Anders – aber trotzdem glücklich. Anke Dalder

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Anders – aber trotzdem glücklich - Anke Dalder


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Kinder aus dem Haus waren, hatte sich daran nichts geändert. Nachdem im November 2003 unsere Tibet-Terrier-Hündin Lou-Lou über die Regenbogenbrücke gegangen war, war es entsetzlich leer im Haus. Und Heinrich, ein zwölfjähriger Dobermann und unser sporadischer Pflegehund, war wieder einmal bei seiner Besitzerin.

      Eines Tages stöberte ich im Internet und sah Nuria: Auf der Homepage einer spanischen Tierschutzorganisation wurde die sechsjährige Hündin vorgestellt. Es hieß, sie sei sehr groß, ein Pastor-Malloquin-Mix mit schwarzem Fell und auf einem Auge blind. Auf dem Foto war Nuria nicht besonders gut zu erkennen, aber irgendetwas fesselte mich an diesem Hund. Drei Tage lang rief ich immer wieder die Internetseite auf und schaute mir das Foto an. Schließlich nahm ich mir ein Herz und sprach mit meinem Mann. Seine Meinung war hart, aber ehrlich: »Was willst du mit so einem großen Hund, den du nicht kennst? Warum aus Mallorca und nicht, wenn schon aus zweiter Hand, hier aus dem Tierheim? Was ist, wenn er eine unbekannte Krankheit hat? Wir wissen nichts über diesen Hund, was er frisst, ob er stubenrein oder leinenführig ist. Wer soll den Hund beaufsichtigen, wenn wir nicht zu Hause sind? Vor allem aber: Denke an Heinrich, er ist alt. Was passiert, wenn die beiden sich nicht verstehen, vielleicht sogar beißen?« Viele offene Fragen ließen meinen Mann und mich Nächte hindurch diskutieren. Trotzdem wählte ich die im Internet angegebene Telefonnummer auf Mallorca an und wollte mehr über die Hündin wissen. Ich kam einfach nicht von ihrem Foto los und auch der Name gefiel mir. Was ich erfuhr, verstärkte meinen Wunsch, Nuria zu uns zu holen. Irgendwann sagte dann auch mein Mann Ja und ich weiß, dass es eine überzeugte und freudige Zustimmung war.

      Nach Absprache der Formalitäten mit der Tierschutzorganisation kam schließlich der 12. Februar – der Tag, an dem wir wieder richtige Hundebesitzer werden sollten. Keiner unserer Freunde oder Familienangehörigen wusste von unserer Entscheidung. Wir waren mächtig aufgeregt. Spätabends übergab uns eine Flugpatin unser »Paket« auf dem Flughafen Berlin. Wegen der übergroßen Transportbox hatten wir uns einen Van geborgt, mit dem wir nun nach Hause fuhren. Bei der Ankunft hatten wir lediglich etwas sehr Ruhiges, Schwarzes in der Box sehen und mit den Fingern durch die Gitterstäbe berühren können. Nuria war noch von einer leichten Narkose benommen, die sie gegen den Flugstress erhalten hatte. Zu Hause angekommen, öffneten wir die Tür der Hundebox und leinten Nuria sicherheitshalber an. Da stand sie nun vor uns, die große schwarze Hündin, aber sie bewegte sich nicht, keinen einzigen Meter. Mit ihren traurigen braunen Augen – in einem war ein dick hervortretender, offensichtlich erkrankter Augapfel zu erkennen – schaute sie uns an. Mein Mann und ich fanden sie bildschön und spürten sofort eine große Zuneigung zu ihr. Vorsichtig zog mein Mann an der Leine, um die Hündin ein paar Schritte in den Garten zu führen. Ohne Widerstand kam sie mit und auch wieder zurück ins Haus, das sie vorsichtig zu erkunden begann. Dicke Teppiche hatte sie noch nie mit ihren Pfoten ertastet und in einen Spiegel zu schauen, war ihr auch gänzlich unbekannt.

      Natürlich sollte Nuria mit uns im Haus wohnen. Im Korridor war ihr Platz vorbereitet, ausgestattet mit einer großen, neuen Hundematratze. Da es schon sehr spät in der Nacht war und wir dem armen Tier Ruhe nach diesem langen Tag gönnen wollten, gingen wir ins Bett. Nuria legte sich auf ihre bequeme Matratze, aber so ganz recht schien ihr das zunächst nicht zu sein. Wir rechneten damit, dass sie bellte oder jaulte, erwarteten Pfützen im Korridor, angeknabberte Schuhe oder Taschen und eine kurze, unruhige Nacht. Doch am nächsten Morgen begrüßte uns ein artig auf seinem Platz liegender Hund, der sogar schon ansatzweise mit dem Schwanz wedelte. Nichts war kaputt; kein Haufen, keine Pfütze waren zu sehen. Wir grüßten in unserer »Hundesprache« zurück; freundlich, mit etwas höherer Stimmlage und vielen Streicheleinheiten.

      Dann war alles wie immer. Ich bereitete das Frühstück vor, während mein Mann den ersten Gassigang mit unserem Hund machte. Ein ehemaliger Grenzstreifen direkt in unserer Nähe war für all unsere bisherigen Hunde ein beliebtes Auslaufgebiet gewesen. Für den ersten Gassigang war dieser Ort ideal: keine Autos und eine überschaubare Anzahl neuer Eindrücke. Als mein Mann nach einer halben Stunde strahlend wiederkam, sagte er nur, die Hündin sei fantastisch und ein Schleifenband als Leine hätte es auch getan. Nuria begrüßte mich abermals mit einem aufmerksamen Blick und einem zaghaften Schwanzwedeln.

