Speyerer Altlasten. W. W. Pook
Читать онлайн книгу.„Holländerin?“
Wieder nicke ich.
„Psychologin und Profilerin, wenn ich den Eintrag hier recht verstehe!“
Noch ein Nicken.
„Stumm sind sie auch noch, wie ich höre?“
Und jetzt muss ich lachen.
„Nein, stumm bin ich nicht, aber zum ersten Mal verdächtig. Meistens stehe ich auf der Seite der Guten!“
„Meistens, wie soll ich das verstehen?“
Vorsicht, Inger, sage ich zu mir, die Dame hat einen sehr scharfen Verstand. Jetzt bleib ernst bei der Sache.
„Wenn ich meinem Vater eine gute Tafel Baseler Schokolade aus seinem Geheimfach entwende, dann ist das keine Straftat, auch wenn er immer so tut als ob. Ein schlechtes Gewissen habe ich dabei auch immer, aber die Schokolade entschädigt mich reichlich dafür. Deshalb sage ich: meistens stehe ich auf der Seite der Guten. Aber was Sie hören wollen, ist eher, dass ich weder hier noch in Holland oder anderswo vorbestraft bin, ein unbescholtenes Leben führe und deshalb hier auf der Bank sitze, weil zwei ältere Damen, die ich begleite, zur Zeit mit der Priorin sprechen!“
Per Funk ruft die Polizistin eine Kollegin aus dem Streifenwagen zu sich, übergibt meinen Ausweis mit knappen Worten zur Überprüfung. Dann setzt sie das Verhör fort.
„Werden Sie in den Fall einsteigen, oder beabsichtigen Sie in irgendeiner Weise sich einzumischen?“
„Nein!“, rufe ich etwas zu laut wie mir scheint, denn die Polizistin hebt zweifelnd die schönen Augenbrauen.
„Ich bin als Touristin hier und begleite nur meine ältere Freundin Frau Dr. med. Grete van Potgieter, die zur Beerdigung der ehemaligen Freundinnen Liesel und Maria hergekommen ist.
„Wo sind Sie abgestiegen, beziehungsweise, wo kann ich Sie erreichen, wenn ich das wollte?“
„Wir wohnen bei Frau Ulla Erler, Maximilianstraße 7, auch eine 38er, wenn ich das so richtig wiedergebe. Auf alle Fälle nennen die Damen sich so!“
Die Beamtin notiert sich alles in ihren Block. Während ich warte, dass sie damit fertig ist, fällt mein Blick zum großen Metalltor und ich konzentriere mich auf den Anblick. Da steht der kleine Mann mit schütterem Haar und späht angestrengt durch die Gitterstäbe in meine Richtung. Als sich unsere Blicke treffen, lupft er seinen Hut und geht schnell weiter.
Eigenartig denke ich noch, da kommen Ulla und Grete mit der Priorin aus dem Kloster.
„Mädchen, da bist du ja, wir haben dich gesucht!“, kräht Ulla im Näherkommen. Ohne Umschweife verhört sie sozusagen die Beamtin, die mir meinen Ausweis zurückreicht.
„Sie ermitteln in diesen Mordfällen, wenn ich das recht interpretiere? Dann sollten sie bald zu mir nach Hause kommen. Ulla Erler, Maximilianstraße 7, hier in Speyer. Ich verfüge über wichtige Detailkenntnisse und Verknüpfungspunkte, die für Sie und Ihren Chef von größter Wichtigkeit sind.
Gestern Abend hatte wir leider nicht die Möglichkeit ausführlich mit Herrn Kriminaloberkommissar Specht zusprechen!“
Und zu mir gewandt, fragt sie pikiert:
„Hast du Schwierigkeiten, Kind? Man hat deinen Ausweis kontrolliert?“
„Nein!“, antworte ich gedehnt, weil mir die Kindchenmasche auf die Nerven geht und da sehe ich auch noch das verschmitzte Grinsen im Gesicht der Beamtin, die sofort wieder ernst wird.
Gretchen setzt sich zu mir, legt ihren Arm um meine Schulter und flüstert in mein Ohr, ob ich bereits etwas gesehen hätte, während Ulla der Beamtin weitere Sachverhalte diktiert. Ich verziehe das Gesicht als hätte ich Schmerzen, denn langsam wird mir die Sache zu bunt.
„Du weißt doch ganz genau, dass ich hier nachdem ein Großaufgebot von Fahndern und Sachverständigen, die hin und her gelaufen sind, Vermutungen geäußert und Schlussfolgerungen gezogen haben, nichts mehr sehen kann!“, rufe ich viel zu laut, mehr aus Ärger, dass mein Entschluss ignoriert wird. Zu spät bemerke ich die erschreckten Blicke der Umstehenden.
