Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg
Читать онлайн книгу.sind wir.“ Susanne hielt in der Einfahrt, hinter Franks Mercedes und rief laut und übermütig: „Alles aussteigen!“ Die Haustür sprang auf, Michael kam auf seine Tante zu gelaufen, Frank folgte ihm. „Hallo, Tante Gitta, seit wann sind deine Haare denn grau? Da hab ich dich aber ganz anders in Erinnerung!“
„Vielen Dank, mein Kleiner, dass du mir das direkt aufs Brot schmierst. Aber du siehst auch völlig verändert aus, gewachsen bist du, Donnerwetter, sieh‘ sich das mal einer an, ein richtig kleiner Mann!“
Michael warf sich in die Brust und kichernd kam er seiner Mutter zuvor: „Das ist Frank, unser Zufall vom Steg!“
„Was? Muss ich das verstehen? Oh ich glaube, da habt ihr mir noch einiges zu erzählen.“ Brigitta war gespannt, eigentlich schon mehr hungrig, auf alles Neue und ihr noch Unbekannte aus ihrer Lieblingsfamilie.
Frank begrüßte Brigitta und erbarmte sich mit Michael um ihr Gepäck. Sobald sie sich alle im Haus befanden, beichteten die Männer vorsichtig: „Es gibt keine Forellen, weil einfach keine mehr angebissen hat.“
„Sah ich da nicht vorhin schon was im Eimer schwimmen?“, fragte Susanne ungläubig.
„Schon, aber jetzt schwimmt er wieder im Fluss, wir wären ja nicht von dem Einen satt geworden! Dafür gibt es saftige Steaks!“
„Und die haben angebissen?“, lachte Brigitta laut, sie schien langsam ihren Humor wieder zu finden. Gemeinsam belächelten sie die ‚angebissenen Steaks‘. Überhaupt wurde an diesem Abend nur noch über Angenehmes geredet, auch kurz der Zufall am Steg gestreift, aber auch nur, weil Brigitta neugierig danach fragte. Die neue Freundschaft im Nachbarhaus wurde ebenfalls am Rande erwähnt, immerhin musste Susanne da erst etwas klären.
Bereits nach Brigittas Anruf aus Köln hatte Susanne für sie ein Zimmer im Hotel Haus Agnes bestellt. Zufällig war Agnes Hackler selbst am Apparat gewesen und als sie den Namen Schnells hörte, begann sie sich umständlich für die gemeine Besetzung des Angelstegs zu entschuldigen: „Wenn hier nicht so viel zu tun wäre, hätte ich Sie längst aufgesucht, Frau Schnells, aber das kommt noch!“
Susanne lachte leise. „Eigentlich muss ich mich bei Ihnen entschuldigen, oder viel eher dafür bedanken, Frau Hackler. So komisch sich das auch für Sie anhören wird, Ihren Kunden Frank Hauff hätten mein Sohn und ich sonst nie kennen gelernt und das ist eine gute Begegnung gewesen. Herr Hauff verbringt übrigens seinen Resturlaub bei uns. Deshalb schlage ich vor, wir vergessen lieber die ganze Sache, Frau Hackler, und Sie versprechen mir, dass zukünftig unser Angelsteg für Sie tabu ist.“
„Um Gottes willen, Frau Schnells, behalten Sie das mit der guten Begegnung aber bitte für sich, meinem Mann darf das auf gar keinen Fall zu Ohren kommen. Vater und ich haben ihm gewaltig unsere Meinung gesagt. Das hat so gekracht, er ist direkt abgehauen. Wenn er das rauskriegen würde, er dürfte Verbotenes machen, na ich weiß nicht. Mein Versprechen haben Sie! Der Angelplatz ist für uns für alle Zeiten tabu!“
„Ich kann schweigen.“ Warum ist sie immer noch mit dem Ekelpaket verheiratet? „Mit dem Zimmer geht klar? Es kann etwas später werden, kommt sie dann noch rein?“
„Selbstverständlich, hier ist immer jemand. Das ist dann Frau Schwelm oder? Wie war noch der spanische Name?“
„Moreno.“
Brigitta fuhr gegen 23 Uhr, nur mit kleinem Gepäck und Susannes Polo, zum Hotel. Morgen, nach dem Frühstück, würde sie wieder in der Bergstraße eintreffen. Und irgendwie mussten sie dann gemeinsam überlegen, wie es weitergehen sollte. Denn dieses Thema umging Susanne ja bisher aus einem ganz bestimmten Grund.
Susanne sah ihre Freundin Helene am nächsten Morgen kurz vor 9 Uhr, als sie in Richtung ihrer neuen Arbeitsstelle ging. Sie klopfte ans Fenster und zeigte ihr zwei gedrückte Daumen.
