Schweiß, Schlamm und Endorphine. Iris Hadbawnik

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Schweiß, Schlamm und Endorphine - Iris Hadbawnik


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Yorkshire eignet sich perfekt dafür. über große Wiesen geht es dauerhaft bergauf und bergab. Steinmauern begrenzen hier die Felder und stellen optimale Hindernisse dar. In dieser ländlichen Umgebung gibt es praktisch nur diese Art des Laufens, denn asphaltierte Straßen sind rar.

      Zurück in meinem Internat in Deutschland, dem Kurpfalz Internat nahe Heidelberg, meldete ich mich für das einzigartige Projekt »Extrem-Hindernislauf« an, welches dort seit einiger Zeit für die Schüler des Internats angeboten und vom Extremsportler Raffael Zeller geleitet wird. Mit meinen Erfahrungen aus England war ich schnell überzeugt und brannte für das spezielle Training. unter Raffaels professioneller Anleitung eigneten wir uns grundlegende Techniken zur schnellen und effektiven Fortbewegung im Gelände an. Die Herausforderungen, denen ich mich hier stellen musste, waren völlig neue. Die steilen Berge, die kalten Flüsse und die dichten Wälder im Raum Heidelberg verlangen einem Anfänger alles ab. Dazu kam der Nervenkitzel, denn die Projektgruppe »Extrem-Hindernislauf« fand immer abends nach Einbruch der Dunkelheit statt. Nur mit Stirnlampen bewaffnet, ging es über Wiesen und durch die dunklen Wälder. Fernab von Häusern und Wegen hat uns Raffael die Berge hinauf- und wieder hinuntergepusht. Durch Hunderte Liegestütze erreichte jeder von uns seine eigene Leistungsgrenze und wuchs über sich hinaus. Stück für Stück fühlte sich das Laufen auf einmal viel einfacher an. Nicht weniger fordernd, doch durch die Kälte, durch die Feuchtigkeit und den schweren Matsch an den Füßen wurde es zur Normalität. Dieser rohe, extrem fordernde Sport faszinierte mich immer mehr. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, dass dieses Training der Anfang meines Weges in die OCR-Szene sein würde. Nach der jährlichen Feuertaufe, dem 23 Kilometer langen Querfeldein-Abschlusslauf der Projektgruppe, entschied ich mich endgültig, an einem ersten OCR-Wettkampf teilzunehmen. Vor dem Start war ich sehr nervös – hätte es aber nicht sein müssen, weil ich durch Raffael optimal auf das Rennen vorbereitet wurde. Nach diesem ersten erfolgreichen Wettkampf, dem Spartan Sprint in München, erlag ich vollends dem Bann des Extrem-Hindernislaufens. Nun folgte ein Wettkampf auf den nächsten, und durch die Zusammenarbeit mit dem Onlinemagazin androgon. com wurde dieses Hobby bis heute zu meiner großen Leidenschaft. «

      Wer sich Bilder und Aufnahmen von Extrem-Hindernisläufen anschaut oder schon an einem solchen Rennen teilgenommen hat, fühlt sich in Szenen von Filmen wie Full Metal Jacket von Stanley Kubrick (1987), Ein Offizier und Gentleman von Taylor Hackford (1982) oder 300 von Zack Snyder (2006) hineinversetzt. Es gilt, mit lautem Gebrüll in den Wettkampf zu starten, Herausforderungen zu meistern, den Anweisungen eines Drill Instructors Folge zu leisten, gegen »Gladiatoren« zu kämpfen und Hindernisse zu bewältigen, die jeder Militärausbildung alle Ehre erweisen würden. Denn genau hier findet sich der Ursprung der Idee zu Tough Guy und Co.

      Während sich seit der Antike bis zum späten Mittelalter die feindlichen Heere in der Kriegsführung vor allem in starren Formationen auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden und bekämpften, änderte sich Ende des 19. Jahrhunderts diese Taktik durch den Einsatz von Feuerwaffen und Artillerie. Dies vor allem wegen der hohen Verluste an Soldaten. Seitdem kam es zu einem Umdenken der Militärs und zur Einführung der sogenannten »asymmetrischen Kriegsführung«, bei der sich die Soldaten im feindlichen Gelände den schwierigen örtlichen Bedingungen anpassen mussten und sich zusätzlich tarnten. Ziel war es, dadurch möglichst hinter die feindlichen Linien zu gelangen und den Gegner aus dem Hinterhalt zu bekämpfen. Dabei ging es für die Soldaten samt Waffe und Gepäck über Stock und Stein, über natürliche, aber auch feindliche Hindernisse jeder Art. Egal ob Wassergräben, Wände und Mauern, Panzersperren oder Stacheldrähte – das schnellstmögliche Bewältigen der Barrieren war schlichtweg lebensnotwendig, um nicht vor die feindlichen Geschütze zu geraten.

      Sportler überwinden beim OCR zum Teil martialische Hindernisse. Hier beim Getting Tough –The Race 2015.

