Weltordnungskrieg. Robert Kurz

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Weltordnungskrieg - Robert Kurz


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Umorientierung der Militärdoktrin selbst. Die Strategie kann nicht mehr durch die Logik einer nationalimperialen Ausdehnungsmacht bestimmt sein, ebenso wenig aber durch das Ziel, eine antipodische Gegenmacht auf globaler Ebene niederzuringen.

      Da auf diese Weise endgültig die Option entfällt, große territoriale Räume militärisch zu erobern oder zu verteidigen und besetzt zu halten, müssen zwangsläufig alle territorialen Aspekte des Militärischen bis hin zur technischen Ausrüstung schrumpfen. Die „Deterritorialisierung“ der Gesellschaft, die ökonomisch im Krisenprozess der Globalisierung und politisch in der Paralyse nationalstaatlicher Regulation erscheint, macht sich auch militärisch als Abbau der traditionellen großen Landarmeen bemerkbar, womit die fordistische motorisierte Infanterie- und Panzertruppe ebenso wie die klassische Artillerie, die entsprechende Logistik etc. einen relativen militärischen Bedeutungsverlust erleiden.

      Was zwar nicht völlig an die Stelle dieser traditionellen Landarmeen, aber doch eindeutig in den Mittelpunkt der Militärstrategie tritt, sind eben jene „mobilen Eingreiftruppen“ und Hightech-Gewaltapparate für „Luftschläge“ (elektronisch bestückte Bomberflotten und Raketensysteme aller Art), wie sie in den beiden Weltordnungskriegen der 90er Jahre in größerem Maßstab erprobt worden sind. Keineswegs zufällig erinnert das Vokabular dieser militärischen Umrüstung an die Kampagnen zur „Flexibilisierung der Arbeitskraft“, womit nur der niemals unterbrochene innere Strukturzusammenhang von moderner Kriegsökonomie und kapitalistischer Entwicklung abermals deutlich wird: Wie in der prekären Reproduktion des Krisenkapitals an die Stelle massenhafter und hochkonzentrierter fordistischer „Armeen der Arbeit“ ein System global diversifizierter, extrem verschlankter betriebswirtschaftlicher Funktionsbereiche mit hoher Mobilität tritt, jeweils organisiert als nomadische „Profit-Center“ mit erst recht hohen Flexibilitätsanforderungen - ebenso löst militärisch das Paradigma flexibler und weltweit mobiler Einheiten von „schlanken“ Spezialtruppen mit Hightech-Ausrüstung, die vorwiegend aus der Luft operieren, das Paradigma infantristischer und gepanzerter Massenarmeen ab.

      Nicht nur im Anforderungsprofil, sondern auch in der grundsätzlichen Logik entsprechen sich ökonomische und militärische Entwicklung im Zuge der dritten industriellen Revolution: Die menschliche Arbeitskraft wird auch als Vernichtungskraft überflüssig; auch der militärische Schreibtischtäter braucht fast keine „Hände“ mehr. Mit immer weniger menschlicher Energie wird immer mehr produziert und gleichzeitig immer mehr vernichtet. Das Verhältnis von Sachkapital und lebendiger Arbeit ist sowohl auf dem Sektor der Produktivkräfte als auch auf dem Sektor der Destruktivkräfte endgültig umgekippt. Der „organischen Zusammensetzung des Kapitals“ (Marx) entspricht die „organische Zusammensetzung“ des Vernichtungsapparats. In der Produktion wie beim Militär wird der technologische Mitteleinsatz entscheidend.

      Der ersten industriellen Revolution (Einsatz von Dampfmaschinen usw.) war noch keine einschneidende Änderung von Kriegführung und Militärdoktrin gefolgt; vielmehr war diese industrielle Revolution umgekehrt selber eine Folge der vorhergehenden militärischen Revolution (Feuerwaffen-Technologie) seit dem 15./16. Jahrhundert. Erst in der zweiten industriellen Revolution des „Fordismus“ seit Beginn des 20. Jahrhunderts kehrte sich das Verhältnis um; jetzt revolutionierten die neuen kapitalistischen Technologien (Verbrennungsmotor, Flugzeuge, U-Boote, neue elektronische Nachrichtensysteme etc.) ihrerseits den Gewaltapparat: Der Krieg selber wurde im großen Maßstab industrialisiert. Auf der Stufe der fordistischen industriellen „Massenarbeit“ entwickelten sich nicht nur entsprechende neue Rüstungsindustrien, sondern auch entsprechende neue Armeen von industriellen Facharbeitern wie „Massenarbeitern“ des Todes in Gestalt von motorisierter Infantrie, Panzertruppen und „Luftwaffen“. Indem nun die dritte industrielle Revolution auch die Kriegführung immer weiter elektronisiert und robotisiert, bleibt nur noch ein Bodensatz menschlicher Spezialtruppen mit gigantischen Ausrüstungen und hochgezüchteten Apparaturen zurück. Die Kosten pro „Arbeitsplatz“ wie pro „Mordplatz“ schnellen qua exorbitant erhöhtem Sachkapital-Einsatz in die Höhe; dafür sinken die Produktionskosten pro Auto wie pro Leiche entsprechend.

