2136. Tino Hemmann

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2136 - Tino Hemmann


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sanken überraschend schnell. Opferzahlen konnten nicht genannt werden. Ein paar verbliebene Wissenschaftler verzeichneten jedoch insgesamt eine leichte Erholung der Erde. Häufigkeit und Stärke von Unwetterkatastrophen nahmen ab, das Poleis wieder zu, was an den rückgängigen Bevölkerungszahlen und dem Niedergang der Industrie gelegen haben durfte.

      Dieser Fakt hielt die Regierungen der verbliebenen Völker jedoch keineswegs davon ab, den Dritten Weltkrieg nach einer durch die Natur aufgezwungenen Erholungspause fortzusetzen.

      Ein perfider Plan des Großkalifen ließ mehrere Tausend zivile Flugzeuge gleichzeitig gen Norden starten – vollgepackt mit einer Fracht aus Bomben, Granaten und chemischen Kampfmitteln. Die Selbstmordbesatzungen leisteten ganze Arbeit, mehr als 70 Prozent von ihnen durchdrangen die löchrige Luftabwehrlinie des Nordens. Erstaunlicherweise hatte es die Morgenlandarmee diesmal auf zivile und industrielle Einrichtungen abgesehen. Mit perfider Genauigkeit wurden Kraftwerke – darunter auch Atomkraftwerke – sowie große industrielle und militärische Anlagen vernichtet. Kurz darauf übernahm die Morgenlandarmee den kompletten südamerikanischen Kontinent. Die meisten dortigen Regenten ergaben sich der Übermacht. Es waren kaum Kampfhandlungen zu verzeichnen, und doch starben von den 400 Millionen Menschen fast 80 Prozent in Vernichtungsfabriken des Großkalifats.

      Da große Truppenteile der MLA nicht zugegen waren, erfolgte die taktisch klug getimte »Operation Sturmfeuer« der Europäer, in der das Wort »schlachten« Einzug hielt und schon bald gesellschaftsfähig wurde. Sturmfeuer fegte über Russland, Nordafrika und den Nahen Osten hinweg, schlachtete unzählige Zivilisten ab und geriet schließlich in den Kessel von Ar Riyad, wo die europäischen Truppen durch die eintreffenden Truppen der MLA praktisch komplett aufgerieben wurden. Nach Anweisung des Großkalifen durften keine Gefangenen gemacht werden. Nicht ein einziger europäischer Soldat kam zurück. Die meisten russischen Städte galten als zerstört und unbewohnbar.

      Die Demografen prognostizierten, dass zur Jahrhundertwende auf der Erde nur noch 1,1 Milliarden Menschen leben würden, und deren Zahl sank stetig. Zu Beginn des Krieges waren es noch 8,2 Milliarden gewesen. Der Superkrebs, hervorgerufen durch nukleare und chemische Verseuchung, hatte ganze Volksgruppen dahingerafft. Da ein Satellit nach dem anderen zu Weltraumschrott wurde oder in der Atmosphäre verglühte, versagten auch die elektronischen Medien. Das Internet brach komplett zusammen, ebenso verschwanden die mobilen Verbindungsgeräte und mangels Treibstoff auch die meisten Flugzeuge, Pkws und Lkws. Sie verrotteten und verrosteten oder ihre Substanzen wurden zu Handfeuerwaffen verarbeitet. Die meisten Städte wurden unbewohnbar.

      Eine geheime Konferenz in Europa folgte, bei der sich fast alle anwesenden Vertreter für die Gründung der Europäisch Demokratischen Republik aussprachen. Klare Grenzen wurden festgelegt und man entwarf Pläne zur Befestigung und Verteidigung. Zudem sollten wissenschaftliche Ressourcen in die Erbforschung und in die körperexterne künstliche Befruchtung umgelenkt werden. Standorte für neue Großstädte wurden festgelegt, die durch ein Tunnelsystem miteinander verbunden werden sollten. Die neuen Städte wurden durch gigantische Kuppeln aus meterdickem Panzerglas geschützt und konnten jeweils eine Millionen Menschen aufnehmen. Viele Jahre später existierten zwölf solcher Städte. In der Kuppelstadt mit dem Namen »Neuberlin« entstand das neue Machtzentrum »Noviregnum«, der Sitz Der Zehn, einer neuen Regierung der Europäischen Demokraten.

      Jahre später waren die Armeen auf beiden Seiten auf wenige Frauen und Kinder geschrumpft und man begann damit, immer jüngere Fußsoldaten an die Fronten zu schicken.

      Jenseits der Städte lebten die Abtrünnigen. Zur klaren Unterscheidung entwickelte man das Chipsystem, das zunächst zur Überwachung der Retortenkinder genutzt wurde, wobei ausschließlich männliche Kinder erzeugt wurden, die man »Educares« nannte und für Kriegshandlungen einzusetzen gedachte.

