Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich


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in denen die Totengeister gerne weilen und die sie davon abhalten, ihre alte Wohnung aufzusuchen. Oskar Wichmann hätte auch eine solche Trauerweide für die Erinnerung an Marion und ihre Geldgeschäfte pflanzen sollen. –

      Drüben fuhr das Kabriolett schon ab.

      Der Assessor steckte Helmbrechts Schreiben in die Brieftasche und begab sich auf den Weg zum Dienst. Morgen war er hoch oben auf einer Hütte. Von dort konnte er erst einmal kurz, vorläufig, unverbindlich antworten. Hätte er doch Helmbrecht nie in die Sache hineingezogen! Und nie Marion gesagt, daß sie sich unmittelbar mit ihm in Verbindung setzen könne. Lieber Gott, schicke doch dem alten Esel einen recht verrückten Amerikaner, der wenigstens zwanzigtausend Mark bar hinlegt!

      Als mittags der Zug ratterte und die Sonne schien, zeigte sich die Relativität von Stimmungen. Wichmanns Hoffnungen auf einen unerwartet guten Ausgang der Angelegenheit schwollen auf einmal an. Zwei Tage später, auf dem ersten Gipfel, versank die unangenehme Erinnerung schon unter den tiefen Talnebeln, und er war zufrieden mit sich, daß er am ersten Abend Helmbrecht mit einigen Zeilen gedankt hatte.

      Damit war die Sache vorläufig fortgeschoben.

      Als die Urlaubszeit um war und der brausende Zug einen gebräunten Touristen in die Mauern der Stadt zurücktrug, blieben die Gedanken doch noch bei allem Angenehmen. Wichmann zeigte seine helle Freude, als er Kasper an der Bahn vorfand. Der Freund nahm ihn gleich für den Abend in Beschlag und ergriff den Koffer, während Wichmann den Rucksack schulterte. Ein Telefongespräch verständigte die Geheimrätin, daß der Heimkehrer glücklich gelandet, zu Hause aber erst spät zu erwarten sei.

      Frau Anna Maria im hellblauen Batist hatte ein opulentes Mahl mit einer Spätzle-Riesenschüssel zum Empfang gerüstet, die Drillinge jauchzten dem Onkel entgegen und bekrabbelten seine Beine und Schultern. Dieta erschien, mit Augen wie der Sommerhimmel, sie warf die Locken aus dem Gesicht und lachte nur, wenn sich die kleinen Fäuste von Hilde, Holde und Tilde, wie sie ihre Lieblinge selbständig getauft hatte, an ihrem Kleid festhielten.

      »O nein, Okka, wie fabelhaft du aussiehst! Jetzt mußt du aber erzählen!«

      »Ha ja, wir sind alle furchtbar neugierig, Herr Wichmann, mein Mann ganz besonders. Ischt des wahr, daß Sie eine neue Route gemacht haben?«

      »Eine Variante, Frau Annemarie, auf einer alten Route. Aber es war ganz nett.«

      »Ach, Sie haben einen Weg g’funde, der bequemer ischt als der alte?«

      »Im Gegenteil, ich hab’ eine Nuance herausgefunden, die noch ein bißchen halsbrecherischer ist.«

      »Das versteh’ ich net ganz. Wenn man auf dem alten Weg besser hinaufkommt, warum gehn Sie dann einen neuen unbequemen?«

      »Man sucht den unbequemen, Frau Anna Maria! Warum denn einfach, wenn es auch kompliziert geht, das ist der Ur-Grundsatz von jedem Klettertouristen und jedem Beamten. Aber eigentlich war’s gar kein Verdienst, daß ich die Variante machte, sondern bloß Dummheit und Trotz.«

      »Das ischt selten, daß ein Mann des einsieht. – Jetzt nehme Sie sich nur ordentlich von den Spätzle – ’s gibt schon noch eine zweite Schüssel. Wenn Sie meine Spätzle verschmähe, bin ich tief gekränkt.«

      »Das tue ich Ihnen natürlich nicht an, Frau Annemarie.« Wichmann liebte es, den Namen zu variieren.

      »Und Sie habe sich durchaus den Hals breche wolle?«

      »Ich wollte nicht mehr zurück. Ehrlich gestanden, ich hatte mich einfach verstiegen, war ein Stück zu weit geradeaus gegangen im Kamin, statt rechts auszubiegen …«

      »Hoch die Wichmann-Variante!« Kasper hob das Mostglas, und man stieß an.

