Weltordnungskrieg. Robert Kurz

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Weltordnungskrieg - Robert Kurz


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des politischen Weltsystems obsolet.

      Die verheerenden Terroranschläge gegen die USA am 11. September 2001 haben buchstäblich blitzartig deutlich gemacht, was längst vorher absehbar gewesen ist: Die weltumspannende gesellschaftliche Vernetzung nicht über bewusste Vereinbarungen und durch menschliche Selbstbestimmung, sondern über die blinden Gesetze der Konkurrenz und der Finanzmärkte bringt nicht nur neuartige strukturelle Krisen hervor, sondern auch ebenso neuartige subjektive Hass- und Vernichtungspotentiale, in denen sich die Zersetzung der bürgerlichen „politischen Subjektivität“ darstellt. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, die „unsichtbare Hand“ eines losgelassenen totalitären Ökonomismus schlägt ebenso erbarmungslos zu wie die andere „unsichtbare Hand“ einer blinden „postideologischen“ und „postpolitischen“ Wut, deren pseudo-religiöses Gestammel unfreiwillig beweist, dass sich jede rationalistische Legitimation der sogenannten „Modernisierung“ restlos erschöpft hat.

      Die Ratio der warenproduzierenden, auf der unendlichen Verwertung als Selbstbewegung des Geldkapitals beruhenden Weltgesellschaft ist selber jener Schlaf der Vernunft. Aber diese zum „Pragmatismus“ herabgesunkene, also zur kritischen Reflexion und Selbstreflexion nicht mehr fähige moderne Rationalität eines irrationalen Selbstzwecks kann und will ihre Grenzen nicht sehen, und so macht sie einfach stur weiter und versucht, ihre eigenen Dämonen als ein fremdes und äußeres „Sicherheitsproblem“ zu definieren. Der unaufhaltsame Zerfall der Ökonomie soll mit ökonomischen, der ebenso unaufhaltsame Zerfall der Politik mit politischen Mitteln aufgehalten werden. Die Weltherrscher des Kapitals begreifen ihre eigene Welt nicht mehr.

      Um das scheinbar Unbegreifliche dennoch begreifen zu können, ist es notwendig, in krassem Gegensatz zur pragmatischen Ideologie der herrschenden Funktionseliten, die heute in Wahrheit nur noch den totalitären Anspruch der Ökonomie an der Welt exekutieren, den ganz und gar nicht modischen Standpunkt radikaler Distanz und Kritik einzunehmen. Erst aus dieser Position ist es möglich, die Zersetzungs- und Selbstzerstörungsprozesse des Weltsystems als solche zu erkennen, die Zusammenhänge in ihrer historischen Dimension aufzurollen und gleichzeitig als aktuell erscheinende Grenze der kapitalistischen Dynamik zu dokumentieren.

       DIE METAMORPHOSEN DES IMPERIALISMUS

      In der Welt des modernen warenproduzierenden Systems ist die Politik immer schon die Fortsetzung der ökonomischen Konkurrenz mit anderen Mitteln, wie der Krieg (nach einem Wort von Clausewitz) die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Diese vermittelte Identität von Konkurrenz, Politik und Krieg ist es, die den Kampf um die planetarische Hegemonie impliziert und insofern kapitalistische Geschichte geschrieben hat.

      Der ursprünglich polyzentrische Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft war zunächst ein rein europäischer und hatte seine Wurzeln in der west- bzw. mitteleuropäischen Konstitutionsgeschichte der kapitalistischen Produktionsweise. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert bildeten sich dabei zusammen mit dem modernen warenproduzierenden System die europäischen territorialen Nationalstaaten heraus, deren Begriff der Nation auf die übrige Welt ausstrahlte und die globale Entwicklungsgeschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts bestimmen sollte. Zunächst aber erschien die riesige Masse der außereuropäischen Weltregionen nur als politisch leerer Raum und als Zankapfel in der kolonialen Expansion Europas. Der europäische Staats- und Nationsbildungsprozess eskalierte dabei frühzeitig zu einem Konflikt der entstehenden nationalökonomischen bzw. nationalstaatlichen kapitalistischen Konstrukte um die Welthegemonie.

      Da der Kampf auch immer um die kolonialen Gebiete und damit in Übersee geführt wurde, reimte sich Weltmarkt von Anfang an auf Weltkrieg. Das Ringen der kapitalistischen Nationalstaaten Europas um die globale Vormacht musste dabei letztendlich unentschieden bleiben, weil schon von den Ausgangsbedingungen her keiner von ihnen einen entscheidenden Vorteil geltend machen konnte. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wechselte die Rolle der Vormacht mehrmals, die identisch war mit der Rolle des jeweiligen Vorreiters in der kapitalistischen Entwicklung.