      Also versuchte man in den Kasernen, die Soldaten bestmöglich auf ihren Einsatz vorzubereiten. Spätestens jetzt kamen die Hindernisbahnen ins Spiel. Hier lernten die Männer neben Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft auch die lebensrettende Schnelligkeit im Gelände. Sie perfektionierten den Wechsel zwischen aufrechtem Lauf und der niedrigsten Gangart, dem Krabbeln oder Robben, sowie dem Bewältigen der Hindernisse. Da man sich unaufhörlich auf den verschiedenen Ebenen bewegen und der Körper immer wieder auf einen neuen Impuls reagieren musste, bedurfte dies einer sehr hohen körperlichen Fitness. Diese Trainingseinheiten wurden mit einfachen Worten befohlen: »Dran! Drauf! Drüber!« Bis heute gelten diese Worte als Schlachtruf der Infanterie (Panzergrenadiere).

      Noch heute ist die Hindernisbahn ein fester Bestandteil der Grundausbildung in deutschen, aber auch europäischen Kasernen. Die Hindernisbahn – kurz auch H-Bahn, HiBa oder Sturmbahn genannt – ist eine militärische Ausbildungsanlage, die Körperkraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Schnelligkeit der Soldaten schulen soll. Im Prinzip ist sie mit einem militärischen Zirkeltraining vergleichbar, aber bei vielen Soldaten eher gefürchtet als geliebt. Wer sich bis zur Bundeswehrzeit weniger um seine körperliche Fitness gekümmert hat, der wird die Hindernisbahn eher als notwendiges Übel betrachten. Bei anderen, wie auch bei mir, kann die HiBa aber auch den Beginn einer lebenslangen Faszination bedeuten.

      Beim Militär wird die Hindernisbahn, die in der Regel etwa 200 bis 500 Meter lang und mit rund 12 bis 20 Hindernissen aus Holz, Beton und Stahl bestückt ist, entweder einzeln oder in der Gruppe überwunden. Bei letzterer Methode sollen die Soldaten vor allem lernen, dass sie durch effektive Zusammenarbeit deutlich leistungsfähiger sind und wie sie sich im Team gegenseitig helfen können. Je nach Ausbildungsstand kann auf der militärischen Hindernisbahn der Schwierigkeitsgrad enorm gesteigert werden.

      So ist das Absolvieren der Bahn durch die Mitnahme von Waffe und Gepäck, unter reduzierter Sauerstoffzufuhr – also dem Tragen von ABC-Schutzbekleidung –, bei Nacht, bei Regen oder inklusive des Transportes eines »verwundeten« Kameraden, der durch einen Baumstamm ersetzt wird, an der Tagesordnung. Aber nicht nur in Deutschland ist die Bahn Bestandteil der Ausbildung, sondern nahezu weltweit.

      Zu jeder Hindernisbahn gehören mindestens folgende Stationen: Eskaladierwand (eine 1,80 bis 2,50 Meter hohe Wand), Steigbahn, Balancierbalken, Gleithindernis (das typische Kriechen unter dem Stacheldraht), Schützen- beziehungsweise Wassergraben, Stolperdrähte und Spanische Reiter (x-förmig angeordnete Holzbalken, die überstiegen werden müssen).

      Ein Sportler trägt einen Baumstamm, der einen verwundeten Kameraden simulieren soll.

      Hindernislauf goes Olympia

      Der Hindernislauf ist jedoch nicht rein militärisch geprägt. Bereits 1850 entstand aus einer Wette von Oxford-Studenten ein Wettkampf, der ein bekanntes Pferderennen nachahmte: ein sogenanntes Steeplechase, also ein Hindernisrennen von Kirchturm zu Kirchturm. Bei diesem Wettkampf mussten die Reiter mit ihren Pferden querfeldein verschiedene natürliche Hindernisse wie Zäune oder Wassergräben überwinden. Als Wegweiser diente jeweils der Kirchturm des nächsten Ortes. Nun sollten Läufer diese Strecke bewältigen, die genau wie die Jockeys Gewichte mittrugen, um sich je nach Alter oder Leistung möglichst gleiche Siegchancen zu sichern. Im Jahr 1900 wurde dieser Hindernislauf, der damals auf einer Strecke von 2.500 und 4.000 Metern durchgeführt wurde, sogar ins olympische Programm aufgenommen. Seit 1928 einigte man sich auf eine Streckenlänge von 3.000 Metern, die noch heute Gültigkeit hat. Die Athleten bei den Olympischen Spielen absolvieren den Hindernislauf auf einer 400-Meter-Bahn und müssen insgesamt 28-mal eine Hürde von exakt 3 Fuß Höhe (91,4 Zentimeter) und 7-mal einen Wassergraben mit einer Breite von 13 Fuß (3,66 Meter) und einer Tiefe von bis zu 70 Zentimetern überwinden.

      Seit den Sommerspielen 1912 in Stockholm wurde eine weitere Sportart populär, die speziell für Olympia konzipiert wurde: der Moderne Fünfkampf. Er beinhaltet die klassischen Offiziersdisziplinen, wie Pistolenschießen, Degenfechten und Military-Reiten (Querfeldeinreiten mit natürlichen und künstlichen Hindernissen) – angereichert mit Schwimmen und Querfeldeinlauf. So war der Moderne Fünfkampf ursprünglich


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