Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

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Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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viel­leicht von dort, wo sie kur­ze Zeit vor­her noch ge­we­sen sind, Ah­nun­gen mit.

      *

      Ich hat­te die Ma­sern. Ich war glück­lich dar­über, denn ich brauch­te ja nicht zur Schu­le zu ge­hen. Es war win­ters, etwa vier Wo­chen vor Weih­nach­ten. Mein Kran­ken­bett über­strahl­te be­reits der kom­men­de Glanz. Aber es gab recht trost­lo­se schlaflo­se Näch­te. In ei­ner habe ich am Zif­fer­blatt der Uhr, die von Va­ters Nacht­licht be­leuch­tet wur­de, eine gan­ze Stun­de lang die Se­kun­den aus ver­zwei­fel­ter Lan­ger­wei­le ab­ge­zählt.

      Ein­mal dann ge­gen Mor­gen hat­te ich einen kos­mi­schen Traum. Es wa­ren Grö­ßen­ver­hält­nis­se der al­le­run­ge­heu­ers­ten Art, die mir da­bei an­schau­lich wur­den. Nicht we­ni­ger sah ich als die im Rau­me rol­len­de Welt­ku­gel. Ich sel­ber aber war hoff­nungs­los wie ein schwin­deln­des, tod­ge­weih­tes, mi­ni­ma­les Le­ben dar­an­ge­klebt, je­den Au­gen­blick in Ge­fahr, in un­end­li­che Räu­me ab­zu­stür­zen.

      Ich war er­wacht, das Dienst­mäd­chen kam, das Feu­er im Ofen an­zu­ma­chen. Ich glaub­te, es müss­te eben­falls se­hen und ge­se­hen ha­ben, was mir im Wa­chen fast noch wirk­lich vor­schweb­te, und frag­te sie mehr­mals in die­sem Sin­ne. Ich glaub­te, es wer­de mit mir in das glei­che, nicht en­den­wol­len­de Stau­nen aus­bre­chen. Aber die Schleu­ße­rin hat­te nur einen leich­ten Schreck da­von.

      Die Son­ne ging auf, sie ging täg­lich auf. Sie brach­te Far­be und Form und er­weck­te das Auge, bei­des zu se­hen. Sie bil­de­te bei­des in mich ein. Im­mer rei­cher und von im­mer grö­ße­rer Viel­falt wur­de auch mei­ne nacht­ge­bo­re­ne Trau­mes­welt. Auch der Wachtraum in sei­ner be­wuss­ten Form malt sich, ent­steht auch wohl auf dem Ur­grund der Nacht. Ma­te­rie und Lee­re of­fen­bar­ten sich mir zu­gleich in ei­ner nie wie­der ge­se­he­nen Furcht­bar­keit.

      Es wur­de be­reits ge­sagt, dass ich so­wohl in der bür­ger­li­chen Welt wie in der des da­mals so ge­nann­ten nie­de­ren Vol­kes zu Hau­se war. In die­ser Be­zie­hung glich ich ent­fernt dem Eu­pho­ri­on, da ich mich im­mer wie­der von der einen zur an­de­ren hin­ab- und von je­ner zu die­ser em­por­be­weg­te. In ge­wis­sem Sin­ne ging dies Auf und Ab im­mer hö­her hin­auf, im­mer tiefer hin­un­ter: etwa von der Réu­ni­on im klei­nen Blau­en Saal, wo sich die Eli­te der Ba­de­ge­sell­schaft, Adel, Schön­heit, Reich­tum, Ju­gend, zu­sam­men­fand, ir­gend­ein nam­haf­ter Pia­nist sich hö­ren ließ, von Beetho­ven, Liszt, Cho­pin und an­de­ren großen Künst­lern ge­spro­chen und da­bei Cham­pa­gner, Man­del­milch, Sor­bet und an­de­res ge­trun­ken wur­de, bis zu ei­ner ge­wis­sen Trep­pe Un­term Saal, wo arme Frau­en, Töp­fe im Arm, stun­den­lang an­stan­den bis zur Kü­chen­tür und auf Ab­fäl­le war­te­ten. Und was die Brei­te mei­ner Eu­pho­ri­on­be­we­gung be­trifft und die An­täus­punk­te ih­rer Ab­sprün­ge, so la­gen die­se bald in der vor­de­ren, bald in der hin­te­ren Welt, die durch den Haupt­bau des Gast­hofs ge­trennt wur­den und von de­nen die eine die der glück­lich Ge­nie­ßen­den, die an­de­re die der Ar­beit, der Sor­ge, des Ver­zich­tes, der Verzweif­lung war.

      Ohne die Son­nen­sei­te des Da­seins vor der Fassa­de des Hau­ses scheel an­zu­se­hen, rech­ne­te ich mich doch durch­aus zur an­de­ren Par­tei, die ge­wis­ser­ma­ßen im Schat­ten leb­te. Wie­der und wie­der stürz­te ich mich ins Licht, doch nie, ohne bald in den Schat­ten zu­rück­zu­keh­ren.

      *

      Mei­ne Träu­me­rei­en, wa­chend wie schla­fend, tags wie nachts, moch­ten vom Nie­der­schlag mei­ner Er­fah­run­gen ge­speist wer­den, aber sie gin­gen weit dar­über hin­aus. Jä­gers­ze­nen, Kämp­fe mit Bä­ren, Ge­gen­wär­tig­s­ein bei ster­ben­den und ge­stor­be­nen Men­schen, mei­ne El­tern als Geis­ter wie­der­keh­rend, Flie­gen ohne Flü­gel, wie ich oft im Trau­me tat, das konn­te mit kei­ner mei­ner Er­fah­run­gen ir­gen­det­was zu tun ha­ben.

