Wu. Frank Rudolph

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Wu - Frank Rudolph


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taijiquan (太極拳) kann sehr energisch sein. Das, was im Westen unter dem Begriff »taiji« verstanden wird, hat damit wenig zu tun. Bei letzterem handelt es sich genau genommen um taiji cao (太极操).9

      Ich wage zu behaupten, dass nur sehr wenige Menschen des Abendlandes bisher authentisches wushu gesehen haben. Die guttrainierten chinesischen Sportler, wie man sie im Fernsehen bewundern kann, sind eben nur das: Sportler. Sie kennen ihre alten Kampfkünste manchmal noch weniger als wir im Westen. Aber dazu später mehr.

      Die letzte Einteilung, der ich mich widmen möchte, ist die in »innere« (neijia, 内家) und »äußere« Stile (waijia, 外家). Obwohl es all die oben aufgeführten unterschiedlichen Klassifizierungen in verschiedene Stile und Faustformen gibt, sollte man chinesisches wushu eigentlich nur in innere und äußere Stile einteilen, da es zwischen den anderen Stilen keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Grundmuster gibt, auch wenn viele shifu (师父, Lehrervater) das nicht so sehen werden. Ich habe während meiner Jahre in China einige Stile bei verschiedenen Meistern trainiert und bin dabei zu dem Schluss gekommen, dass es echte Unterschiede tatsächlich nur zwischen neijia und waijia gibt.

      Um diese Einteilung genauer zu verstehen, sind zumindest Grundkenntnisse der chinesischen Kultur und Philosophie notwendig. Die inneren Wushu-Stile sind tief verwurzelt mit der daoistischen Philosophie (道家). Der Daoismus ist neben dem Konfuzianismus (儒家) die Hauptphilosophie Chinas. Beides sind genau genommen keine Religionen, auch wenn es im Daoismus zum Beispiel die acht Unsterblichen (baxian, 八 仙) gibt.10 Diese Unsterblichen werden aber nicht als Götter oder Schöpfer angesehen, sondern sie sind eher mit den europäischen Heroen des Altertums wie Odysseus oder Achilles vergleichbar. Sie haben vor langer Zeit real existiert und wurden durch Überlieferungen des Volkes nach und nach zu unsterblichen Legenden.

      Eine Einteilung in innere und äußere Stile gibt es auch in anderen Kampfkünsten. Nirgends aber ist sie so ausgeprägt wie im chinesischen wushu. In anderen Ländern unterscheidet man bei den Kampfkünsten eher nach dem Typ, so z. B. im antiken Griechenland, wo man die Kampfkünste in Allkampf (pankration), Boxen (pygme) und Ringen (pale) unterteilte, oder nach der Region, so z. B. in Nord- und Südstile. Auf Okinawa unterschied man zwischen shuri-te und naha-te, die jedoch beide stark von verschiedenen inneren und äußeren Stilen des wushu beeinflusst waren.

      Über die inneren und äußeren Stile wird viel erzählt; manches davon ist wahr, anderes muss mit Vorsicht genossen werden. So heißt es beispielsweise: Innere Stile sind passiv, und man wartet in ihnen den Angriff des Gegners ab, um die entstehende Kraft aufzunehmen und auszunutzen. (Ein Angriff ist immer wie das Öffnen einer Tür. Es entsteht eine Schwäche, die ausgenutzt werden kann.) Die äußeren Stile hingegen sind aktiv und bevorzugen den Angriff. Innere Stile beruhen nicht auf der Muskelkraft, und man arbeitet von innen nach außen. Äußere Stile setzen Muskelkraft ein, und die Arbeit erfolgt von außen nach innen. Innere Stile beinhalten die Philosophie des Daoismus und äußere die Philosophie des Buddhismus.

      Es gibt unzählige solcher Theorien und Begründungen. Tatsache ist, dass es eine strikte Teilung nicht gibt und auch nie gab. So benutzen beispielsweise auch die äußeren Stile Techniken, um die Kraft eines gegnerischen Angriffs aufzunehmen. Stellenweise sind beide Lehren deckungsgleich. Außerdem haben sich die Philosophien von Buddhismus und Daoismus wechselseitig beeinflusst. Die Shaolin-Mönche haben Frieden und Harmonie ebenso zum Ziel wie die Daoisten. Auch Buddhisten können taijiquan trainieren, und umgekehrt kann ein Daoist knallhartes hongmen ausüben. Der Stil bajiquan zum Beispiel kann als innerer Stil angesehen werden, obwohl seine Techniken oftmals einen markigen und extrem kraftvollen Eindruck machen. In den äußeren Stilen wird genauso mit dem dantian gearbeitet wie bei den inneren Stilen.

