Ein Haus voller Robinsons. Adrian Plass

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Ein Haus voller Robinsons - Adrian Plass


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Entschuldigung. Ich war so dumm, anzunehmen, wir wären uns vielleicht alle darüber einig, dass das eine ziemlich treffende Definition von Nacktheit ist.“

      „Nein, ich meine, das war bloß ungefähr eine halbe Sekunde lang, weil mir das Handtuch heruntergerutscht ist. Außerdem wusste ich sowieso nicht, dass sie da war, und überhaupt war das alles ein Versehen. Und ich habe auch nicht ihr diesen Witz erzählt, sondern ich habe ihn mir nur selber laut vorgelesen.“

      „Ja ja, bei dir ist alles immer ein Versehen, stimmt's, Mark? Du tust eigentlich nie etwas mit Absicht, was?“

      Warum habe ich immer das Gefühl, ich selber würde terrorisiert, wenn ich mit Mark schimpfe? Ich machte mich daran, die Liste seiner Sünden herunterzuleiern, wobei ich bei jedem Punkt mit der rechten Faust in die linke Handfläche schlug, während ich ihn zwischen den knirschenden Zähnen hervorpresste.

      „Du machst Chaos, du bringst mich in Verlegenheit, du bringst mich dazu, grob zu jemandem zu sein, der überhaupt nichts Falsches getan hat, und dann sagst du mir, das sei alles nicht deine Schuld, weil es nur ein Versehen war. Also, jetzt sage ich dir mal, was deine Schuld ist. Du denkst nicht nach! Das ist deine Schuld, oder etwa nicht? Du nimmst andere Leute überhaupt nicht wahr. Wenn du aus einer Situation keinen persönlichen Nutzen ziehen kannst, dann interessiert sie dich einfach nicht. Sie existiert für dich überhaupt nicht!“

      „Ist ja nett - so denkst du also über mich, ja?“

      „Kathy, findest du nicht -“

      Ich fuhr zu meinem Mann herum und hielt ihm warnend den Finger vors Gesicht.

      „Nur dieses eine Mal, Mike, bitte, nur einmal lass mich sagen, was ich zu sagen habe, ohne dazwischenzugehen und Marks Partei zu ergreifen.“

      Ich wandte mich wieder meinem Sohn zu, der jetzt ganz still dasaß und wieder das Ende des Tisches studierte.

      „Möchtest du, dass ich dir erzähle, nur so interessehalber, wie ich es immer schaffe, den Kamm wieder zu finden, den du dir jeden Morgen von mir leihen musst, weil du jeden eigenen Kamm, den du jemals bekommst, innerhalb von drei Minuten verlierst? Möchtest du das?“

      Schweigen.

      „Na, möchtest du das?“

      „Eigentlich nicht.“

      „Er ist immer genau an derselben Stelle, Mark. Mitten auf dem Teppich in der Diele unter dem Spiegel, da finde ich meinen Kamm. Und da liegt er, weil du ihn, sobald du mit deinen Haaren fertig bist, einfach fallenlässt! Ich habe schon oft dabeigestanden und dich beobachtet. Sobald du mit deinen Haaren zufrieden bist, öffnen sich unwillkürlich deine Finger, und der Kamm fällt aus deiner Hand auf den Boden. Er existiert für dich einfach nicht mehr, verstehst du, weil du keine Verwendung mehr dafür hast. Ich fürchte sehr, dass das genau die Art und Weise ist, wie du auch Menschen behandelst, Mark, und das musst du ändern, denn wenn du einmal von hier weggehst, wird das niemand mehr so einfach hinnehmen, wie wir das tun.“

      „So machst du das immer!“ Die Worte schienen aus Mark herauszuplatzen.

      „Immer hackst du auf meinem ganzen Leben herum, wenn ich irgendwas falsch mache. Immer reibst du mir alles unter die Nase, was ich nie mache und was ich immer mache. So gut kennst du mich gar nicht, wie du immer denkst! Ich habe bloß einen Witz vorgelesen und den falschen Löffel genommen - das ist alles, was ich getan habe! Du suchst ja dauernd bloß nach Gründen, um auf mir rumzuhacken. Ich will gar kein Müsli mehr.“

      Plötzlich fing seine Unterlippe an zu zittern, wie sie es so oft getan hatte, als er noch klein war. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er stieß seine Riesenschüssel von sich, dass sie über den ganzen Tisch schlitterte, und rannte aus dem Zimmer, immer noch dieses lächerliche Handtuch um die Hüften klammernd.

      Dunkelheit erfüllte mich. Ich hatte meinen Sohn zum Weinen gebracht. Warum? Wozu?

