Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

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Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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der Art, dass ich den An­hang des di­rek­to­ria­len Bon­vi­vants in ih­nen ver­mu­ten konn­te. Eine sol­che Häus­lich­keit mit Spei­se­res­ten, Milch­fla­schen, Spü­licht und un­ge­wa­sche­nem Kü­chen­ge­schirr, und was dem Ge­ruchs­sinn ge­bo­ten wur­de, brauch­te ich nicht wei­ter aus­zu­ma­len, wenn sich mir nicht al­les und schließ­lich noch das weg­wer­fen­de Ge­schrei der Frau über ih­ren Mann im Ge­gen­satz zu dem Bil­de in der Preu­ßi­schen Kro­ne so tief ein­ge­prägt hät­te. Dort sprach man von Bis­marck, Molt­ke, Roon, von Na­po­le­on, der in Kas­sel ge­fan­gen saß, vom Frie­den zu Frank­furt, von Straß­burg, das wie­der deutsch ge­wor­den war, von den fünf Mil­li­ar­den Fran­ken, die Frank­reich an Deutsch­land zu zah­len hat­te. Von al­le­dem war hier nichts hin­ge­drun­gen.

      *

      Der Eli­sen­hof über uns, dem ich kei­ne Tisch­gäs­te gön­nen woll­te, ge­hör­te ei­ner Ma­da­me Enke, die ver­wit­wet war und dort mit ih­ren Söh­nen und de­ren Er­zie­her, Dia­ko­nus Spah­ner, haus­te. Die Hin­ter­gär­ten der Kro­ne und des Eli­sen­hofs grenz­ten an­ein­an­der, aber trotz­dem oder ge­ra­de des­halb be­stand ein Ver­kehr zwi­schen uns und den En­kes nicht. Vi­el­leicht war es frü­her an­ders ge­we­sen. Die Spuk­ge­schich­te mei­nes Va­ters mit dem un­auf­ge­klär­ten Rufe »Ro­bert! Ro­bert!«, die sich auf einen jun­gen Enke be­zog, sprach da­für. Den Ab­bruch der Be­zie­hun­gen hat­te ein Volk von En­ten be­wirkt, das durch Zaun­lücken in den En­ke­schen Gar­ten ge­wech­selt war, dort als gute Pri­se ge­nom­men und im Kel­ler vom Haus­knecht ge­schlach­tet wur­de. Nur un­ter dem al­ten Enke, der da­mals noch leb­te, konn­te et­was der­glei­chen vor­kom­men. Als er sich aber kur­ze Zeit dar­auf mit dem Haus­knecht ver­un­ein­te und ihn aus dem Hau­se warf, er­schi­en die­ser bei mei­nem Va­ter und ver­riet den Sach­ver­halt.

      Mein Va­ter ließ al­les zu Pro­to­koll neh­men und übergab die­ses dem öf­fent­li­chen An­klä­ger.

      Nach­dem die ers­te Ver­hand­lung vor­über war, mit dem be­harr­lich leug­nen­den Enke auf der An­kla­ge­bank, leg­ten sich Wal­den­bur­ger Krei­se ins Mit­tel und mit ih­nen mein Va­ter und mei­ne Mut­ter selbst, wor­auf die Sa­che im San­de ver­lief.

      En­kes wa­ren im Ort nicht be­liebt. Ob sie selbst die Ge­sell­schaft mie­den oder ob sie ge­mie­den wur­den, war nicht ohne wei­te­res fest­zu­stel­len. Aber es schweb­te im­mer eine Düs­ter­nis um den Eli­sen­hof, die ihn in eine Art Ver­ruf brach­te.

      Die Sup­pen­fleischwür­fel mei­ner Mut­ter er­laub­ten ihr, mich ge­le­gent­lich im nächt­li­chen Dun­kel der Pro­me­na­den mit ei­ner Por­ti­on Va­nil­le­eis zu be­glücken. Wir sa­ßen dann lan­ge an ei­nem ver­steck­ten Tisch der Kon­di­to­rei und re­de­ten al­ler­lei mit­ein­an­der. Da sie von Kind auf in Salz­brunn ge­lebt hat­te, wuss­te sie über die Chro­nik des Or­tes Be­scheid und so auch über ge­wis­se dunkle Punk­te, von wel­chen die selt­sa­me Iso­lie­rung der En­kes sich her­schrei­ben moch­te.

      Der mys­te­ri­öse Eli­sen­hof ge­hör­te frü­her ei­nem Herrn Hin­de­mith. Er war ein rei­cher Ha­ge­stolz, der die spä­te­re Ma­da­me Enke, ur­sprüng­lich die Toch­ter ei­ner Grün­zeug­frau, im Back­fi­schal­ter ad­op­tiert hat­te. Er ver­lieb­te sich in das Kind, er­wies ihm öf­fent­lich eine viel be­lach­te, aber mehr noch An­stoß er­re­gen­de Zärt­lich­keit und quäl­te sie au­ßer­dem durch Ei­fer­sucht.

      Er mach­te das von ihm und sei­ner Ad­op­tiv­toch­ter be­wohn­te vor­nehm düs­te­re alte Haus zum Ho­tel Eli­sen­hof. Ein ge­wis­ser Enke wur­de als Lei­ter, als Maître d’hôtel und Ober­kell­ner ein­ge­setzt. Es fand sich die von ihm und der Toch­ter des Hau­ses bald ge­mein­sam und heiß er­sehn­te Ge­le­gen­heit. Sie wa­ren hin­ter dem Rücken des Al­ten ei­nig ge­wor­den.