      Zwar konnte dann Großbritannien für einen Großteil des 19. Jahrhunderts die Position der Weltmacht Nr. 1 einnehmen, insofern es als Schrittmacher der Industrialisierung lange Zeit die entscheidende Transformation dominierte, in der sich die kapitalistische Produktionsweise überhaupt erst auf ihren eigenen Grundlagen zu entwickeln begann. Aber die Aufholjagd Frankreichs und vor allem Deutschlands in der industriellen Entwicklung hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts diesen Vorsprung nahezu wettgemacht und damit auch das politisch-militärische Machtgleichgewicht erneut verschoben. In der Epoche der beiden industrialisierten Weltkriege und der damit verbundenen Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit zerfleischten sich die europäischen nationalen Raubstaaten des Kapitalismus gegenseitig und blieben zu Tode erschöpft auf dem Schlachtfeld zurück. Der Weltmarkt brach praktisch zusammen; der Welthandel fiel auf ein Niveau zurück, das nur noch dem Stand gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsprach. Damit aber drohte auch die weitere kapitalistische Entwicklung auf den nationalökonomischen Binnenmärkten und innerhalb der auf sich selbst zurückgeworfenen Nationalstaaten zu erlahmen.

      Dieser Zusammenbruch als Folge des europäischen Kampfes um die kapitalistische Weltherrschaft war bereits der Vorschein einer absoluten Grenze des modernen warenproduzierenden Systems. Aber eben nur der Vorschein. Denn die weltweite sozialökonomische Katastrophenwelle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in erster Linie politisch-militärisch induziert, also in abgeleiteten Formen des Kapitalverhältnisses, während der ökonomische Spielraum weltkapitalistischer Entwicklung noch keineswegs ausgeschöpft war. Das konnte man damals aus der Binnenperspektive der Ereignisse natürlich nicht erkennen. Aus heutiger Sicht aber lässt sich sagen, dass es sich bei der Epoche der Weltkriege mit der darin eingeschlossenen Weltwirtschaftskrise um die letzte und größte Durchsetzungskatastrophe der kapitalistischen Produktionsweise (also innerhalb einer ökonomisch weiter aufsteigenden Bewegung) gehandelt hat, noch nicht um deren absolute innere Schranke, die das Ende der ökonomischen Aufstiegsbewegung selber markiert.

       Pax Americana: Der Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ist entschieden

      Als Resultat der Weltkriegsepoche war die aus dem gescheiterten europäischen Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft resultierende Entwicklung wesentlich von einer politisch-militärischen Wachablösung bestimmt, und zwar in doppelter Weise.

      Zum einen nutzten die kolonialen, abhängigen und/oder kapitalistisch „unterentwickelten“ Weltregionen an der Peripherie des Weltmarkts die Schwäche der blutenden und ihre Wunden leckenden europäischen Hegemonialstaaten des kapitalistischen Zentrums, um die koloniale Herrschaft Europas und damit ihre äußerliche politische Abhängigkeit abzuschütteln.

      Den Startschuss für diesen das ganze 20. Jahrhundert durchziehenden Prozess der Entkolonisierung und „nachholenden Modernisierung“ gab unmittelbar am Ende des Ersten Weltkriegs die russische Oktoberrevolution, gewissermaßen die Französische Revolution des Ostens. Zwar gehörte das Zarenreich selber zu den traditionellen europäischen Mächten und hatte sich ebenfalls ein koloniales Imperium zusammengeraubt, wenn auch nicht in Übersee, sondern als Expansion in der kontinentalen eurasischen Landmasse. Aber gleichzeitig war Russland eben auch selber Peripherie ohne eigenständige industrielle Basis und in vieler Hinsicht den kolonialen und abhängigen Weltregionen strukturell durchaus verwandt. Lenin sah die russische Revolution immer im doppelten Zusammenhang von antieuropäischer kolonialer Revolution einerseits und „nachholender Modernisierung“ als bewusstes „Lernen von Westeuropa“ andererseits.

      Die damit verbundene Zielbestimmung, obwohl als staatskapitalistischer „Sozialismus“ ideologisch verkleidet, konnte nur darin bestehen, eine eigenständige industrielle Basis und einen Binnenmarkt mit nationalstaatlichem Rahmen zu schaffen, um als selbständiges Nationalsubjekt am kapitalistischen Weltmarkt teilzunehmen. Und genau in dieser Hinsicht strahlte das Paradigma der Oktoberrevolution auf die gesamte Peripherie aus und machte die Sowjetunion zum „Gegenzentrum“ der mit dem Westen konkurrierenden historischen Nachzügler. Die schiere Masse von Bevölkerung, Land und naturalen Ressourcen, staatskapitalistisch mobilisiert im repressiven Industrialisierungsprozess


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