Weltordnungskrieg. Robert Kurz
Читать онлайн книгу.um die Aufmerksamkeit der „Investoren“ betteln; „frei“ und ungehindert soll der Zugang zu den Inseln der Profitabilität in den Ozeanen des Elends sein; die guten Dinge der ansonsten unbrauchbaren Welt sollen zu Elendspreisen ohne Ende in den kapitalistischen Reproduktionskreislauf eingespeist werden oder verrotten. Auf dem Weg zum Strand sind gefälligst die Jammergestalten wegzuräumen, damit ihr Anblick das Auge der Weltdemokraten nicht beleidigt und die ausgestreckten Hände das Entspannungsvergnügen der hart arbeitenden Marktwirtschaftsmenschen nicht belästigen. Wer in einem Hungergebiet einen Delikatessenladen für die restlichen Zahlungsfähigen eröffnet, soll unbeeinträchtigt vom „Neid“ der Unbrauchbaren seinen für die Region doch allemal segensreichen Geschäften nachgehen können; und im Prinzip sollte selbst ein Warlord vom Nachbarpotentaten nicht umgebracht werden, bevor er seine Benz-Karosse bezahlt hat. Mit einem Wort: Das Interesse geht dahin, den Kapitalismus samt seiner „Marktwirtschaft-und-Demokratie“ auch dort als die einzig „gültige“ Reproduktionsform zu erhalten, wo das Kapital kein allgemeines gesellschaftliches Verhältnis mehr sein kann.
Es geht also nicht mehr um territoriale, aber um soziale, „postpolitische“ und weltpolizeiliche Kontrolle im Sinne einer Eingrenzung der katastrophalen Folgeprozesse, wie sie aus den in dichter Folge ablaufenden ökonomischen Zusammenbrüchen herauswachsen. Der Zentralbegriff für das dabei entstehende Problem heißt „Sicherheit“. Der „ideelle Gesamtimperialismus“ der NATO ist daher im wesentlichen ein Sicherheitsimperialismus: Die Sicherheit der insularen Geschäftsabläufe transnationaler Wertschöpfungsketten, Rohstofflieferungen, Geldanlagen usw. in den ansonsten unbrauchbaren Weltterritorien soll unter Ignoranz gegenüber der jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsunfähigkeit gewährleistet werden.
Unerwünschte Störfaktoren dieser Sicherheit lassen sich auf einer Makro- wie auf einer Mikro-Ebene feststellen. Auf der Makroebene sind es unliebsame, „wildgewordene“, aus anderen Konstellationen übrig gebliebene oder sonst wie sich der Kontrolle etwa der internationalen Finanzinstitutionen entziehende Regimes staatlicher oder halbstaatlicher Natur, die sich in irgendeiner Weise querlegen, den freien Zugang des transnationalen Kapitals zu Naturressourcen, Restmärkten etc. verweigern oder geld- und wirtschaftspolitisch krampfhaft (und oft schon verknüpft mit plünderungsökonomischen oder rein kleptokratischen Interessen) an alten nationalökonomisch-nationalstaatlichen Regularien festhalten wollen, durch eigenmächtige binnengesellschaftliche Militäroperationen die Geschäftssicherheit gefährden, als „Unterstützer des Terrorismus“ gelten usw.
An Kandidaten für den Status des Verbrecherregimes oder Schurkenstaats in diesem weltpolizeilichen Sinne herrscht wahrlich kein Mangel. Außer dem Irak und Restjugoslawien wurden bereits der Iran, der Sudan und Libyen mit diesem Titel belehnt; Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Mugabes Simbabwe sind zeitweilig knapp daran vorbeigeschrammt. Ein Problem bei der Somalia-Mission war wohl, dass nicht rechtzeitig und eindeutig ein Generalschurke definiert worden war.
Auf der Mikroebene handelt es sich um die zahllosen Terrorgruppen, Mafiabanden, lokalen Warlords, um die marodierenden Restbestände zerfallender Staatsapparate und ziellos gewordener Guerillaorganisationen, schließlich auch um die vielfältigen Erscheinungen individueller Massenkriminalität, wie sie aus den sozialökonomischen Krisen- und Zusammenbruchsprozessen notwendig hervorgehen.
Es stört den kapitalistischen Funktionszusammenhang, wenn in Lateinamerika US-Manager des transnationalen Kapitals fast schon gewohnheitsmäßig zwecks Lösegeld gekidnappt werden (dort hat sich eine regelrechte „Kidnapping-Industrie“ entwickelt), wenn jugendliche Einbrecher in der chinesischen Provinz einen deutschen Siemens-Manager samt Familie abmetzgern, wenn europäische Touristen auf den Philippinen monatelang als Geiseln von Separatisten gehalten, in Kenia von arbeitslosen Stromern ausgeraubt und vergewaltigt, in Ägypten von islamischen Fundamentalisten verbrannt und in die Luft gesprengt werden.
