Von Blüten und Blättern. Elisabeth Göbel

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Von Blüten und Blättern - Elisabeth Göbel


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September, Sonntag

       19. September, Montag

       21. September, Sonntag

       26. September, Montag

       4. Oktober, Dienstag

       5. Oktober, Mittwoch

       15. Oktober, Samstag

       29. Oktober, Freitag

       31. Oktober, Montag

       2. November, Mittwoch

       8. November, Dienstag

       9. November, Mittwoch

       14. November, Montag

       24. November, Donnerstag

       25. November, Freitag

       28. November, Montag

       29. November, Dienstag

       8. Dezember, Donnerstag

       11. Dezember, Sonntag

       20. Dezember, Dienstag

       24. Dezember, Samstag

       31. Dezember, Samstag

       Impressum

       »Es gibt im Grunde nichts, was dem Dichten so nahe steht, als ein Stück lebendiger Natur nach seiner Phantasie umzugestalten.«

      Hugo von Hofmannsthal

      Coreopsis – Mädchenauge

      1. Januar, Samstag

      Ich lese – Sofa- und Bettlektüre im Winter – einen englischen Roman, Michael Cunninghams By nightfall. Die New Yorker Kunst- und Galeristenszene, ein durch Schönheit verführbarer Lebensästhet und eine Ehegeschichte, die Sprache anspruchsvoll, was für ein Vergnügen, bei allem, was man jetzt so liest, und fremde Vokabeln zwingen mich zur Disziplin, ich greife nach dem Wörterbuch. Und sollte doch eigentlich Wörter suchen für das, was ich in meiner Muttersprache beschreiben will. Den Garten der Kindheit. Schnee. Mein Vater in Russland. Schnee. Ein Schwein wird geschlachtet. Nein, das lassen wir weg, es war eine Schwarzschlachtung im Winter 47. Schnee: Den Garten der Gegenwart. Warum lese ich nicht Adalbert Stifters Bergkristall? Oder noch einmal die großartige Schneeszenerie, in der sich Hans Castorp verliert. Oder Fräulein Smillas Gespür für die weiße Pracht – wer zum Kuckuck, war doch gleich der Autor? Oder Hemingways Schnee auf dem Kilimandscharo, dessen Held sich, das gefällt mir, das »Fett von der Seele herunterarbeiten« will, indem er schreibt. Seitenlang Schnee bei Stifter und Thomas Mann. Mein weißes unbeschriebenes Blatt.

      Tag für Tag ein Blatt; weißes Blatt, grünes Blatt – über den Garten schreiben, übers Schreiben schreiben.

      Wir haben Schnee seit Anfang November, Berge von Schnee allüberall, viel zu viel Schnee, doch das Wegschieben am Morgen gleich nach dem Aufstehen war und ist mir ein Genuss. Die Welt ist weich und leise, die Luft voll Geflimmer und so sauber wie sonst nie. Keiner darf vor mir die Wege betreten, weil unter jedem Tritt sich sogleich eine fußgroß kalte Pracht zusammenklumpt, die sich dann nicht mehr wegschieben lässt. Einen schmalen Pfad habe ich freigeschoben, damit die Anstrengung der lustvollen Betätigung nicht allzu groß werde, der Mann wird ihn später verbreitern, wird Schneeberge aufhäufen, von keinem Schmutz getrübtes Weiß. Locker war der Novemberschnee, als der frühe Winter begann, und feiner als Zucker, von der Küche trieb ich meinen Pfad bis zum Briefkasten, jeden Morgen, um die Zeitung zu holen. Dann Kaffee trinken in der warmen Küche und das Neueste aus aller Welt hereinholen. Eine unaufgeregte Ehegeschichte im Buch, das neben der Kaffeetasse liegt. Die Schneemengen lassen den Alltag so unwirklich erscheinen, so herausgeschält aus dem Gewöhnlichen. Allüberall; von jedem Fenster ein anderer Ausblick, eine andere Kinderfreude, beschneite Birkenäste, Tannenzweige, die schwer geworden sind, der Bambus, der sich unter dem ungewohnten Gewicht zum weißen Tuch des Bodens hinabbeugt. Schnee, der auf den Bambus fällt. Immer wieder war ich draußen, um mit einem Besen das Kindervergnügen von den Halmen herabzuschütteln. Fröste machen ihm nichts aus, aber die Schneelast zwingt ihn in die Knie. Ein leises Rascheln, die Blätter sind trocken, aber grün, weißes Gestöber kommt auf mich herab, und sogleich richten sich die biegsamen Zweige wieder auf, befreit aus der Zwangslage durch die zu Eis verkrustete obere Schneeschicht. Das Bambusrohr bricht nicht, sondern gibt nach und steht auf, sobald es von seiner Last befreit ist.

      Heute ist Neujahr, und die Temperatur ist über den Gefrierpunkt gestiegen. Überall liegen Reste der nächtlichen Lichtershow herum, fallen schmutzig ins Auge auf dem gestern noch schneeweißen Papier. Raketenstäbe, die aus den Nachbargärten herüberkamen, trage ich zusammen, sie werden die Sommerblumen stützen. Noch sind die Konturen der Beete und des Weges verborgen, nur auf den durchs Weiße gezogenen Schneisen – zur Holzstapelwand, zum Komposthaufen, zum Apfelschuppen – schimmert die Wiese hervor. Unter der Schneedecke ist der Rasen gut geschützt, bleibt grün und frisch den Winter über, wo aber durch das Schneefegen die Grasnarbe freigelegt ist, wird man später die Frostschäden sehen, eine falbfarbene Spur. Der Garten hat keine Sommerwege mit Ausnahme der Auffahrt von der Straße zum Haus und vom Haus zum Hinterhaus, sonst ist überall Wiese, jetzt ist überall Schnee. Im Sommer gibt es keine Trampelpfade, weil wir immer wieder andere Wege gehen, mal hier mal da, wo es gerade etwas zu sehen oder zu tun gibt. Jetzt gibt es nur die Schneisen im Schnee.

      Neujahr also, der Himmel grau. Den ganzen Tag über rutschen gewaltige, mit Eisbrocken vermischte Lawinen vom Dach und blockieren Haustür und Terrassentür, Eisklumpen wie Kohlköpfe groß, jetzt haltet euch fern von diesem gefährlichen Haus.

      2. Januar, Sonntag

      Die evangelischen Sternsinger kommen, um das Haus zu segnen, eine katholische Tradition, die sich jetzt im protestantischen Brandenburg verbreitet. Sie kommen ein paar Tage zu früh, denn eigentlich ist der 6. Januar die rechte Zeit für die kleinen Heiligen, die »Weisen« aus dem Morgenland. Als ich am späten Morgen die Zeitung vom Briefkasten hole, höre ich schon die Kinderstimmen auf der Straße. Gelb, gold und grün sind ihre Festkleider, Turbane tragen sie und einen glänzenden Stern, nur die dicken Winterstiefel passen nicht so recht zu der königlichen Pracht. Ein Stern führte


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