Fremde und Fremdsein in der Antike. Holger Sonnabend

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Fremde und Fremdsein in der Antike - Holger Sonnabend


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Griechen ihren Erfolg – über die »Barbaren«, denn so lässt Aischylos die Perser in dem Stück sich selbst bezeichnen. Im Übrigen war Aischylos von seiner eigenen Biografie her kein unbedingter Freund der Perser. Bei Marathon und Salamis hatte er aktiv für die Griechen gekämpft. Sein Bruder war bei Marathon ums Leben gekommen. Auf seinem Grabstein ließ er eine Inschrift anbringen, die seine Tapferkeit in der Schlacht von Marathon rühmt. So sind seine Perser auch Reflex seiner ganz persönlichen Erfahrungen mit den Persern.

       Spezial: Fremde unerwünscht! Die Olympischen Spiele der Antike

      Olympia – ein internationales Völkerfest. Das ist der Anspruch, seit 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit stattfanden. In der Antike waren die Olympischen Spiele, die alle vier Jahre im heiligen Hain von Olympia stattfanden, zunächst eine exklusive Angelegenheit für Griechen – genauer: für junge männliche Athleten griechischer Herkunft. Barbaren waren nicht zugelassen. Wer bei Olympia dabei sein wollte, musste gegenüber den Organisatoren den Nachweis erbringen, dass er Grieche war, etwa durch Sprachkenntnisse, die Zugehörigkeit zu einer griechischen Stadt oder die Verbundenheit mit der griechischen Religion. Nicht zugelassen waren anfangs Athleten aus Makedonien. Die Bewohner dieser Landschaft im Gebiet des Olymps galten den Griechen, obwohl sie mit ihnen ethnisch verwandt waren, als Barbaren. König Alexander I., ein Vorfahr des großen Alexander, empfand diese Zurückweisung als Diskriminierung. Mit großem Gefolge erschien er, wie Herodot (5,22) berichtet, in Olympia und marschierte schnurstracks dorthin, wo die Läufer sich auf ihren Wettbewerb vorbereiteten, ganz offensichtlich in der Absicht, mitzulaufen. Die Begeisterung der anderen Sportler, einen veritablen König im Teilnehmerfeld zu sehen, hielt sich jedoch in engen Grenzen, sie forderten seinen Ausschluss mit der Begründung, der Wettkampf sei nicht für fremde, sondern nur für griechische Athleten gedacht. Das war ein Fall für die Schiedsrichter, sie verlangten, dass der König eine griechische Herkunft nachweise. Alexander war gut vorbereitet und legte dar, dass er von seinen Vorfahren her aus der griechischen Stadt Argos stamme. Diese Begründung wurde akzeptiert, Alexander trat an – und gewann? Das wäre des Guten dann doch zu viel gewesen. Aber die Wettkampfrichter waren weise genug, salomonisch zu entscheiden, dass er genauso schnell gelaufen war wie der Sieger.

      Später, als die Römer die Herrschaft über Griechenland übernahmen, wurde die Schranke zwischen Griechen und Barbaren aufgehoben. Schließlich waren in der Sicht der Griechen auch die Römer Barbaren. So stand die Teilnahme an den Olympischen Spielen jetzt allen offen. Bis zum Verbot der Spiele durch den römischen Kaiser Theodosius 393 n. Chr. waren die Spiele nun eine internationale Angelegenheit.

       5. Exotische Fremde – Ethnografie und Mythos

      Das Fremde hatte es in der Antike leichter, wenn es weiter entfernt lag. Je exotischer, desto besser. Von fernen Fremden war man fasziniert, weil man ihnen, anders nahen Fremden, entspannt und offen begegnen konnte. Diese Haltung hat die Antike nicht exklusiv gepachtet, sondern scheint so etwas wie eine anthropologische Konstante zu sein – wenn man nur daran denkt, wie Europa im Mittelalter und der Frühen Neuzeit dem Fernen Osten oder in der Neuzeit der karibischen Inselwelt begegnet ist. Fremde Völker, fremde Sitten und fremde Landschaften dienen dabei immer auch als Projektionsflächen eigener Wünsche und Sehnsüchte. Und sie befriedigen die Neugier und lassen staunen.

      So wurden in der griechischen Geografie und Ethnografie die Völker am Rande der Oikumene, der bewohnten, vom Weltmeer, dem Okeanos, umgebenen Landmasse, zu wundersamen Gesellschaften stilisiert. Exotische Fremde wurden im – aus griechischer Sicht – äußersten Süden, Osten, Norden und Westen angesiedelt. Je ferner, desto exotischer. Ein typisches Beispiel für die klassische Zeit wird von dem auch in dieser Hinsicht sehr auskunftsfreudigen Herodot geliefert (4,185). Dort, wo der griechische Schriftsteller des 5. Jahrhunderts v. Chr. die in Libyen lebenden Menschen porträtiert, nimmt er seine Leser und Hörer mit auf eine Reise zu den Garamanten und Troglodyten, zwei exotischen Völkern in Nordafrika:

