Die Ungerächten. Volker Dützer

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Die Ungerächten - Volker Dützer


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verurteilen dich zum Tod. Hast du noch etwas zu sagen?«

      »Das dürft ihr nicht! Das ist Mord!«

      Bolkow kreischte und bemühte sich ungeschickt, auf die Füße zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Er rutschte aus und fiel in den Matsch. Jaron zerrte ihn hoch und zwang ihn, sich hinzuknien.

      »Ari, komm her!«, rief Esther.

      »Einen Augenblick«, sagte Pawel. Er ging vor Bolkow in die Hocke. »Wir können es schnell machen … oder es in die Länge ziehen. Das liegt ganz bei dir.«

      »Scher dich zur Hölle, Kowna!«

      »Du hast geglaubt, ich wäre in der Scheune verbrannt, so wie die anderen Zeugen, die ihr beseitigt habt, damit niemand gegen euch aussagen kann. Aber ich lebe, Bolkow. Und ich habe jeden Tag und jede Nacht an dich und Theissen gedacht. Ich habe gesehen, wie du mit ihm abgehauen bist. Ich will wissen, wo er ist.« Er drehte sich zu den anderen um, die stumm im Kreis um Bolkow herumstanden. »Vielleicht kann ich dann noch etwas für dich tun.«

      »Ich weiß nicht, wo er ist. Wir haben uns gleich am nächsten Tag getrennt.«

      »Du brauchst ihn nicht mehr zu schützen«, sagte Pawel.

      »Ich weiß es wirklich nicht.«

      »Pech für dich.«

      Esther gab Ari einen Wink, doch der näherte sich Bolkow nur zögernd. Er war genauso bleich wie der Mann, den er erschießen sollte.

      »Mach schon, Ari!«, rief Esther.

      »Knall ihn ab!«, forderte ein anderer. »Wir haben uns geschworen, Rache zu üben.«

      Ari hob die Pistole, sein Finger krümmte sich um den Abzug. Er zitterte so stark, dass er die Waffe mit beiden Händen fassen musste.

      Bolkow spuckte aus. »Es war richtig, euch ins KZ zu stecken, ihr Feiglinge seid nicht mal in der Lage, einen Wehrlosen zu töten.« Er hob den Kopf. »Was ist los? Wer von euch traut sich? Erbärmliches Judenpack!«

      Esther drehte sich im Kreis. »Lasst ihr euch das gefallen? Immer noch?«

      Niemand rührte sich. Pawel stieß Ari zur Seite und nahm ihm die Pistole ab. Er presste Bolkow die Mündung auf die Stirn und drückte ab. Der Kapo kippte ohne einen Laut zur Seite. Er war tot bevor sein Gesicht auf dem Boden aufschlug.

      Pawel sah Esther an. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie atmete stoßweise, als wäre sie um ihr Leben gerannt.

      Ich habe es getan, schoss es Pawel durch den Kopf. Ich habe es wieder getan. Es macht mir nichts mehr aus, ich empfinde nur Befriedigung. Ojciec, ich löse mein Versprechen ein, sprach er stumm zu seinem Vater.

      »Holt das Seil!«, befahl er.

      Keiner reagierte, alle starrten paralysiert auf den Toten.

      »Na los!«, schrie Esther. »Oder wollt ihr, dass die Polizei ihn findet?«

      Endlich kam Bewegung in die Männer. Sie schleiften die Leiche zum See hinunter. Pawel hatte bereits überprüft, ob er an dieser Stelle tief genug war. Ari und Jaron schleppten einen Mauerbrocken herbei, den sie aus einem zerbombten Haus gestohlen hatten, banden ihn mit einem Strick an Bolkows Füße und warfen den Toten ins Wasser. Das Gewicht zog ihn augenblicklich nach unten. Ein paar Luftblasen waren alles, was von dem früheren Kapo übrig blieb.

      Sie verwischten schweigend die Spuren und stiegen in den Laster. Während der Fahrt in die Stadt zurück sprach niemand ein Wort.

      Drei Stunden später kroch Pawel zu Esther ins Bett und tastete unter der Decke nach ihrem warmen Körper, aber sie rückte von ihm ab.

      »Lass das.«

      »Stimmt etwas nicht?«

      Er sah in der Dunkelheit ihre Augen leuchten.

      »Was hast du gefühlt, als du ihn erschossen hast?«, fragte sie.

      »Nichts. Es musste eben erledigt werden, so wie man den Müll runterträgt.«

      Er wusste, dass es nicht so war, denn sein Körper bebte und fühlte sich an, als müsse er zerreißen von der ungeheuren Anstrengung. Esther dagegen sollte glauben, dass er stark war und dass es ihm nichts ausmachte, einen Menschen zu töten, der es tausendmal verdient hatte. Er barg sein Gesicht an ihrer Schulter und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Esther fauchte wütend und brachte ihm zwei tiefe Kratzer auf dem Handrücken bei. Dann rollte sie sich herum und drehte ihm den Rücken zu.

      Pawel lauschte auf ihren Atem und lächelte. Es ging ihr genauso, wie es ihm nach dem Mord an Mitschke gegangen war. Für diese Erkenntnis liebte er sie umso mehr. Sie brauchte nur ein bisschen Zeit, das war alles.

      Seine Gedanken kehrten zu Bolkow zurück. Er sann darüber nach, was er wirklich gefühlt hatte, als er abdrückte, und forschte nach einer Spur von Bedauern oder gar Schuld. Unter all den Stimmen der Toten, die ihm zuzujubeln schienen, erhob sich eine, die ihn tadelte. Es war seine Schwester Milena.

      »Was ist aus dir geworden, Pawel? Ich erkenne dich nicht wieder.«

      Verärgert wälzte er sich herum und versuchte krampfhaft, die störende Stimme zum Schweigen zu bringen. Ganz gelang es ihm nicht, obwohl er sich unentwegt einredete, die Welt von einem Scheusal befreit zu haben. Mit einem Gefühl trügerischer Zufriedenheit schlief er ein. Er träumte von Blut, Gewalt und sinnlosem Tod in dieser Nacht.

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