob ein reicher Onkel aus Amerika aufgetaucht war?

       »Lieber Herr Oskar!

       Vor zwei Tagen erhielt ich den überraschenden Besuch einer Frau Marion Grevenhagen, die sich als Gattin des Ministerialdirigenten Grevenhagen auswies. Ich erinnerte mich, daß Sie diesen Herrn als Ihren Vorgesetzten erwähnt hatten.«

      Da soll doch der Donner dreinschlagen. Reist das Frauenzimmer hinterher und enthüllt sich …

      »Frau Grevenhagen vermochte mir ihr Anliegen als sehr dringend darzustellen, und da ich annahm, Ihnen persönlich durch Entgegenkommen einen Gefallen zu tun, habe ich mich entschlossen, der Dame gegen die Hinterlegung des Schmuckgegenstandes fünfzehntausend Mark auf zwei Monate zinslos zu leihen …«

      Zinslos zu leihen … Wichmann ließ den Brief auf den Tisch sinken.

      Lieber Helmbrecht, auch du, mein Sohn Brutus – auf deine alten Tage – und du denkst vielleicht, der Wichmann hat Geld und wird einspringen, aus Anstand, wenn die Sache schiefgeht – nein, mein guter Onkel, der Herr Oskar hat auch kein Geld mehr. – Aber die Person war ja wirklich erfolgreich mit ihrer Pumperei.

      Fünfzehntausend Mark waren mehr als das Doppelte von dem, was Helmbrecht für das Stück hatte anlegen wollen, wenn er nicht einen Liebhaber dafür fand. Alle Achtung, Marion, du verstehst das Kreditgeschäft. Betreibst du das vielleicht überhaupt im großen, einmal Geliebte? Wichmann konnte sich eines plötzlich aufsteigenden Verdachts nicht erwehren. Was sollte er Helmbrecht schreiben? Sich bedanken für das Entgegenkommen, als ob ihm damit ein Gefallen geschehen sei? Oder sagen: Mein Bester, ich fürchte, du hast eine Dummheit gemacht? Widerliche Angelegenheit, ausgerechnet zum Urlaubsantritt. Man sollte doch die Hände von den Weibern lassen. »Auf dem Weg zu des Teufels Haus haben die Frauen tausend Schritte voraus« – so oder ähnlich sangen ja wohl die Hexlein am Blocksberg.

      War dieses Weib doch imstande gewesen – und berief sich auch noch auf die amtliche Eigenschaft ihres Gatten und, weiß der Teufel, auf Wichmann. Es wurde immer besser. Herr Bankdirektor Schomburg schien ihr hart auf den Fersen zu sein. Hoffentlich war er der einzige ungeduldige Gläubiger.

      Es tat Wichmann wohl, in so zornigen und groben Ausdrücken über Marion Grevenhagen und auch über den feinen alten Gottfried Helmbrecht zu denken. Er spürte auf einmal den Faden, durch den er immer noch mit der gestorben und begraben geglaubten Liebe verbunden war. Er erschrak wie ein Mann, dem der Geist eines Totgeglaubten wiedererscheint. Er hatte dieses Diadem absichtlich aus seinem Bewußtsein gestrichen gehabt. Nun


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