Das Drama der aus einem malaysischen Touristencamp von philippinischen „Moslemrebellen“ verschleppten deutschen Familie Wallert z.B. wurde zum Stoff der Regenbogenpresse und brachte selbst den vernageltsten deutschen Tourismus-Spießern aus den Provinz-Idyllen der Besserverdienenden einen Hauch von Barbarisierung der kapitalistischen Weltgesellschaft nahe. Wie bei allen anderen Krisenerscheinungen werden allerdings auch diese wieder sekundär vom kapitalistischen Bewusstsein und dem entsprechenden Geschäftssinn besetzt. Zu den Entführern auf den Philippinen pilgerten die internationalen Medien und machten eine quotenträchtige Inszenierung daraus, nicht zuletzt aus der Aufführung der Frau Wallert, die das Verhältnis von Hysterie und Verständnislosigkeit im demokratischen Hirn einer anspruchsberechtigten westlichen Urlauberin angesichts der Dritte-Welt-Realität darstellen durfte. Bei wirklichen Katastrophen werden solche Panik-Solisten, denen gar nichts fehlt, die aber ihr vorrangiges Recht auf Rettung lautstark und effektvoll inszenieren, meistens tatsächlich als erste gerettet, oft auf Kosten der stilleren Verzweiflung und der ernsthafter Verletzten. Spötter könnten sagen, dass vielleicht nicht viel daran fehlte, und die Kidnapper hätten selber die Zahlung von Lösegeld angeboten, um die Dame wieder loszuwerden, weil sie auf die Furchtbarkeit einer deutschen Mittelstandsfrau einfach nicht vorbereitet waren. Dazu passt, dass Familie Wallert ihr Abenteuer auch noch geschäftstüchtig medial vermarktet hat, wenn man einschlägigen Presseberichten trauen darf.
Solche und ähnliche Erscheinungen tauchen zunehmend im Kontext der touristischen Krisenzonen auf. Hier deutet sich allmählich ein perverser Sekundärmarkt für Abenteuertourismus an; etwa wenn junge westliche Touristen eigens in den Jemen reisen, um sich von einheimischen Clans entführen und von den jeweiligen Botschaften oder Konsulaten wieder auslösen zu lassen. Nichts ist unmöglich, was die absurde Konsumwut und Erlebnisgeilheit der geistig abgestumpften Geldverdiener angeht. Aber diese Erscheinungen bleiben sekundär. Aufs Ganze gesehen ist das wachsende Sicherheitsdefizit in den globalen Krisenregionen Sand im Getriebe des Weltsystems und die Auswirkungen schlagen negativ als Verluste und Kostenfaktoren zu Buche.
Empfindliche Störungen machen sich auch bei den maritimen Handelswegen und Versorgungsstrecken des transnationalen Kapitals bemerkbar. Denn die Plünderungsökonomie bezieht sich nicht nur darauf, dass zusammengebrochene Nationalökonomien ausgeschlachtet und als Feind definierte Ethno-Gruppen oder schlicht irgendwelche Familien und Individuen in den sozialökonomisch verödeten Regionen ausgeraubt werden. Geplündert werden auch „die Schiffe mit den Schätzen der Weltwirtschaft“ (Der Spiegel 34/2001). Es ist ein starkes Indiz für den globalen Zusammenbruchsprozess der warenproduzierenden Moderne, dass eine Erscheinung aus ihrer Frühzeit massiv zurückkehrt: die Piraterie. Im asiatischen Pazifik, im Indischen Ozean, im Arabischen Meer, im Atlantik zwischen Afrika und Südamerika „erlebt der Totenkopf eine Renaissance“ (a.a.O). Mit Macheten und Äxten wie in klassischen Zeiten, aber auch längst mit modernen Schnellbooten, Schnellfeuergewehren und sogar schweren Waffen machen die Piraten Jagd auf Frachter wie auf simple Fischerboote. Und wie bei den Warlords zu Lande hat die neue Piraterie bereits ihre legendären Gestalten hervorgebracht: „Einer der brutalsten Nachfahren der Freibeuter ist Aliasa Bungalos, der in den Gewässern der Südphilippinen als ‚Commander Alex‘ auf Jagd geht“ (a.a.O.). Erbeutet wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist, Geld, Schmuck, Sachgüter, aber auch ganze Schiffe. Die Brutalität nimmt dabei, ebenfalls wie bei der Festland-Plünderungsökonomie, Züge von sinnlosen Bluträuschen an: „Seeräuber waren in einer Novembernacht des Jahres 1998 in Zöllneruniform auf den Frachter ‚Cheung Son' gekommen, der Hochofenschlacke von Schanghai nach Malaysia bringen sollte. Sie überwältigten und knebelten die Besatzung. Zehn Tage nachdem sie das Schiff gekapert hatten, erschlugen die Piraten ihre Gefangenen; die 23 Toten warfen sie, an Gewichte gekettet, über Bord… Doch auch die Killer überlebten das Blutbad nicht lange. Polizisten aus Südchina stießen bei einer Razzia auf Bilder der Seeräuber, die sich bei dem Massaker gegenseitig fotografiert hatten. Die Schlächter wurden hingerichtet“ (Der Spiegel, a.a.O.).
Der rapide absinkende Sicherheitsstandard auf den Weltmeeren hat nicht nur Reedereiverbände, Versicherungen und Tourismusunternehmen alarmiert. Mit zunehmender Professionalität der Piraten geht auch immer mehr wertvolles Frachtgut verloren, darunter ganze Öltanker samt Ladung, die dann auf den transnationalen Schwarzmärkten verscherbelt wird. Das besonders von Seetransporten abhängige Japan fürchtet bereits um seine Hauptversorgungsadern. Und die zunehmende Piraterie lässt sich wie ihre Schwesterunternehmen zu