      Wer mir die ers­ten Mär­chen er­zählt hat, weiß ich nicht, ich neh­me an, mei­ne Mut­ter. Ich selbst aber habe sehr früh den Kin­dern des Fuhr­manns Krau­se, Gu­stav und Ida, Mär­chen er­zählt, und zwar in der Stu­be der Krau­se­leu­te, win­ters, zur­zeit der Däm­me­rung. Wir hock­ten auf Fuß­bänk­chen in der »Hel­le«. Das war ein ge­müt­lich be­schie­ne­ner war­mer Win­kel zwi­schen Ofen und Wand.

      Ida und Gu­stav wur­den nicht müde, mir zu­zu­hö­ren, selbst wenn ich Er­fin­dun­gen auf Er­fin­dun­gen stun­den­lang ge­häuft hat­te. Ich wur­de von ih­rem Hun­ger nach dem Wun­der­ba­ren ohne Gna­de wei­ter­ge­peitscht, bis mei­ne Geis­tes­kräf­te den Dienst ver­sag­ten, über­mü­det und miss­braucht.

      Vom Hof aus ei­ni­ge Sprün­ge schräg über die Stra­ße wohn­te in ei­nem hüb­schen, vil­len­ar­ti­gen Hau­se der ält­li­che Apo­the­ker Lin­ke mit sei­ner jun­gen, schö­nen Frau. Al­fred, ihr Sohn, war jün­ger als ich, und ich bin wohl noch nicht zur Schu­le ge­gan­gen, als er zum ers­ten Mal in mei­nen Ge­sichts­kreis trat. Sein Ge­ha­be er­schreck­te mich. Din­ge, die schlech­ter­dings nur ima­gi­niert sein konn­ten, be­han­del­te er als Wirk­lich­keit. Er habe, sag­te er, eine Apo­the­ke in Weiß­stein und eine Apo­the­ke im Nie­der­dorf. Sein Pro­vi­sor in Weiß­stein ma­che ihm Sor­ge, sein Pro­vi­sor im Nie­der­dorf sei ein tüch­ti­ger Mensch und ar­bei­te zu sei­ner Zufrie­den­heit.

      Die­se krank­haf­te Art zu ima­gi­nie­ren hat­te mit der mei­nen, wenn ich Mär­chen er­zähl­te, durch­aus nichts zu tun. Sie war mir eben­so neu wie un­heim­lich. Wirk­lich­keit blieb in mei­nem geis­ti­gen Haus­halt Wirk­lich­keit, und Vor­stel­lun­gen der Ein­bil­dungs­kraft wur­den von mir nur als sol­che ge­wer­tet.

      Al­fred Lin­ke war ein Kna­be, den man mit je­der er­denk­li­chen Sorg­falt be­treu­te. Aus­ge­such­te Lehr­kräf­te lei­te­ten sei­nen häus­li­chen Un­ter­richt, der sich auch auf Mu­sik er­streck­te. Er er­wies sich be­son­ders kla­vie­ris­tisch als ein hoch­be­gab­tes Kind. Aber die Be­haup­tung der Dorf­ju­gend in sol­chen Fäl­len »Der ist ja aus Glas!« hat­te auf ihn be­zo­gen sei­ne Rich­tig­keit. Ein na­tür­li­ches Wort, ein Stoß vor die Brust, eine Prü­ge­lei hät­te ihn, wie mir vor­kam, in Scher­ben zer­fal­len zu­rück­ge­las­sen.

      Al­fred war ge­gen mich nicht ab­wei­send. Sei­ne El­tern er­zeig­ten mir al­lent­hal­ben viel Freund­lich­keit, und doch hat­te ich ihm ge­gen­über die Emp­fin­dung, wie man heu­te sa­gen wür­de, half-cas­te zu sein.

      Da­bei lag es durch­aus nicht an mei­ner Mut­ter, wenn ich mit grau­en, schlech­ten, fle­cki­gen Kleider­fet­zen und durch­weich­ten Stie­feln va­ga­bun­dier­te. Sie sann sich die hüb­sche­s­ten Kit­tel aus, die ich je­doch, au­ßer am Sonn­tag, mit Ent­rüs­tung ab­lehn­te. Aber selbst sonn­tags, weil ich sie scho­nen muss­te und weil sie mich von mei­nen Ka­me­ra­den, den Gas­sen­jun­gen, un­ter­schie­den und von ih­nen glos­siert wur­den, litt ich sie nur mit ge­misch­ten Ge­füh­len kur­ze Zeit.

      *

      Es wird ge­sagt, dass die meis­ten Ju­gend­spie­le den Kampf nach­ah­men. Von ei­nem ge­wis­sen Al­ter an viel­leicht. Das Ka­pi­tel Kin­der­spie­le ver­langt ein Buch, das trotz ein­zel­ner An­läu­fe noch nicht ge­schrie­ben ist. In ge­wis­sen Jah­ren strebt das Kind, et­was an­de­res als es selbst zu sein. Es ist Hund, Pferd oder Dampf­ma­schi­ne. Es kommt das ein­fa­che Fan­ge­spiel, worin sich Jä­ger und


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