Weltordnungskrieg. Robert Kurz
Читать онлайн книгу.gleichsam sponte sua, wie von selbst, den Gesetzen der Ökonomie, des technologischen Fortschritts und der internationalen Arbeitsteilung folgend“ (Dettling 2001). Aber natürlich nur, wenn die Menschen sich „kulturell“ und institutionell dem Liebreiz des Kapitals und seiner Zumutungen öffnen.
„Sponte sua“ bringt die Weltdemokratie eben immer wieder ihr Generalmotto zum Ausdruck, und das lautet ganz schlicht: Frechheit siegt! Für die unpassenden Tatsachen ist nunmehr das aus Kulturalismus und Institutionenökonomie destillierte Feindbild einer der an sich „guten“ Marktwirtschaft als fremd und äußerlich gegenübergestellten Weltkorruption, Weltkriminalität, Weltbarbarei usw. zuständig. Diese in ihrer Genesis völlig unerklärten Phänomene gelten als die niederzuringenden Kräfte, die angeblich irgendwie aus dem „Bösen“ an sich aufgestiegen sind, wobei das so gewonnene völlig verzerrte und auf den Kopf gestellte Bild der kapitalistischen Krisenwelt mit einer ebenso kulturalistischen Frontstellung des „Abendlands“ gegen die fiktiv zurechtkonstruierten afrikanischen, asiatischen, islamischen usw. Gegenwelten angereichert wird. Und dieses dreist-verlogene Erklärungsmuster ist in den zunächst marktwirtschaftsfromm gewordenen und dann zum Bellizismus bekehrten demokratischen „Gutmenschen“-Idealismus eingeflossen, der so erst interventionstauglich wird.
Sicherheitsimperialismus
Es erhebt sich natürlich die Frage: Wozu all der Aufwand? Warum will der „ideelle Gesamtimperialismus“ der NATO unter unanfechtbarer Führung der USA mit derart brüchiger ideologischer Legitimation unbedingt eine Welt militärisch befrieden, mit der er sowieso größtenteils territorial nichts mehr anfangen kann? Warum überlässt er die Masse der „Herausgefallenen“ nicht einfach ihrem Schicksal und ihrem dunklen Drang, in der Fortsetzung kapitalistischer Konkurrenz mit anderen Mitteln sich gegenseitig umzubringen?
Im Einzelfall kann dies durchaus auch eine Option sein. So wurde die noch mit UNO-Mandat 1993 durchgeführte Intervention in Somalia jämmerlich abgebrochen, nachdem die aus vielen UNO-Staaten bunt zusammengewürfelten Interventionstruppen in peinlich erfolglosen Gefechten mit einheimischen Clan-Milizen aufgerieben zu werden drohten und sich aus den undurchsichtigen Zusammenhängen eines bereits weit fortgeschrittenen Staatszerfalls nicht einmal andeutungsweise so etwas wie ein „politischer“ Ansprechpartner herausdestillieren ließ. Dass der damalige deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe beim pompösen Truppenbesuch vor laufenden Kameras im Wüstensand stolperte und der Länge nach hinschlug, hatte symbolischen Charakter.
Der Rückzug war einer der kläglichsten und von unmissverständlichen Erscheinungen am Flughafen von Mogadischu begleitet: „Die Schützenpanzer der pakistanischen Blauhelme waren im Morgengrauen noch nicht abgerückt, da strömte die Menge auf das Gelände und trug in fliegender Hast Möbel, Teppiche, Elektroeinrichtungen und alles irgendwie Verwertbare fort. Die abrückenden 1500 Pakistaner, die letzten Blauhelme in Somalia, zogen sich in den Seehafen Mogadischus hinter die Linien der amerikanischen und italienischen Marinesoldaten zurück, die die Evakuierung der Blauhelme absichern. Bewaffnete Anhänger des somalischen Milizenführers Mohammed Farah Aidid vertrieben die Plünderer schließlich mit Schüssen vom Flughafen und übernahmen die Kontrolle des Geländes“ (dpa, März 1995). Das einzige Resultat der ganzen Operation bestand also darin, dass die unorganisierte Plünderungsökonomie wieder von der organisierten Bandenherrschaft abgelöst wurde.
Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung heraus zog man die Schlussfolgerung, sich bei weltpolizeilichen Aktionen mehr auf die NATO, auf Hightech-Militär und auf gezielte Luftschläge zu konzentrieren, wie sie dann vor allem gegen Jugoslawien und im endlosen Folgekonflikt mit dem Irak zum Einsatz kamen. Damit ist allerdings der Aktionsradius der kapitalistischen Weltpolizei bereits arg reduziert: Einerseits gibt es Länder und Regionen wie Russland, China, Pakistan, Indien etc., an die man sich selbst bei kapitalistischem Befriedungsbedarf kaum heranwagen kann; andererseits hat die Somalia-Erfahrung dazu geführt, dass andere Länder und Regionen wie ganz Zentralafrika etc. als zu unbedeutend eingestuft und tatsächlich vorerst ihrem Schicksal der inneren Zerfleischung in der barbarisierten Krisenkonkurrenz überlassen wurden.