      »O du, fein, Okka, das ist tadellos, daß du das gemacht hast. So was möcht’ ich auch mal probieren!«

      »Jetzt laßt aber unsern Oskar nur auch einmal essen, ihr neugieriges Weibergezücht. Er hat doch nur eine Zung und kann sie net teile zwischen verschiedenen Beschäftigungen.«

      Der Hunger nach der langen Reise war ehrlich und wurde auf zuverlässige Art gestillt. Beim Most erzählte Wichmann seine Hüttenerlebnisse, er erzählte von Nachtlagern auf Bänken, Tischen, Strohsäcken, von Schnarchern, Witzbolden und Salontirolern. Dieta konnte nicht genug hören. Mitternacht war schon vorüber, als man sich endlich trennte.

      Wichmann und Kasper begleiteten das junge Mädchen gemeinsam in ihr Studentinnenheim und bummelten durch die warme Augustnacht weiter, Wichmanns Behausung zu. Die Bäume des Parks rauschten leise, die Sterne leuchteten hell und kräftig. Kasper hatte von seinen drei Töchtern und ihren Streichen berichtet und von einer sehr vergnügten Karte des Fräulein Hüsch vom Tegernsee. Wichmann amüsierte sich über die Blicke, mit denen die wenigen Nachtpassanten seinen Rucksack musterten, Casparius schlug bei jeder zweiten Bank vor, den Koffer abzustellen. Es war immer wieder hübsch, ins dunkle Laub zu schauen und noch etwas von dem Sauerstoff der Luft zu atmen, den lebende Pflanzen ausströmen. Von der letzten Bank, auf der man sich niederließ, konnte man in die laternenerleuchtete Kreuderstraße hineinsehen.

      »Da bischt also wieder, Oskar, eingefangen in unserem Räderwerk des Dienstes. Die Geheimrätin hat dir gewiß noch ein ›Betthupferle‹ hingestellt, einen Schokolad oder ein Gutsle oder so was, daß du die erschte Nacht süß entschlummerscht. Morge kommscht du dann wieder in unsre Ottostraße! Der Korts hat deine Vertretung ganz gut g’macht und net viel liege lasse. Du kannscht sanft anfange mit der Arbeit und dich gleich genügend für unsre neueschten Gerüchte interessiere.«

      »Was gibt’s denn schon wieder?«

      »Der Herr Bankdirektor Schomburg geht umher wie ein brüllender Löwe …«

      »Ach, laß mich bloß zufrieden. Was hat er denn schon wieder unternommen, der zwickelnäsige Esel?«

      »Am Samschtag war er beim Grevenhagen.«

      »Woher weißt du denn das?«

      »Ha, im Minischterium ischt er gewesen, des wird unsereins doch noch wissen dürfen. Mit meinem Talent, die Großen der Welt zur unrechten Zeit aufzusuchen, bin ich grad im Vorzimmer g’sesse, wie der Schomburg ’rauskommt. Der Grevenhagen hat mich dann ’reing’holt, aber ich schätze, daß irgendein Gemüsebeet verhagelt war. – Jedenfalls macht er jetzt alles anders, als ich’s hab’ haben wollen.«

      »So, so.«

      »Ja, ja.«

      »Komm, gib mir den Koffer, Kasper, ich trag’ ihn selber heim.«

      »Laß. Ich werd’ doch des Köfferle noch tragen können.«

      Die Freunde erreichten das geheimrätliche Haus. Kasper ließ sich durchaus nicht überreden, mit hinaufzukommen und noch einen französischen ›Cognac‹ zu trinken.

      »Nein, nein, Lieber, du brauchst jetzt den Schlaf! Auf Wiedersehe morgen! Ehrlich – mir tut’s im Minischterium gar nimmer g’falle ohne dich! Ich bin froh, daß du wieder da bischt! Servus!«

      Er machte kehrt, Wichmann sah ihm noch nach, bis er um die Straßenecke verschwand. Dann schloß der Assessor die Haustür auf.

      Auf der Treppe kam ihm schon Marthas flinker Schritt entgegen. Sie griff nach dem Koffer und führte den Assessor in sein gründlich gereinigtes und gelüftetes Zimmer. Auf dem kleinen Tisch stand ein Teller mit Honigplätzchen. Der Assessor sagte »Ah!« und bemerkte, daß er schon wieder essen konnte.

      »Haben Sie sich diese Mühe gemacht, Martha, für mich zu backen? Das ist sehr freundlich von Ihnen. Die Plätzchen sind wirklich gut.«

      »Darf ich noch einen Tee bringen? Oder sonst etwas?«

      »Danke, danke, nein. Es ist allmählich Schlafenszeit.«

      »Der Herr Assessor ist nach der langen Reise sicher sehr müde?«

      »Es geht. Seit vier Uhr früh unterwegs. Aber morgen müssen wir wieder zum Dienst frisch sein.«

      »Ja, der Herr Assessor ist immer so fleißig. Aber der Urlaub war hoffentlich schön?«


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