Weltordnungskrieg. Robert Kurz
Читать онлайн книгу.ausgehen. Aber dabei handelt es sich um ein bloßes Kompetenzgerangel oder um „Dezernatskämpfe“ innerhalb der Hackordnung des „ideellen Gesamtimperialismus“ unter unzweifelhafter US-Hegemonie, nicht um das Geltendmachen eines eigenständigen imperialen Anspruchs. Auch ökonomische und vor allem handelspolitische Widersprüche zwischen der EU und den USA werden immer wieder ausgetragen, ohne dass dabei aber jemals ernsthaft das gemeinsame globale Dach der Pax Americana in Frage gestellt würde.
John C. Kornblum, bis 2001 US-Botschafter in der BRD, bringt die kapitalistische Unvermeidlichkeit der in der NATO verkörperten Allianz wie deren Problem in einem Atemzug zum Ausdruck: „Die Angst, Europäer und Amerikaner würden sich in miteinander konkurrierende Lager aufspalten, ist unbegründet. Europa und die Vereinigten Staaten sind so stark aneinander gebunden, dass ein Bruch nicht vorstellbar ist… Was ist in der gegenwärtigen Situation so besonders? Selten zuvor hat eine neue amerikanische Regierung die Amtsgeschäfte in einer solch unsteten Zeit übernommen. Und selten zuvor spürten Europäer und Amerikaner gleichermaßen eine solche Hilflosigkeit angesichts dieses weltweiten Durcheinanders“ (Kornblum 2001). Die „unstete Zeit“ und das „weltweite Durcheinander“, eine ebenso begriffslose wie larmoyante Formulierung für das Zerbrechen des modernen warenproduzierenden Systems an seinen eigenen Widersprüchen, macht die NATO nach dem Ende des Kalten Krieges erst recht zur Instanz des Gesamtimperialismus, hinter deren Räson alle Binnenkonflikte und Reibereien zurücktreten müssen.
Dies gilt auch für Streitpunkte wie die neuerliche unmotivierte Bombardierung des Irak durch die USA unter der neuen Führung des ultrakonservativen Präsidenten Bush, Washingtons Pläne für eine „nationale Raketenabwehr“ (NMD) oder umgekehrt das Projekt einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Wenn dabei jedesmal von „Irritationen“ im Verhältnis zwischen den USA und der EU gesprochen wird, deutet dieser Begriff einer eher schwachen Differenz mehr auf den objektiven Zwang zur gesamtimperialen Herrschaftspolitik als auf ein Zerreißen dieses Zusammenhangs hin.
Alle Spekulationen, dass solche wechselseitigen „Verstimmungen“ der Anfang eines grundsätzlichen Umbruchs in der kapitalistischen Weltkonstellation sein könnten, entbehren jeder Grundlage: „Mit diesen an der Tagespolitik orientierten Überlegungen verkennen die Skeptiker … die grundlegende Bedeutung struktureller Faktoren, die über den Tag hinauswirken und eindeutig für die Fortsetzung der transatlantischen Partnerschaft sprechen. Zwar wird es immer wieder Irritationen geben, dauerhafte Konflikte oder gar eine weltpolitische Rivalität werden daraus aber nicht erwachsen“ (Wolf 2001).
Die Verstimmungen, sogenannten Irritationen, Profilierungsversuche und Eigenmächtigkeiten verweisen zwar auf die Weiterexistenz der für das Kapitalverhältnis unaufhebbaren nationalstaatlichen Form mit ihrer Eigenlogik und damit gleichzeitig auf die Widersprüchlichkeit in der Struktur des „ideellen Gesamtimperialismus“; dieser hat aber dennoch als solcher irreversibel die supranationale Gestalt der NATO angenommen. Diese Unhintergehbarkeit der NATO als gesamtwestliche Interventionsmacht unter Führung der USA entspricht auch den dominierenden Kapitalinteressen, die ja im Zuge von Krise und Globalisierung ebenfalls direkt transnational geworden sind. So „stärkt die globale Integration der Märkte diejenigen, die von der Globalisierung profitieren und deshalb an zwischenstaatlicher Zusammenarbeit interessiert sind. Dies gilt vor allem für transnationale Konzerne sowie Anleger von Finanzkapital“ (Wolf 2001). Übersetzt man die euphemistische Formel von der „zwischenstaatlichen Zusammenarbeit“ in diejenige eines „gesamtimperialen Weltordnungskriegs“, so ist damit der reale Hintergrund der heute dominierenden Kapitalinteressen benannt. Sollten sich die Widersprüche auf der Ebene des Weltsystems dramatisch zuspitzen, so ist viel eher mit unkontrollierten Alleingängen einer in Panik verfallenden US-Regierung als mit einer europäischen Herausforderung der USA zu rechnen.
