Weltordnungskrieg. Robert Kurz
Читать онлайн книгу.in sich wäre), sondern setzt als ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln neue Formen bewaffneter Zusammenstöße frei, die nicht mehr auf der Ebene der alten Großmachtkonflikte liegen und nicht mehr in deren Kategorien beschrieben werden können. In dieser neuen Weltkrisenkonstellation vollendet sich eine tiefgreifende qualitative Metamorphose des imperialen Zugriffs, die ihren Anfang schon in der bipolaren Supermachtstruktur der Nachkriegsgeschichte genommen hatte.
Vom territorialen Nationalimperialismus zum „ideellen Gesamtimperialismus“
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die USA nicht nur die letzte und andererseits „erste wirkliche“ Weltmacht, sondern sie sind damit auch in einen anderen Status als alle vorherigen imperialen Mächte eingerückt. Der monozentrische Charakter dieser Weltmacht, die an den historischen Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise gewissermaßen die globalen Widersprüche verwalten muss, verweist auf eine Transformation des Imperialismus, in der dieser nicht mehr seinem bisherigen Begriff entspricht, sondern auf einer anderen Widerspruchsebene angesiedelt ist.
In der Reife ihrer Macht müsste die Position der USA - vom Standpunkt des alten, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gültigen Verständnisses aus gesehen - sogar als eine gewissermaßen „postimperialistische“ erscheinen. Gewaltsamkeit, Brutalität und Zynismus der Zugriffe und ihrer Legitimation sind um keinen Deut geringer geworden, aber der Inhalt hat sich qualitativ vom ursprünglichen Begriff eines modernen „Imperiums“ entfernt. Den drei Entwicklungsstadien der polyzentrischen, der bipolaren und der monozentrischen politisch-militärischen Hegemonie in der modernen Welt entspricht ein fortlaufender Veränderungsprozess im Charakter des Imperialismus, der den Übergang von der Aufstiegs- und Durchsetzungsgeschichte des kapitalistischen Weltsystems zu seiner Krisenreife widerspiegelt.
In der Epoche des alten, polyzentrischen Imperialismus der industriekapitalistischen europäischen Mächte (ungefähr von 1870 bis 1945) ging es vor allem um die territoriale Aufteilung der Welt in nationale Kolonien und „Einflussgebiete“. Dieser klassische europäische Nationalimperialismus war im territorialen Prinzip des bürgerlichen Nationalstaats verwurzelt, wie es sich im Gegensatz zum dynastischen oder personalen Prinzip der feudalen Agrargesellschaft herausgebildet hatte. Die territoriale Expansion der kapitalistischen Nationalstaaten, die schon in der frühen Neuzeit begonnen hatte, setzte sich dabei auf industrieller Grundlage und im großen Maßstab fort; Ziel war stets die Ausdehnung der eigenen territorialen Kontrolle. Kein grenzenloser Weltmarkt lag dieser Entwicklung zugrunde und schon gar keine transnationale Globalisierung des Kapitals, sondern genau umgekehrt eine zunehmend staatsökonomische und nationalzentrierte Formierung des Akkumulationsprozesses. Die Expansion der ökonomischen Bewegung nahm daher die Form eines Strebens nach bloß partiellen und relativen, von nationalen „Großreichen“ kontrollierten „Weltwirtschaften“ (im nationalen Plural) an.
Ganz in diesem Sinne war in allen europäischen Großmächten des Kapitals die außen- und gesellschaftspolitische Debatte nach einem Wort des wilhelminischen Generals Friedrich von Bernhardi von der nationalzentrierten Parole „Weltmacht oder Niedergang“ (zit. nach: Gollwitzer 1982/2, 25) gekennzeichnet. Als Grundlage für strategische Orientierungen entwickelte sich dabei die sogenannte „Geopolitik“, in Deutschland vor allem durch Karl Haushofer (1869-1946), der im Nazireich zum führenden strategischen Stichwortgeber aufstieg. Schon der Titel seines dreibändigen Werkes „Macht und Erde“ verweist auf den territorialen Charakter der damaligen imperialen Expansionstendenz. In einem anderen exemplarischen Text Haushofers heißt es dementsprechend: „Großmächte sind ‚Ausdehnungsstaaten‘… Deshalb sehen wir sie alle mit einem größeren oder kleineren Anhang von Einflussgebieten auftreten, die zum Begriff der Großmacht gehören wie der Schweif zum Kometen…“ (zit. nach: Gollwitzer, a.a.O., 562).
Ein zentraler Begriff dieser territorialen Expansion war der des „Großraums“, d.h. eines nationalimperial beherrschten partiellen Weltreichs auf der Grundlage einer kohärenten kapitalistischen „Großraumwirtschaft“, die nichts anderes sein konnte als die Erweiterung einer großen Nationalökonomie um Kolonien, abhängige Zonen und schlicht annektierte Gebiete. Der unheimliche Jurist und reaktionäre Gesellschaftstheoretiker Carl Schmitt, der sich lange Zeit den Nazis zur Verfügung stellte, verfasste dazu zeitlich passend 1939 (mit der 4. Auflage schon 1941) die rechtstheoretische Schrift „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht“ (zit. nach: Gollwitzer, a.a.O., 567).
