Salzburger Rippenstich. Katharina Eigner
Читать онлайн книгу.seufzt sie am Ende meiner Story.
»Die Untertreibung des Jahrhunderts, Frau Schneider!« Zum hundertsten Mal schalte ich den Drucker ein und wieder aus. Schließlich Master-Reset: Stecker raus.
»Wissen Sie, ich kenn den Hubi seit seiner Kindheit. Ich hab ihn schon gekannt, als er noch Smolecek geheißen hat. Leicht hat er’s nie gehabt.«
»Smolecek?«, hake ich ein. »Ein slowakischer Name?«
»Tschechisch. Smola heißt auf Tschechisch Pech. Und die verkleinerte Form davon ist Smolecek.« Das interessiert mich. »Wieso hat der Pechtl früher Smolecek geheißen?« Im Nebenzimmer telefoniert Frau Doktor mit der Apotheke; Medikamentenbestellung.
»Der Hubi, also der Herr Pechtl, wie er seit 1945 heißt, ist in einem kleinen Dorf an der österreichisch-tschechischen Grenze aufgewachsen. Genau wie ich. Wir waren zwar keine direkten Nachbarn, aber unser Dorf war so klein, dass jeder jeden gekannt hat.«
»Aber … wenn der Pechtl seit 1945 einen deutschen Namen hat … dann ist er mit einem tschechischen Namen aufgewachsen?« Der Drucker piepst, blinkt und rattert. Jedenfalls funktioniert er nicht. Ist mir wurschtegal. Eigentlich sogar recht. Denn je länger sich der Drucker mit dem Rezept für die Frau Schneider Zeit lässt, umso mehr erfahre ich über den Pechtl, den Arsch.
»Die Familie Smolecek hat, genau wie die Familie Schneider, seit Jahrzehnten in dem kleinen Dorf gewohnt. Außer Weinbergen und Wald gibt es dort nicht viel. Das Dorf heißt übrigens Bratelsbrunn; also, so hat es geheißen. Seit 1945 heißt es Brezi …«
»Im Jahr 1945 wurden die Sudetendeutschen vetrieben, oder?«, frag ich.
Die Frau Schneider schaut mich an, nein, eigentlich schaut sie an mir vorbei und nickt langsam. Sie ist grad ganz weit weg, gedanklich. Dieses Mal ist es sie, die redet, nicht ich.
»Spätnachts sind sie gekommen, mit der Maschinenpistole im Anschlag. Zu acht sind sie in unser Haus herein, haben herumgebrüllt. Verschwindet, haben sie gerufen. Und dann haben sie uns eine Viertelstunde Zeit gegeben. Wir konnten nur mitnehmen, was wir am Leib gehabt haben. Meine drei Geschwister und ich, wir haben gar nicht verstanden, was da los war. Ich bin die Älteste, zehn Jahre alt war ich damals. Die Kleinen sind aus dem Schlaf gerissen worden. Aber die Eltern, die haben uns gepackt und zur Tür hinausgeschleift, es ist ja um’s nackte Überleben gegangen.« Sie atmet schwer, die Frau Schneider, und ich setz mich behutsam neben sie.
»Wir sind die ganze Nacht gerannt. Zuerst in den Wald hinein, und dann einfach nur weiter. Irgendwohin. Nur weg, sonst hätten sie uns abgeknallt.«
»Und der Pechtl?« Noch verstehe ich nicht, wo der Zusammenhang sein könnte zwischen ihrer Geschichte und dem Pechtl, der früher Smolecek geheißen hat. Die Frau Schneider sammelt sich und kommt gedanklich wieder zu mir zurück. Sie schaut mich an. »Alle Einwohner mit deutschen Vorfahren wurden im Jahr 1945 aus dem Dorf vertrieben. Ausnahmslos alle. Vertrieben oder erschossen. Nur wer mit einem Tschechen verheiratet war, durfte bleiben.«
Ich frag nicht nach, sondern lasse sie selber weiterreden. Sie gönnt sich nur eine kurze Pause, atmet tief durch.
»Der Hubi war ein lediges Kind von einer tschechischen Magd. Seine Mutter, die Smolecek Anna, war Magd bei einem großen Bauern. Mit dem hat sie sich ein Pantscherl angefangen; es hat eingeschlagen. Und wie das halt so war damals: eine ledige Frau, schwanger, und noch dazu vom Bauern, war eine Last. Also hat sie weg müssen vom Hof, zurück zu ihren Eltern. Und dort hat sie das Kind bekommen. Den Hubi. Er ist furchtbar gehänselt worden von den anderen Kindern. Ledige Kinder haben es damals besonders schwer gehabt. Und Jahre später, bei der Vertreibung, da ist der Smolecek Anna das alles zum Verhängnis geworden. Als Tschechin hätte sie eigentlich im Dorf bleiben dürfen. Aber wegen dem unehelichen Kind aus dem Verhältnis mit dem Bauern … Ihre ganze Familie durfte bleiben.«
»Und wann sind die Pechtls nach Salzburg gekommen?«
»So genau weiß ich das nicht. Meine Familie hatte Verwandte in der Salzburger Gegend. Bei denen durften wir unterschlüpfen. Und Sie können mir glauben: Die haben keine große Freude gehabt mit uns. So kurz nach dem Krieg, da hat niemand viel zum Leben gehabt. Lebensmittel waren knapp und alles andere auch. Dann steht da plötzlich eine Familie mit vier Kindern vor der Tür und braucht Nahrung und ein Dach überm Kopf. Aber der Hubi … Der ist ohne seine Mutter hier angekommen. Warum es ihn ausgerechnet in dasselbe Dorf verschlagen hat wie uns … vielleicht Zufall. Jedenfalls war er knapp sechs Jahre alt und mutterseelenallein. Ich hab ihn dann aus den Augen verloren, aber ich glaub, irgendeine Familie hat ihn eine Zeit lang aufgenommen. Ich hab dann erst wieder von ihm gehört, als er volljährig war. Da hat er seinen tschechischen Namen schon längst eingedeutscht gehabt. Smole – Pech. Smolecek – kleines Pech. Pechtl.«
Clever. Und erschreckend zugleich, wie ein Name so uneingeschränkt zu einem Menschen passen kann. Das Pech war von Anfang an ständiger Begleiter im Leben vom Pechtl. Dass er von einem Bauern und dessen Magd gezeugt wurde, war sein allererstes Pech.