      Der Krieg spielte sich nun, da es fast keine großen Waffensysteme mehr gab und diese auch offiziell nach den Gesetzen Der Zehn nicht mehr produziert werden durften, entlang der Demarkationslinie zwischen EDR und IML ab. Hin und wieder kam es zu kleineren Schlachten, sodass der Krieg ganz offiziell noch weitergeführt wurde. Die meisten Kuppelmenschen lebten im Raum zwischen dem ehemaligen Moskau und dem ehemaligen Warschau, in dem die europäischen Kuppelstädte kreisförmig angeordnet waren. Alle alten Städte Europas wurden aufgegeben und zu Sperrgebieten erklärt. In Nordamerika, Australien und weiten Teilen Asiens existierte kein menschliches Leben mehr.

      Entlang der großen Gebirge wurden die wichtigsten Stellungen gebaut und das Rottensystem eingeführt, dem die meisten Educares zugeführt wurden. Diese Kindersoldaten nannte man »Spunde«, die Befehlsgewalt oblag einer Rottenmarschallin, die zu Den Zehn gehörte. Die Rottenquartiere mit bis zu jeweils zweitausend Spunden nahmen zahlenmäßig rasch zu und wurden entlang der Pyrenäen, Alpen, Apenninen, dem Balkan und dem Uralgebirge in alten und neuen Höhlensystemen aufgebaut.

      Geheime Pläne der Parlamentarier bereiteten bereits einen Großangriff auf die natürlichen Ressourcen der Morgenländler vor, der erst in dem Moment gestartet werden sollte, wenn die Vielzahl der Spunde ein kampffähiges Alter erreicht haben würde.

      Auch auf natürlichem Wege kamen sowohl in den Kuppelstädten als auch bei den Abtrünnigen Kinder zur Welt, wobei dort die Anzahl der Mädchen deutlich überwog.

      Ältere Spunde wurden an die Brennpunkte der Demarkationslinie verlegt oder zum Schutz der Kuppelstädte vor den Abtrünnigen eingesetzt. Andere Spunde übernahmen die Treibjagden auf Abtrünnige. Anfänglich waren viele der erwachsenen Abtrünnigen, die aufgegriffen wurden, durch die Strahlung verseucht und die meisten Kinder verkrüppelt. All jene wurden sofort geglättet.

      Später gab es die Anweisung, dass aufgegriffene Jungen unter acht Jahren – man bezeichnete diese als Räudiger –, die nachweislich gesund und kampffähig waren, gechippt und der Spundausbildung in den Rotten zugeführt werden sollten, wobei die Parlamentarier stets dafür Sorge trugen, dass die Räudiger ihrer Herkunft nach wie Sklaven zu behandeln waren. Daraus entwickelte sich ein allgemeines Gefühl von Hass zwischen Educares und Räudigern.

      Auf einer großen, unverseuchten Halbinsel im Norden Europas, die den Namen »Schiereiland« erhielt und durch die Japankatastrophe entstanden war, schuf man die bedeutsamen Produktionszentren der EDR, darunter auch die Educares-Kultur – die Zuchtstation für Spunde – und die Beutemast, in der gefangene Räudiger aufgezogen wurden.

      Im Jahr 2136 befand sich die Menschheit bereits im hundertzwanzigsten Kriegsjahr des Dritten Weltkrieges.

       Passus 2

       Das ausschließliche Bestimmungsrecht über alle Belange der EDR liegt bei Den Zehn – den Demokraten –, wobei jeder Der Zehn für sich selbst einen Nachämter festsetzt.

      Im Gleichschritt marschierten sie fast lautlos zum Terminal. Der dünne Stoff unter ihren Füßen war keineswegs mit einer festen Ledersohle zu vergleichen. Jedes Steinchen bohrte sich in die geschundenen Füße der Spunde. 01-Spundgruppenführer-Elia lief links vorn neben der ersten Linie, das Kinn leicht angehoben, die rechte Hand schwingend, die linke am GMG. Er schnalzte im Takt der Schritte und alle richteten sich danach.

      Sie marschierten in Linien zu je sechs Spunden. Eine solche Linie wurde militärisch mit »Zweig« bezeichnet. Elia gehörte keinem Zweig direkt an. Der Führer eines Zweiges, der immer links in der Linie zu laufen hatte, bekleidete den Dienstgrad »Spundzweigboss«. In der Hierarchie war also die Rottenführerin ganz oben, gefolgt vom Spundgruppenführer, Spundzweigboss bis hinunter zum Spund. Wobei die Spundzweigbosse ebenfalls immer Educares waren, allerdings wenig zu sagen hatten.

      Zu Beginn des Ausbildungsjahres waren es zweiundvierzig Jungen gewesen, nur sechsunddreißig hatten bis zu diesem Tag überlebt. Die fünf Geglätteten waren ausnahmslos Räudiger gewesen, während ein Educares nach einem Sturz aus dem Bett gestorben war.

      Die sechs Jungen eines Zweiges verbrachten die Nächte in einem sechsstöckigen Bett. Die Betten waren aus Kunststoff und einschließlich der Liegefläche aus einem Stück gefertigt. Jeder Spund nutzte seine raue Decke aus dem gleichen dünnen, grauen Stoff, aus dem auch die Shortshirts


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