Aber der weltpolizeiliche Herrschaftsanspruch kann dennoch nicht fallengelassen werden. Es stimmt nicht, wenn Enzensberger behauptet, dass sich das Kapital und seine Gewalt-Repräsentanz „von den Kriegsschauplätzen zurückzieht“. Der Kontrollanspruch muss sich weiterhin und sogar verstärkt dort manifest äußern, wo die Einstufung von Risiko und „Interventionswert“ es zulässt; und er muss als grundsätzliche Drohung auch dem Rest der Welt gegenüber latent bleiben. Wie in kapitalistischen Verhältnissen nicht anders zu erwarten, lässt sich auch dieser „Interventionswert“ letztlich als ökonomische Bestimmung erklären.
Dabei sind zwei Dinge in Erinnerung zu rufen. Zum einen hat die Krise der dritten industriellen Revolution ja längst auch die Staaten des kapitalistischen Zentrums selbst erfasst. Zwar ist die Weltkrise dort noch nicht so weit fortgeschritten wie in den großen Räumen der Peripherie, aber durchaus bereits präsent genug, um weit gehende Handlungszwänge zu setzen. Auch im Westen schrumpft die Kaufkraft großer Massen, auch im Westen hat sich bereits ein Menschensockel von „Überflüssigen“ gebildet, auch im Westen ist letzten Endes die Reproduktionsfähigkeit des Kapitals gefährdet.
Zum andern hat die Globalisierung als Reaktion auf dieses Problem dazu geführt, dass sich die einzelnen Kapitalien betriebswirtschaftlich über den Globus zerstreuen. An die Stelle territorialer Reproduktionsräume des Kapitals treten deterritorialisierte Profit- und Produktivitäts-Inseln: weltweite betriebswirtschaftliche Wertschöpfungsketten, die quer zu den austrocknenden nationalökonomischen Territorien verlaufen. Die deterritorialisierte Betriebswirtschaft simuliert eine reproduktionsfähige Welt des Kapitals, die mit den Territorien der „Überflüssigen“ nichts mehr zu tun haben und diese doch an der Kandare halten soll.
Natürlich verteilt sich diese Betriebswirtschaft des transnationalen Kapitals mit unterschiedlicher Dichte über den Globus. In der Triade des kapitalistischen Zentrums (Japan, Nordamerika, Westeuropa) findet sich auch die größte Dichte des transnationalen Kapitals; der Löwenanteil globalisierter Wertschöpfungsketten und der dazugehörigen transnationalen Investitionen und Ströme des Finanzkapitals konzentriert sich auf diese verhältnismäßig kleinen Weltregionen, während die Dichte der Globalisierung in der Peripherie immer mehr abnimmt und gegenwärtig vor allem in Afrika nur noch als gewissermaßen homöopathische Dosis zu verzeichnen ist.
Aber Kleinvieh macht eben auch Mist. Will sagen: Je deutlicher die inneren Schranken der kapitalistischen Produktionsweise in Erscheinung treten, desto größer wird auch das Bedürfnis des transnationalen Kapitals, selbst noch die kleinste Insel von Kosten-Rentabilität, Kaufkraft und Profitmöglichkeit ausnutzen zu können. Deterritorialisierung verlangt punktuelle Omnipräsenz in allen Zonen kapitalistischer Reproduktionsfähigkeit, um überall abschöpfen zu können, wo es noch irgendetwas abzuschöpfen gibt.
Dieses punktuelle Interesse kann in den riesigen, ökonomisch größtenteils unverwertbaren Räumen der Peripherie verschiedene Formen annehmen. Noch das kleinste Rinnsal der abnehmenden Kaufkraft, und sei es eine plünderungsökonomisch vermittelte, soll auf die Mühlen des transnationalen Kapitals gelenkt werden. Dasselbe gilt für kleine und kleinste Produktivitäts-Inseln, wo sich (oft nur vorübergehend) Prozesse der Lohn Veredelung im Rahmen transnationaler Wertschöpfungsketten rechnen, auch wenn die große Masse der jeweiligen Bevölkerung unbrauchbar bleibt.
Vor allem aber müssen die Räume der Peripherie dem Kapitalismus als Rohstoffreservoirs erhalten werden; von seltenen Metallen bis hin zu den pharmakologischen Reserven der tropischen Wälder, deren Ausbeutbarkeit im Zeitwettlauf mit der kapitalistischen Vernichtung dieser Wälder garantiert bleiben soll, solange es sie noch gibt. Und schließlich besteht ein Interesse daran, die klimatische und landschaftliche Erbaulichkeit der peripheren Weltregionen, solange auch diese noch nicht kapitalistisch ruiniert ist, für einen ebenso punktuellen Tourismus der Besserverdienenden aus den Zentren (allerdings gilt auch hier: solange es sie noch gibt!) zur Verfügung zu halten.
Die kapitalistische Weltdemokratie verlangt also von einer größtenteils unverwertbar gewordenen Welt, dass der Verwertungs- und Verwüstungsprozess