      Nun stand die erste Mahlzeit an. Wir fütterten den Hund mit einer Kombination aus Trocken- und Dosennahrung, so wie sie Heinrich immer bekommt, wenn er bei uns ist. Auch hier rechneten wir damit, dass Nuria mäkeln oder vielleicht auch ihren Futternapf gegen uns verteidigen würde. Aber sie fraß ihre Portion wie selbstverständlich aus dem erhöht stehenden Fressnapf. Wieder waren wir mehr als überrascht. In den ersten drei Tagen wiederholten wir absichtlich den gleichen Tagesablauf. Wir wollten Nuria langsam an die fremde Umgebung und ihr neues Leben gewöhnen. Deswegen duldeten wir auch keinen Besuch, obwohl wir natürlich Nuria zu gerne allen auf einmal vorgestellt hätten. Wir gingen viel mit der Hündin spazieren. Sie wich keine Leinenlänge von uns und erledigte ihre Geschäfte immer draußen. Am schönsten fand sie es offenbar, andere Hunde zu treffen. Egal ob es Rüden oder Hündinnen waren, groß oder klein, ob sie bellend oder ruhig auf sie zukamen – jeder wurde freundlich begrüßt. Schon am vierten Tag ließ mein Mann Nuria frei laufen. Ohne Kommando, fast nur bei Fuß gehend, blieb sie bei uns.

      Natürlich ließen wir Nuria gleich nach ihrer Ankunft tierärztlich untersuchen, obwohl sie einen gültigen Impfpass hatte und eine negative Titerbestimmung über Mittelmeerkrankheiten. Nuria ertrug sämtliche Prozeduren gelassen und voller Vertrauen. Eine Fachtierärztin für Augenheilkunde untersuchte ihr blindes Auge. Die Befürchtung, es könne sich um einen Tumor handeln, ließ uns nicht los. Die Ursache ihrer Erblindung blieb unklar, aber laut Aussagen der Tierärztin kann die Hündin hervorragend damit leben, benötigt keinerlei Medikamente, nur regelmäßige Kontrolluntersuchungen. Nuria selbst scheint ihr blindes Auge in der Tat überhaupt nicht zu stören, sie hat sich offenbar längst an das eingeschränkte Sehen gewöhnt. Wenn wir spazieren gehen, läuft sie jedoch ausschließlich rechts von uns, weil sie dann ihre Umgebung mit dem rechten, sehenden Auge fixieren kann und links den Körperkontakt zu uns wahrnimmt. Wir sind sprachlos, fast schon irritiert wegen der großen Anzahl ihrer guten Eigenschaften. Nuria lernt hervorragend schnell: Autofahren – kein Problem; Katzen – kein Problem; mit anderen Hunden spielen und dann von Herrchen oder Frauchen abgerufen werden – kein Problem. Inzwischen beherrscht sie viele Grundgehorsamkeits-Kommandos und führt diese zuverlässig aus. Als die ersten Besucher zu uns ins Haus kamen, verhielt Nuria sich zwar sehr zurückhaltend, aber immer freundlich. Ihre Freude und Anhänglichkeit zeigt sie uns inzwischen immer mehr, indem sie häufig mit dem Schwanz wedelt, »Pfötchen gibt« oder uns übers Gesicht leckt. Manchmal legt sie uns ihre Vorderpfoten auf die Schultern und wir schauen uns Auge in Auge an. In solchen Momenten habe ich nur einen Gedanken: Wie kann ein derartig liebenswerter Hund jemals ausgesetzt worden sein?

      Nuria wurde zum Glück gerettet. Die Tierschutzorganisation auf Mallorca hatte sie aus der dortigen Tötungsstation befreit. Wir würden gern mehr über unsere Hündin wissen: Wo und wie lebte sie vorher? Wie alt ist sie wirklich – die Tierärzte schätzen sie erst auf zwei oder drei Jahre – und warum zeigte sie anfänglich Furcht und Misstrauen gegenüber gewöhnlichen Hausratsgegenständen? Woher stammt ihre »Macke« – die sie sich allerdings inzwischen weitgehend abgewöhnt hat –, benutzte Papiertaschentücher aufzustöbern und dann im Maul herumzutragen? Weshalb hegt sie Fremden gegenüber noch heute eine Zurückhaltung, obwohl sie doch jetzt mit vielen Menschen zusammenkommt, die sie lieben und wegen ihres sanften Wesens und ihrer Schönheit streicheln wollen? Welchen Grund hatte ihre Angst vor Ball- oder Stöckchenspielen? Wieso geht sie manchmal in Deckung vor einer plötzlichen Armbewegung? – Es gibt viele Fragen, auf die wir wohl nie eine Antwort erhalten werden.

      Als Nuria etwa zwei Wochen bei uns war, hatten wir auch wieder große Sehnsucht nach Heinrich, unserem lieben Dauerpflegehund. Wir wollten sehen, ob sich die beiden verstehen würden, und hofften sehr auf ein gutes Zusammenleben, wie wir es seinerzeit zwischen Heinrich und Lou-Lou auch erlebt hatten. Deshalb trafen wir uns mit Heinrichs Besitzerin zum gemeinsamen Waldspaziergang. Nuria sprang, wie immer freundlich und kontaktfreudig, auf Heinrich zu. Dieser war davon gar nicht begeistert, zeigte Nuria erst einmal seine alten Zähne und wies sie damit in ihre Schranken. Wir hatten den Eindruck, dass Heinrich sich nicht wohlfühlte. Irgendwie kam er uns verändert vor. Er war sehr dünn, seine Augen hatten einen unglücklichen, traurigen Blick und er lief schlecht;


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