Die Priorin bekreuzigt sich und ich fühle mich schlecht. Wieder hebt die Beamtin die Augenbrauen und Ulla ihren pädagogischen Zeigefinger.
„Inger, ich halte es für deine Menschenpflicht uns bei der Lösung dieses unaussprechlichen Grauens zu helfen. In Speyer geht ein Mörder um, der liebevolle, freundliche Menschen schlachtet, ohne dass ich einen Grund dafür sehen kann. Wir müssen, und ich betone diese zwei Worte: wir müssen den Behörden helfen, komme was da wolle, wir sind schon mitten drin in den Ermittlungen!“
Mit diesen Worten nickt sie den Umstehenden zu, wendet und eilt in Richtung Ausgangstor.
Gretchen tätschelt meinen Rücken. Ich finde das lästig. Mit einem Blick zurück erfasse ich noch das höhnische Grinsen der Polizistin, dann rennen wir hinter Ulla her zur Bärengasse 13, dem nächsten Tatort.
Kapitel 3
Die 1938er
Mein erster Tag in Speyer wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Ulla Erler, ehemalige Lehrerin für Mathematik, Englisch und Sport, lässt uns durch die Stadt rennen wie Turnierpferde.
Bis 13 Uhr hat sie ihre Liste abgehakt und sitzt mit uns im Garten des Domhofs.
Mir qualmen die Füße, denn das Pflaster der Maximilianstraße ist nur für Wanderschuhe geeignet.
Das Studium der Wein- und Bierkarte erhellt meine Laune, deshalb bemerke ich nicht sofort, dass ich dem Rapport lauschen soll, den die Damen von sich geben.
Wir bestellen Bier und Schlachtplatten, was ein typisches Pfälzer Essen sein soll. Mit bangem Erwarten, was der Kellner mir vor die Nase stellen wird, lausche ich den energischen Worten der Freundinnen.
„Dass du im Bilde bist, Ingerchen!“, beginnt Ulla mit ungebrochenem Elan ihre Rede.
„Die Gerichtsmedizin in Mainz hat die Leichen noch nicht frei gegeben, wir müssen bis zum Montag warten. Die Priorin, Schwester Bryonia, hat uns unterrichtet, dass die Kripo Ludwigshafen noch keine Hinweise auf den Täter hat, außer ein paar Flusen und einen flüchtigen Fußabdruck.
Ich wiederhole deshalb noch einmal mit Nachdruck: wir müssen uns noch mehr um den Fall kümmern!“
Der Kellner bringt das Bier und ich staune nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Vor jedem von uns steht ein Stein, wie man mir erklärt, gefüllt mit Speyerer Gerstensaft. Der Eichstrich auf dem Glaskrug mit Henkel zeigt einen vollen Liter.
„Was auf dem Oktoberfest ein Maß genannt wird und vornehmlich in Steinzeug serviert wird, heißt bei uns ein Stein, meist in Glas abgefüllt!“, belehrt mich meine Gastgeberin. Dann fasst sie gekonnt mit der Linken in den Griff und stemmt das Gefäß in Augenhöhe.
Grete nimmt die Rechte und macht es ihr gleich. Ich muss beide Hände benutzen und dann stoßen wir an.
„Auf die 38er!“, jubeln die Alten und ein Ruck erschüttert meine Hände, bevor ich durstig trinke.
Über die Schaumkrone hinweg und am Glasrand vorbei erkenne ich einen kleinen Mann mit schütterem Haar, der seinerseits den Stein erhoben hält und mir zuprostet. Hustend stelle ich mein Gefäß ab und fixiere mein Gegenüber. Gretchen und Ulla folgen meinem Blick und ich finde eben noch die Zeit, zu keuchen:
„Schon drei Mal habe ich diesen Mann heute gesehen!“, da schreien die Frauen auf, wie vom Teufel gebissen, werfen die Stühle hinter sich um und rennen auf den Fremden zu.
Der Kellner spurtet herbei, wirft sein Handtuch über die Schulter und stoppt. „Nichts passiert“, sagt sein Gesichtsausdruck und er verschwindet.
Ich bleibe, wo ich bin und ducke die Nase hinter den Stein Bier, denn alle Gäste schauen auf meine Begleiterinnen, die den kleinen Mann scheinbar erdrücken wollen.
Gretchen hüpft und der Mann drückt