      Ein Moment dieser Veränderungen ist es, dass das Militär aufhört, ein gesellschaftspolitisch eingebundener Bereich zu sein. Es wird zum „Job“ für gut trainierte Profis wie Fliesenlegen oder Autos verkaufen. Selbst die „Privatisierung“ der Hightech-Weltpolizei ist denkbar; warum auch nicht, wenn selbst die Gefängnisse privatisiert werden? Deshalb liegt das Ende der Wehrpflichtigenarmee oder „Bürgerarmee“ in der Logik dieser Umrüstung, die mit einem numerischen Abbau der Streitkräfte einhergeht. Andererseits bedeutet dies, dass die industriell „Überflüssigen“ auch militärisch „überflüssig“ werden; die Armeen bilden keine Reserve-Kapazitäten mehr, um die Krisen des ökonomischen Zyklus aufzufangen. Ebenso wenig kann die Militarisierung der Gesellschaft real Massen von Menschen erfassen, sondern bleibt im ideologischen Sektor stecken; ein weiterer innerer Widerspruch der Entwicklung des „ideellen Gesamtimperialismus“ zur kapitalistischen Weltpolizei mit globalem Kontrollanspruch.

      Es versteht sich von selbst, dass diese Weltpolizei-Verbände - wiederum analog zur ökonomischen Entwicklung - von vornherein multi- oder transnational im Rahmen der NATO aufgebaut werden. Schon Anfang der 90er Jahre wurden nach dem Kollaps der Sowjetunion Pläne für erste Verbände einer neuen „multinationalen, luftbeweglichen“ Eingreiftruppe entwickelt: „Angesichts der inzwischen erfolgten sicherheitspolitischen Umwälzung in Europa, die neue strategische und operative Gegebenheiten sich herausbilden lässt, läuft nun ohnehin vieles auf Multinationalität hinaus. So soll für die schnellen Eingreiftruppen des Bündnisses ein multinationales Korps, das ‚Allied Rapid Reaction Corps‘ (ARRC), zusammengefügt werden - unter britischem Oberbefehl voraussichtlich aus zwei britischen Divisionen, einer deutschen Division und einem multinationalen Verband…“ (Neue Zürcher Zeitung, 27.9.1991). Heute sind diese neuen militärischen Strukturen bereits weit fortgeschritten und auch für die deutsche Bundeswehr zum Alltag geworden. So üben auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg regelmäßig Soldaten für den Einsatz als „Krisenreaktionskräfte“; sinnigerweise in einem fiktiven Land namens „Krisovo“ mit mehreren hundert Statisten, die orientalisches Verhalten mimen (Pfeiffer 1999).

      Auch in dieser Hinsicht ist und bleibt es der Gewaltapparat der „letzten Weltmacht“ USA, der das Muster für die Umorientierung bildet: „Seit den achtziger Jahren schrumpfte die Army um 40 Prozent - von 780.000 auf etwa 470.000 Soldaten. Sie verfügte einst über 18 Divisionen; heute sind es nur noch zehn, sechs stark gepanzerte und vier leichte Infanterie- oder Luftlandedivisionen. Gleichwohl hat die Army immer noch genauso viel zu tun (!) wie einst“ (Myers 1999). Die übrigen NATO-Staaten folgen mit ihren Militärreformen mehr oder weniger schnell den US-Vorgaben; die diversen Debatten über und Maßnahmen zur Verschlankung der Armee und Abbau, Einschränkung oder gänzlichen Aufhebung der Wehrpflicht gehen alle in dieselbe Richtung, wie sie von der Logik des neuen Interventionismus vorgezeichnet ist.

      Der Begriff der „Weltpolizei“ erhält in diesem Zusammenhang erst seinen vollen Sinn, tritt aus einem bloß metaphorischen Verständnis heraus und wird buchstäblich. Als Resultat zeichnen sich über die bisherige Struktur der NATO hinaus die Konturen supranational organisierter Weltpolizeitruppen ab, ohne dass damit die Widersprüchlichkeit von nationalstaatlicher Form und supranational-globaler Funktion aufgehoben werden könnte.

      Derselbe Widerspruch, wie er im Gegensatz von kapitalistisch unabdingbarer nationalstaatlicher Form und globalem Kontrollanspruch erscheint, drückt sich auch in der Diskrepanz von eigentlich binnenstaatlich beschränkter Polizeifunktion und globalem Einsatzbereich, von großflächig orientierten militärischen Vernichtungspotentialen und auf Personen oder Gruppen orientierten polizeilichen „Sicherheitsfunktionen“, von anonymer Hightech-Fernwirkung und gesellschaftlichem Nahbereich des Polizeibegriffs aus. Die angeblichen Präzisions-Wunderwaffen der elektronischen Rüstungsschmieden, die den selektiven weltpolizeilichen Zugriff ermöglichen sollen, sind in Wirklichkeit schwere militärische Streuwaffen mit Flächenwirkung, die ganze Landschaften verwüsten, ganze Straßenzüge und Stadtteile in Schutt und Asche legen. Dabei werden regelmäßig viel mehr Unbeteiligte und im juristischen Sinne Unschuldige getötet als definierte „Feinde“, die sich von der „Bevölkerung“ der marktwirtschaftlich ruinierten Krisenregionen schwer unterscheiden lassen und deren Definition ohnehin unklar


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