Dieser geopolitische Begriff des Großraums, oft vitalistisch umgeformt zum „Lebensraum“, gehörte bekanntlich auch zum Lieblingsvokabular Hitlers. „Volk ohne Raum“ hieß der einschlägige Roman-Bestseller des völkischen Kolonialschriftstellers Hans Grimm (1926). Nachdem der Welthandel zwischen den Großmächten in der Zwischenkriegszeit tief eingebrochen war, erhielten sogar Bestrebungen einer nationalen Autarkie Oberwasser, die schon von Anfang an den klassischen Imperialismus begleitet hatten. Ziel dieser Autarkiepolitik war, so auf einem wirtschaftsliberalen Gegenkongress Anfang der 30er Jahre der Volkswirtschaftler Wilhelm Gerloff, die „Schaffung eines sich in Produktion und Konsumtion selbst genügenden Wirtschaftsgebietes, das jedoch auf so große Räume und so reiche Hilfsquellen gestellt ist, dass es allen wirtschaftlichen und kulturellen Daseinsbedingungen seiner Mitglieder genügen kann…“ (Gerloff 1932, 13).
Dass dies keineswegs bloß eine durch ideologische Gegnerschaft motivierte Zuschreibung war, geht aus der politisch-ökonomischen Strategie und Weichenstellung der Nazis hervor. Werner Daitz, einer der obersten „Wirtschaftsführer“ der NSDAP, formulierte die autarkistische Tendenz des Nationalimperialismus ausdrücklich gegen das „jüdisch-materialistische Denken liberaler Wirtschaftswissenschaftler“, deren „unvölkisches Gelddenken“ die deutsche Wirtschaft in die „Weltwirtschaft“, also in „Freihandel und internationale Arbeitsteilung“ geführt habe, zu ihrem Schaden im Weltkrieg und in der Weltwirtschaftskrise. Daitz setzt dieser wirtschaftsliberalen Weltmarktorientierung die autarkistische Programmatik der Nazis für ein autonomes Nationalimperium entgegen: „Die Entdeckung neuer freier Räume und ihre Besiedlung (Kolonisation)… bedeutet nur dann eine Stärkung der Wachstums- und Lebenskräfte der heimatlichen Volkswirtschaften, wenn sie ihrer Disziplin und ihrem Machtbereich nicht entgleiten… Jede Volksgemeinschaft muss ihre Wirtschaftsführung so disziplinieren, dass sie die eiserne Ration an Nahrungsmitteln und gewerblichen Rohstoffen stets innerhalb ihrer Mauern hat“ (Daitz 1938 I, 64 f.).
In diesem autarkistischen Sinne definiert er auch die vom Nazi-Reich anzustrebende europäische „Großraumwirtschaft“ unter deutsch-völkischer Kontrolle: „Kontinentaleuropa kann sich … unter den übrigen Erdteilen als wirtschaftliche und kulturelle Einheit nur selbst behaupten, wenn es aus der eigenen Kraft seiner Völker und seines Raumes im Notfall allein leben kann. Deshalb muss Kontinentaleuropa als raumpolitische Einheit von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern reichen. Nur in diesem Raum sind alle Möglichkeiten an landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Erdschätzen vorhanden, die mit Hilfe einer hochentwickelten Technik den Völkern dieses Raumes bei entsprechender Zusammenarbeit ein Leben aus eigener Kraft ermöglichen“ (Daitz 1938 II, 45 f.).
Dabei handelte es sich keineswegs um ein bloßes Fernziel oder einen Traum der Nazi-Strategen, sondern zum Zeitpunkt des Räsonnements von Daitz bereits um eine knallharte reale Wirtschafts- und Außenpolitik, die vom Management der deutschen Konzerne aus klaren Eigeninteressen heraus im wesentlichen gebilligt und unterstützt wurde, wie die einschlägige Zeitgeschichtsschreibung feststellt: „Die von Hitler getroffene Entscheidung, ohne Rücksicht auf Kostendeckung in den Sektoren Brennstoffversorgung und Eisenproduktion sowie synthetischer Gummiherstellung (Buna) eine 100%ige Autarkie binnen vier Jahren zu erreichen, wurde von den führenden Wirtschaftsvertretern einerseits aus Profitinteressen, andererseits wegen der Schwierigkeiten, den Weltmarkt binnen kürzester Frist zu reorganisieren, gutgeheißen. Die ohnehin an staatlichen Protektionismus seit 1879 gewöhnte Eisen-, Kohle- und Stahlindustrie vermochte ihre kontinentale Hegemonie weiter auszubauen, im Weltmaßstab war sie ohnehin nicht konkurrenzfähig, und zielte in ihren politischen Ambitionen fortan, analog zu den Friedensplänen der Alldeutschen im Ersten Weltkrieg, auf einen deutsch beherrschten mitteleuropäischen Großwirtschaftsraum“