      Der alte Hin­de­mith wur­de krank. Er lag zu Bett und konn­te nicht auf­ste­hen. Im glei­chen Zim­mer schlief auch die Ad­op­tiv­toch­ter. Er be­an­spruch­te ihre Pfle­ge und wach­te ty­ran­nisch über sie.

      Aber wann wäre eine noch so schar­fe Be­wa­chung und Tren­nung von Lie­bes­leu­ten er­folg­reich ge­we­sen? Nie­mand ver­mag ohne Schlaf zu le­ben, und so war es mit dem al­ten Hin­de­mith. Ge­gen schlech­ten Schlaf aber gibt es Schlaf­mit­tel. Von Krank­heit und Ei­fer­sucht ge­plagt, trotz­dem er in ihm die ge­schäft­li­che Stüt­ze hat­te, jag­te er Enke ei­nes Ta­ges Knall und Fall auf die Stra­ße hin­aus.

      Der so Ge­trof­fe­ne heu­chel­te Gleich­gül­tig­keit. Un­ter den Fens­tern des Kran­ken wur­den sei­ne Kof­fer ver­la­den, der Kut­scher schlug auf die Gäu­le ein, und die quä­len­de Epi­so­de schi­en ab­ge­tan. In Wahr­heit sa­ßen Enke und das nun wohl schon um die Drei­ßig alte Fräu­lein Hin­de­mith am Abend wie im­mer in ei­ner ab­ge­le­ge­nen Kam­mer des Eli­sen­hofs bei­ein­an­der. So blieb es bis zu des Al­ten Tod.

      Ich habe ver­ges­sen, wie lan­ge Enke als ver­bor­ge­ner Haus­ge­nos­se auf den Tod des al­ten Hin­de­mith lau­ern muss­te. Kaum war er ge­stor­ben, als Eli­se Hin­de­mith mit dem eins­ti­gen Ober­kell­ner Hoch­zeit fei­er­te: ein wüs­tes Fest, das im­mer wie­der von mei­ner Mut­ter ge­schil­dert wur­de.

      Das Uner­laub­te die­ser Vor­gän­ge über­la­ger­te den Eli­sen­hof. Schließ­lich starb dann auch Enke, wäh­rend Dia­ko­nus Spah­ner schon im Hau­se war. Die Salz­brun­ner setz­ten kei­nen Zwei­fel in die Art des Ver­hält­nis­ses, das Ma­da­me Enke, eine Er­schei­nung jetzt wie Ma­ria The­re­sia, mit dem jun­gen und schö­nen Theo­lo­gen ver­band.

      Man muss nicht glau­ben, dass Ma­ria-The­re­sia-Enke schüch­tern oder gar furcht­sam ge­we­sen wäre, eher das Ge­gen­teil war der Fall. Sie hat­te sich auf­ge­schwun­gen zur Vor­ste­he­rin des Va­ter­län­di­schen Frau­en­ver­eins und war als sol­che wäh­rend des Krie­ges be­son­ders her­vor­ge­tre­ten. Die gan­ze Ge­gend muss­te Schar­pie zup­fen und Ver­band­stof­fe sam­meln, die sie wag­gon­wei­se an die Hee­res­ver­wal­tung ab­lie­fer­te.

      Sie er­hielt, was den Neid, die Scheel­sucht, ja die Ent­rüs­tung des gan­zen Wal­den­bur­ger Krei­ses ent­fes­sel­te, den Lui­sen­or­den da­für.

      1 Als Ula­nen, auch Uhla­nen, be­zeich­net man eine mit Lan­zen be­waff­ne­te Gat­tung der Ka­val­le­rie. <<<

      Mei­ne Mut­ter hat­te um jene Zeit, nach dem Tode ih­res Va­ters, wohl al­ler­lei zu ver­win­den, was den Dachrö­dens­hof be­traf. Das klei­ne An­we­sen und sein Geist hat­ten auf­ge­hört, der Mit­tel­punkt Ober-Salz­brunns zu sein. An ih­rem Teil spür­te das auch mei­ne Mut­ter. Wer wur­de der neue Brun­nen­in­spek­tor? Die­se Fra­ge ward viel er­ör­tert.

      Öf­ter als sonst er­schi­en in Salz­brunn der Fürst.

      Auch die Fürs­tin kam in die­sem Som­mer meh­re­re Male mit ih­rem Vierer­zug von dem na­hen Fürs­ten­stein. Nie­mals be­glei­te­te sie der Gat­te, sie hat­te meist nur eine Hof­da­me ne­ben sich. Es war je­des Mal ein Er­eig­nis für den Ba­de­ort.

      Schon die Er­schei­nung des Jucker­ge­spanns, die­ser vier brau­nen, sich ge­hor­sam zier­lich tra­gen­den Blut­pfer­de mit dem ni­cken­den Fe­der­schmuck über der Stirn, die leich­te nied­ri­ge Halb­chai­se, durch Gum­mi­rei­fen laut­los ge­macht, mit den Glanz­le­der­schmutz­flü­geln


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