Frau Schneider steht auf und streckt die Hand nach dem Rezept aus, das der Drucker jetzt gnädigerweise doch noch ausgespuckt hat.
»Was dem Pechtl passiert ist, entschuldigt in keiner Weise auch nur irgendwas von alldem, was er angerichtet hat. Er hat sich einen Beruf ausgesucht, in dem er möglichst vielen Leuten viel Unglück bescheren konnte. Im Lauf der Jahre hat er sich einen Haufen Feinde geschaffen.« Sie faltet das Rezept und steckt es in ihre Handtasche. Dann gibt sie mir die Hand zum Abschied.
»Gute Besserung, Frau Dorn«, wünscht sie mir und verlässt die Praxis.
Auch Frau Doktor Fleischer ist längst nicht mehr da, also schließe ich alles ab und fahre heim.
Drittes Kapitel
Erzählt von zu viel Zwiebeln und Knoblauch. Laurenz lässt seinen Aasgeier-Charme spielen und verstimmt seine Mutter. Ich werde mit einer britischen Hobby-Kriminalistin verglichen, fühle mich aber nur bedingt geschmeichelt. Ein gesellschaftliches Ereignis weicht von der gewohnten Etikette ab und wird interessanter als befürchtet. Die Diva Salzburg ist in Wirklichkeit ein Dorf und meine beste Freundin ist mir ein Rätsel. Wir segeln Sturm und essen Brezen.
Die Praxis ist nur ein paar Minuten von meinem Zuhause entfernt.
Manchmal nimmt mir meine Schwiegermutter Hermi die Kocherei ab und schwingt den Kochlöffel für die ganze Familie. Sie wohnt praktischerweise gleich neben uns und ist deshalb für viele Mittagessen unsere Anlaufstelle. Hermi ist allerdings eine fleischfressende Pflanze und der Speiseplan nur bedingt verhandelbar. Ihre Vorliebe für deftige Fleischgerichte stellt unser aller Blutfettwerte auf die Probe. Heute steht Gulasch auf dem Speiseplan, soweit ich mich erinnere. Mit Serviettenknödeln und Vogerlsalat. Schon an der Haustür steigt mir der Duft von Zwiebeln und Knoblauch in die Nase; ich ahne Schlimmes.
»Mama! Schon wieder Knoblauch!« Laurenz. Hermis schärfster Kritiker in Sachen Kulinarik.
»Der ist sooo gesund«, zwitschert Hermi fröhlich. Sie will ihren Sohnemann von den Vorteilen der aromareichen Zutat überzeugen. Ein ehrgeiziges Ziel. Auf dem Tisch: ein großer Topf voll mit dampfendem Gulasch. Beim Anblick von Serviettenknödeln und Vogerlsalat rinnt mir das Wasser im Mund zusammen. Aber ich weiß schon, was den Laurenz stört: Das sehr knoblauchhaltige Mahl liegt zeitlich zu knapp bei unserem Nachmittagstermin. Hinz und Kunz werden in zwei Stunden, dicht aneinandergedrängt, den Festreden lauschen und beim Smalltalk maximal eine Armlänge von ihm entfernt sein. Da bekommt das Wort »Dunstkreis« dann gleich eine andere Bedeutung. Eine Knoblauchfahne ist daher ein absolutes No-Go. Für solcherlei Fauxpas ist mein Mann definitiv zu eitel. Seine Mutter hingegen betrachtet Mundgeruch eher als natürliche Auslese der Gesprächspartner.
Sie bringt es auch fertig, im Frühling jeden Tag frisch gepflückten Bärlauch zu essen. Wenn es sein muss, sogar vor einem Zahnarzttermin! Meine Schwiegermutter hat, was peinliche Momente angeht, ein Gemüt wie ein Metzgerhund. Daher also Knoblauch im Gulasch, und zwar in rauen Mengen, weil gesund. Laurenz verweigert bockig seine Portion und schimpft vor sich hin. Weil er ja Gulasch eigentlich gerne isst, heute aber aus Termingründen standhaft und in weiterer Folge