      Mike ließ sich müde auf den Stuhl sinken, den Mark gerade verlassen hatte, und schüttelte verwirrt den Kopf. Ich drehte mich zur Spüle um und begann, geräuschvoll die Spülmaschine auszuräumen und mit dem schmutzigen Geschirr vom Vorabend wieder zu füllen. Innerlich war ich voller Scham und Zorn über mich selbst. In den letzten Wochen hatte ich mehr oder weniger erfolgreich darum gekämpft, die atemberaubende Wut herunterzuschlucken, die Marks Verhalten immer wieder in mir hervorrief, und jetzt hatte ich in ein paar Augenblicken der Nachlässigkeit alles wieder zunichte gemacht und war wieder auf dem Startfeld angelangt - nein, wahrscheinlich auf dem Feld vor dem Startfeld, wo man erst einmal eine Sechs würfeln muss, bevor man überhaupt wieder aufs Spielfeld darf, geschweige denn vorwärts ziehen.

      „Kath, hast du dir die Sache mit dem Besuch bei Pete und Dawn schon überlegt?“

      Oh, wie ich es hasse, wenn Leute versuchen, mich zu managen. Ich wusste genau, was Mike vorhatte. Da er genau wusste, dass im Augenblick mit mir über das, was gerade passiert war, unmöglich auf ruhige und gesittete Art zu reden war, schlug er einen weiten Konversationshaken, so ähnlich wie diese cleveren Hütehunde im Fernsehen, um mich dann im richtigen Moment unausweichlich in die Enge zu treiben. Und er hatte seine Route mit Bedacht gewählt.

      Mein älterer Bruder Pete, den ich seit Anbeginn der Zeit tief verehrte, war vor fünfzehn Jahren mit seiner Frau nach Australien ausgewandert. Nicht, dass ich immerzu nur an meinen großen, dunkelhaarigen, lachenden, seine kleine Schwester liebenden Pete gedacht hätte, aber hin und wieder durchfuhr mich ein wirklich schmerzhafter Krampf bei dem Gedanken, dass ich ihn vielleicht nie wieder von Angesicht zu Angesicht sehen würde und dass meine beiden hübschen Nichten in Brisbane aufwuchsen, ohne je ihre Tante kennen zu lernen, deren Fähigkeit, Leute Tag für Tag auf die Palme zu bringen, eine Fernsehserie wie „Die Lindenstraße“ noch abgestandener wirken lässt, als sie es tatsächlich ist. Ich hatte immer vorgehabt, etwas von dem Geld, das meine Mutter mir hinterlassen hatte, dafür zu verwenden, hinzufliegen und sie zu besuchen, aber Sie wissen ja, wie das mit Geld ist. Es wird ausgegeben. Doch dieses Jahr, sogar genau in einer Woche, sollte ich meinen fünfzigsten Geburtstag feiern. Wir hatten noch zweitausend Pfund auf einem Building-Society-Konto liegen, das wir vor ein paar Jahren, als die mit Zinsen um sich warfen wie ein Düngerspritzgerät zur Pflanzzeit, auf Jacks schlauen Rat hin eröffnet hatten. Zu meiner Überraschung hatte Mike vorgeschlagen, dass das Geld dazu verwendet werden sollte, Felicity und mich zu einem Familientreffen zu den Antipoden zu schicken.

      Wunderbar, nicht? Ja, natürlich, aber haben Sie schon einmal gemerkt, was alles Komisches passieren kann, wenn einem endlich etwas angeboten wird, das man schon immer wollte? In viel kleinerem Maßstab hatte ich das schon umgekehrt erlebt, nämlich bei jenen seltenen Gelegenheiten, bei denen mein Sinn für Dramatik mich zu dem Versuch antrieb, den beiläufig geäußerten Traum eines anderen Wirklichkeit werden zu lassen. In dem Moment, wenn Phantasie und Wirklichkeit sich berühren, kann eine Wirkung entstehen wie bei einem Elektroschock. Die Leute mögen es nicht, wenn man mit ihren Träumen herumpfuscht; vielleicht, weil sie sich so hervorragend dazu eignen, sich die Wirklichkeit vom Leib zu halten.

      In diesem Zusammenhang erinnere ich mich, wie ich vor ungefähr einem Jahr mit Mike und unserem Hauskreisleiter und so ziemlich allen anderen Ärger bekam, außer meiner Freundin Dip, als ich jemandem just zu diesem Thema eine Frage stellte.

      In unserer Bibelgruppe hatten wir ein jüngeres Pärchen (das sich inzwischen etwas explosiveren, charismatischeren Weidegründen zugewandt hat) namens Bernard und Julie. Sie waren seit fünf oder sechs Jahren verheiratet. Der Mann, Bernard, war ein sympathischer, lockerer Typ, der mit einem Lieferwagen herumfuhr und irgendetwas Unerklärliches für das Wasserwerk tat; und sie war wohl auch ganz in Ordnung, wenn auch ein bisschen albern und unreif (nicht, dass ich über die kleine Närrin richten wollte, versteht sich). Ich glaube, sie war so etwas wie Zahnarzthelferin in einer der Praxen in unserem Ort. Vielleicht waren ihr all die Angst und der Schmerz, deren Zeugin sie wurde, irgendwie an die Nieren gegangen.

      Julie schwärmte wie besessen für Ralph Fiennes, von dem ich nur wusste, dass


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