      Es gibt in diesem Zusammenhang einen Aspekt des Trainings, den ich erläutern möchte. Durch Bewegungen wird der Kreislauf angeregt, wobei das Schwitzen Schadstoffe aus dem Körper schwemmt. Außerdem strafft der Schweißfluss das Gewebe und stärkt das Immunsystem. Schweißtreibende, das heißt schnelle oder kraftvolle Bewegungen, bringen uns leicht außer Atem. Ein hektischer und unkontrollierter Atemrhythmus ist jedoch nach chinesischer Auffassung schädlich. Der Körper verbraucht hierbei zuviel Kraft, was letztendlich zu einem Kollaps führen kann.

      Hier liegt der Unterschied zwischen innerem und äußerem Training, besonders in der Kampfkunst. Beim inneren Training regt man den Kreislauf gleichmäßig an. Man schwitzt »von innen heraus«, aber der Atem bleibt ruhig und kontrolliert, und das Herz wird nicht überstrapaziert. Der Körper wird auf diese Weise geschont. Das innere Training der Kampfkünste, wie z. B. taiji oder einige Gong-Übungen, kann den Körper außerordentlich stark zum Schwitzen bringen. Ich habe manchmal in einem wahren See aus Schweiß gestanden. Man kann eine große Kraft aufbieten, ohne dass man außer Atem kommt. In tiefen, manchmal statischen Stellungen, oder in tiefen Stellungen, die während fließender Bewegungen eingenommen werden, muss der Körper Höchstleistungen vollbringen. Vor allem, wenn es über Stunden geht. Der Atem läuft tief in den dantian hinein, und das Herz wird durch ein Zurücknehmen der Brust in eine ruhige Stellung gebracht (es wird »eingewickelt«), wo es gepflegt und ernährt wird. Diese Art des Trainings ist typisch für das innere wushu. Es beruht eher auf isometrischen Aspekten als auf den isotonischen vieler Sportarten. Darüber wird noch ausführlich die Rede sein.

      Die Lehre des Daoismus durchdringt die gesamte chinesische Gesellschaft und übt einen großen Einfluss auf die Kampfkünste aus, direkt und indirekt. Der Daoismus kennt keinen Schöpfer, kein höheres Wesen, zu dem man betet oder dem man Opfergaben entrichten muss. Daoismus ist eine (wissenschaftliche) Lehre, ohne eine Lehre zu sein.

      Die daoistische Lehre orientiert sich nicht an den von Menschen geschaffenen und kaum zu verwirklichenden Idealen wie beispielsweise Bescheidenheit, sondern an dem natürlichen Verlauf der Dinge, der nicht beeinflusst werden kann. In der Natur stehen alle Dinge in einem bestimmten Verhältnis zueinander und sind untrennbar miteinander verbunden (yinyang, 陰陽). Diese Verhältnisse beeinflussen sich gegenseitig (wuxing, 五行) und befinden sich gleichzeitig in stetem Wandel.

      Während Religionen die Menschen von irgend etwas überzeugen oder zu Rechtschaffenheit und Tugend erziehen wollen, lehnt der Daoismus all dies ab. Worte wie Tugend und Rechtschaffenheit sollen nicht benutzt werden, da sie nur als Heuchelei angesehen werden und zu Konkurrenz und Betrug führen. Der Versuch, andere von etwas zu überzeugen, wird als ein Akt des Aufzwingens verstanden und ist gegen die Natur und das Leben gerichtet.

      Foto 2: Der Purpurwolken-Palast im Wudang-Gebirge (武當山紫霄宮, Wudang shan Zixiao gong), erbaut 1413, ein berühmter daoistischer Tempel.

      Aus Sicht des Daoismus ist es sinnlos, an eine Sache zu glauben, und solch ein Glaube ist auch nie von Dauer, wie die Geschichte immer wieder beweist. Der Mensch soll an nichts glauben, bzw. er soll nicht glauben. Dadurch ist sein Geist offen und tatkräftig. Der Geist soll auch nicht durch Zersplitterung gelähmt werden. Ein gelähmter oder abgelenkter Geist ist nicht tatkräftig. Die Chinesen verwenden für dieses Freihalten des Geistes präzise, doch für uns oft schwer verständliche Begriffe wie wuwei (ohne Handeln, 无为), wuwo bzw. wusi (ohne Ego, 无我 无私) und wuzhi (ohne Wissen, 无知). Diese dem westlichen Denken wenig vertrauten Konzepte sind mit den inneren Kampfkünsten des wushu, wie sie beispielsweise in den Wudang-Bergen gelehrt werden, untrennbar verbunden.

      Die Philosophie der inneren Kampfkunststile spiegelt sich in den Techniken des baguazhang und zuibaxian (醉八仙) wider. Das baguazhang besitzt acht Grundtechniken, die endlos miteinander kombiniert werden können, so dass es letztendlich gewissermaßen gar keine Techniken mehr gibt. Im zuibaxian erweckt man beim Gegner den Eindruck der Handlungsunfähigkeit, und doch ist man auf diese Weise unerreichbar für Angriffe. Diese Elemente


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