       »Von Augila aus kommen nach zehn weiteren Tagen des Weges wieder ein Salzhügel und Wasser und viele fruchttragende Dattelpalmen, wie bei den anderen. Auch da wohnen Menschen, die heißen Garamanten, ein mächtig großes Volk. Sie tragen Erde auf das Salz und säen dann. Hier kommt der Höhenzug der Lotophagen am nächsten. Von denen bis hierher sind es 30 Tage. Bei ihnen gibt es auch die rückwärts weidenden Rinder. Rückwärts weiden sie deswegen: Ihre Hörner sind nach vorne gebogen, darum gehen sie rückwärts, wenn sie weiden. Vorwärts können sie nämlich nicht, denn sonst würden sie mit ihren Hörnern in den Boden stoßen. Sonst unterscheiden sie sich gar nicht von anderen Rindern, nur hierin und dann dadurch, dass ihre Haut sehr stark und haltbar ist. Diese Garamanten machen Jagd auf die aithiopischen Troglodyten, und zwar mit Viergespannen. Die aithiopischen Troglodyten nämlich haben die schnellsten Beine von allen Menschen, von denen uns darüber berichtet wird. Diese Höhlenbewohner ernähren sich von Schlangen und Eidechsen und anderem solchem Gewürm. Es gibt bei ihnen eine Sprache, die ist keiner anderen ähnlich, sondern sie kreischen wie Fledermäuse.«

      Das sind seltsame Informationen, die Herodot über die Fremden verbreitet. Ein gemeinsamer Nenner bei der Betrachtung des exotischen Fremden aber ist, neben dem Wundersamen und Ungewöhnlichen, der Naturbezug dieser Völker. Sie sind ein urtümliches Gegenmodell zu den (tatsächlich oder vermeintlich) zivilisierten Völkern. Sie können sogar ein Vorbild sein. Die Libyer am Tritonsee, berichtet Herodot (4,189), verehren nicht, wie alle anderen, die Sonne und den Mond, sondern die griechischen Gottheiten Athene, Triton und Poseidon. Den Tritonsee haben die Griechen über die Argonauten-Sage (Jason auf der Suche nach dem Goldenen Vlies) in ihren geografischen und kultischen Horizont einbezogen. Bekannt geworden ist er ihnen während der Großen Kolonisation, als griechische Siedler und Abenteurer auf der Suche einer neuen Heimat auch der afrikanischen Küste Besuche abstatteten.

      Doch die Libyer haben nicht nur genommen, sondern auch gegeben. Genauer gesagt: Es waren die libyschen Frauen, die griechischen Frauen in Sachen Kleidung und Mode als Vorbild dienten, und auch die akustische Begleitung kultischer Handlungen war libyscher Herkunft, wie Herodot wissen will (4,189): »Ich habe auch die Vermutung, dass das helle Schreien (ololyge) beim Opfern dort zuerst aufgekommen ist. Denn die libyschen Frauen verwenden es reichlich und verwenden es schön.« Um aber bei den stolzen Griechen nicht den Eindruck zu erwecken, man habe zu viel von den barbarischen Libyern übernommen, fügt der Autor zur Beruhigung hinzu (4,198): »Ich meine aber, auch in seiner Leistung ist Libyen nicht so bedeutend, dass man es mit Europa oder Asien gleichstellen kann.«

      Zwischen den Garamenten und den Troglodyten tauchen bei Herodot die Lotophagen auf – eine griechische Bezeichnung für die »Lotosesser«, denen bereits Homer in der Odyssee ein literarisches Denkmal gesetzt hatte (9,82–105). Seine Irrfahrten führten den griechischen Trojahelden und seine Begleiter an die Gestade dieses Volkes. Wie würden sie als Fremde empfangen werden? Zwei seiner Leute schickte Odysseus als Kundschafter voraus. Das Ergebnis dieses Besuches war erfreulich und unerfreulich. »Die Lotophagen beleidigten nicht im geringsten unsere Freunde, sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten.« Die Gefährten freuten sich über den freundlichen Empfang, beachteten aber nicht die Risiken und Nebenwirkungen des Genusses der Lotospflanze:

      »Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet,

      Dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr,

      Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft

      Bleiben und Lotos pflücken und ihrer Heimat entsagen.«

      Odysseus aber war wie immer zur Stelle, und befreite die Gefährten aus ihrer misslichen Lage, indem er »die Weinenden mit Gewalt wieder ans Ufer zog«. Herodot lokalisiert dieses bemerkenswerte Volk der Lotosesser im östlichen Nordafrika. Damit gehört er zu den antiken Vorläufern jener unermüdlichen Schar von Forschern und Abenteurern, die viel Energie in die vom historischen Standpunkt aus relativ aussichtslose Idee investiert haben, die Schauplätze der homerischen Odyssee mit konkreten Orten innerhalb oder gar außerhalb der Mittelmeerwelt in Verbindung zu bringen. Die Lotophagen als Volk hat es nicht gegeben, sie gehören dem Reich der Fantasie an, ebenso


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