Der gesamtimperiale und globalisierungs-ökonomische Zusammenhang gilt auch im engeren Sinne für die Rüstungsindustrie selbst, die ebenso wie die übrigen Kapitalien rasant in transnationale Strukturen hineingewachsen ist. Aus den einstmals streng national ausgerichteten Waffenschmieden mit enger Anlehnung an den jeweiligen nationalen Staatsapparat und dessen territoriale Kontroll- und Expansionsansprüche sind großenteils „global players“ mit einer breit gestreuten betriebswirtschaftlichen Diversifizierung geworden, die sich sowohl auf die USA als auch auf die EU (und teilweise auf den asiatischen Raum) bezieht. Im Rüstungssektor gibt es daher inzwischen ebenso wie in allen anderen Bereichen transkontinentale Überkreuz-Beteiligungen, „strategische Allianzen“, Fusionen und Übernahmen, wobei die US-Rüstungsindustrie klar dominiert.
So wurden etwa aus ökonomischen Gründen alle Weichen dafür gestellt, dass der staatliche spanische Rüstungskonzern Santa Bárbara Blindados (SBB) im Zuge seiner Privatisierung nicht an einen europäischen Rüstungskonzern fällt, sondern an den US-Rüstungsriesen General Dynamics, der über diesen Zukauf womöglich auch bei der Münchner Panzerschmiede Krauß-Maffei Wegmann (KMW) einsteigt; SBB baut den Leopard-Panzer von KMW in Lizenz. Umgekehrt will der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS (die Mutterfirma von Airbus) künftig Militärflugzeuge in den USA mit einem US-Partnerkonzern (Lockheed Martin oder Northrop) bauen, um an lukrative Aufträge des Pentagon heranzukommen. Inzwischen kooperiert EADS bereits mit Boeing bei der Raketenabwehr. Beschlossene Sache ist auch die Übernahme der deutschen Marinewerft HDW durch eine Mehrheitsbeteiligung des US-Finanzinvestors One Equity Partners (OEP), was als verdeckte Übernahme durch den US-Rüstungsriesen General Dynamics gilt. HDW baut und vermarktet seit Herbst 2002 gemeinsam mit der US-Rüstungsfirma Northrop Grumman U-Boote. Zwar gibt es Vorbehalte seitens der EU-Kommission, aber auf die Dauer, so ein deutscher Rüstungslobbyist, wird die gesamte europäische Rüstungsindustrie vom US-Beschaffungsmarkt abhängig sein und sich darauf durch transnationale Beteiligungen ausrichten müssen: „Ohne Amerika geht gar nichts“ (Wirtschaftswoche 40/2001).
Allen „Irritationen“ und Querschüssen der nationalen politischen Klassen zum Trotz wird die Transnationalisierung der Rüstungsindustrie innerhalb der westlichen kapitalistischen Zentren fortschreiten; schon gibt es auch Projekte eines transnationalen elektronischen Beschaffungsmarktes für die Rüstungs- und Flugzeugkonzerne.
Es existiert eben kein essentieller Grund für national oder selbst auf die EU beschränkte Rüstungsschmieden mehr; einschlägige Debatten und Vorbehalte sind nicht mehr strategisch und damit erstrangig bestimmt, sondern bewegen sich auf der Ebene des sekundären Kompetenzgerangels. Nicht nur von den allgemeinen ökonomischen Grundlagen des globalisierten Krisenkapitalismus her, sondern auch unmittelbar rüstungstechnisch und rüstungsökonomisch bildet die NATO eine gesamtimperiale Zugriffsmacht und ein gesamtkapitalistisches Weltordnungskonzept.
Der Begriff des „ideellen Gesamtimperialismus“, angelehnt an die Marxsche Formulierung vom Nationalstaat als dem „ideellen Gesamtkapitalisten“, verweist natürlich ebenso wie diese nicht etwa auf eine bloß „immaterielle“ Einflussnahme; vielmehr handelt es sich um einen umfassenden Apparat von Hightech-Gewalt und weltweiter politischer Intervention, der einen universell gültigen kapitalistischen Handlungsrahmen zu setzen versucht und in diesem Sinne einen ebenso universellen Kontrollanspruch erheben muss. Allerdings ist der globale „ideelle Gesamtimperialist“ viel mehr auf die politisch-militärische Ebene beschränkt, als es der nationalstaatliche einstige „ideelle Gesamtkapitalist“ war: Er fasst nicht die Kapitalien seines Machtbereichs in einem auch ökonomischen Ordnungsrahmen zusammen, sondern muss umgekehrt der enthemmten, jeden Ordnungsrahmen sprengenden Konkurrenz der Kapitalien gehorchen, auf die er nur noch äußerlich und ohne eigenständige wirtschaftspolitische Eingriffskompetenz reagieren kann.
Die NATO ist ebenso wenig wie die USA ein „Weltstaat“, der die alte nationale Staatsfunktion auf einer höheren, supranationalen Ebene übernehmen könnte. Sie ist eben nur der (erweiterte) „ideelle Gesamtimperialist“, also eine reine Instanz der Gewalt und politischen Pression, keine Instanz einer umfassenderen Regulation. Somit kann die NATO den Widerspruch des globalen Krisenkapitalismus nicht lösen, sondern in ihrer eigenen widersprüchlichen Struktur als supranationales Gebilde unter der nationalstaatlichen Hegemonie der „letzten Weltmacht“ nur in periodischer Gewaltsamkeit zum Ausdruck bringen.
Auf den ersten Blick könnte dieser monozentrische „ideelle Gesamtimperialismus“ des beginnenden 21. Jahrhunderts an den fast vergessenen