Helene lächelte und formte „danke“ mit ihren Lippen.
Bald danach traf Brigitta ein und das Programm für diesen Tag konnte entworfen werden. „Gitta, fährst du mit mir einkaufen? Ich habe mir nämlich was ausgedacht für dich“, begann Susanne.
„Aha und was?“
„Du musst mir aber versprechen nicht böse zu sein, dann sag ich‘s dir“, entgegnete Susanne vorsichtig.
„Raus damit, ich fresse dich schon nicht“, tönte Brigitta.
Susanne lachte erleichtert, sie dachte sich aus, als erstes braucht Brigitta eine neue Haarfarbe, damit wird sie sich gleich wieder besser fühlen. Selbst Michael schien sich gestern bei der Begrüßung schon an dem hässlichen Grauweißton gestoßen zu haben. Diese Idee teilte sie ihrer Schwägerin nun mit.
Für einen Augenblick hielt Brigitta den Atem an, ihre Haare zu färben, soweit ging ihre Eitelkeit nicht. Aber Susannes Direktheit verblüffte sie etwas und sie ließ sich darauf ein: „Okay, bin einverstanden.“
„Also los, wir fahren zum Supermarkt einkaufen und nach dem Essen fangen wir mit deinen Haaren an.“
„Das willst du selbst machen?“ Brigitta schien erstaunt. „Sag bloß, deine Haare machst du dir auch selbst?“
„Und ob, nach dem Motto, selbst ist die Frau! Hast du etwa vergessen was ich alles kann?“ Susanne tat beleidigt, lachte aber im nächsten Moment hell auf, weil Frank völlig bestürzt ihre Frisur musterte.
„Lach du nur über mich, aber ich hätte schwören können es ist deine eigene Farbe“, murmelte er.
„Och du Armer.“ Susanne schlang die Arme um Franks Hals. „Es ist auch meine Farbe, helfe nur ein bisschen nach. Magst du mich trotzdem noch?“
Frank antwortete mit einem flüchtigen Küsschen.
Dann fragte sie ihn: „Fährst du mit uns?“
„Ehm, muss ich?“, das hörte sich gar nicht begeistert an.
„Nein, musst du nicht! Aber wie wäre es dann, wenn du mit Eimer und Angel tätig wirst? Wenn Michael nicht dabei ist, beißen die Fische vielleicht heute? Außerdem, du hast doch Angelurlaub, oder?“ Susanne zwinkerte ihm kichernd zu.
Frank nickte ergeben. „Macht schon, dass ihr verschwindet.“
Brigitta belud den Einkaufswagen, sie fand mit Begeisterung immer noch etwas und noch mehr. Susanne sagte irgendwann schmunzelnd: „Ich glaube, morgen gibt es hier auch noch was zu kaufen, wir müssen nicht hamstern, lass mal gut sein, der Wagen läuft bald über.“
„Zu dumm, wir hätten gleich zwei Wagen nehmen sollen!“, sagte Brigitta spontan. Worauf Susanne nur den Kopf schütteln konnte, denn jeder Kommentar wäre hier zwecklos gewesen. Aber es machte Spaß, Brigitta ein kleines bisschen von ihrem Dilemma ablenken zu können.
Beinahe gleichzeitig mit Frank, in dessen Eimer sich heute fünf Forellen tummelten, trafen auch Susanne und Brigitta zuhause ein. „Wann kommt heute Michael aus der Schule?“, war das erste, was Frank wissen wollte, ehe er sprachlos vor den vielen vollen Beuteln und Tragetaschen stand.
„Vielleicht in zehn oder fünfzehn Minuten“, meinte Susanne, nach einem flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr.
„Warum?“ Brigitta zeigte auf den umfangreich ausgefallenen Einkauf. „Soll Micha uns helfen, oder bist du so gut und …“
Susannes Lachen ließ sie verstummen. „Michael muss die Fische schlachten. Frank kann sie zwar fangen und fast zärtlich vom Haken befreien, aber ehe er sie tötet gibt er sie lieber dem Fluss wieder zurück.“
„So was habe ich überhaupt noch nie gehört. Du bist mir der richtige Angler! Und dann machst du Angel-Urlaub?“ Brigitta ergriff den halbvoll mit Wasser gefüllten Eimer, samt den darin beengt schwimmenden Fischen und eilte zum Terrassentisch. Als Michael wenig später nach Hause kam, lagen bereits die Forellen in Reih und Glied ausgebreitet auf der Tageszeitung – bratfertig!
„Na fabelhaft“, ärgerte sich jetzt Frank, der bisher Brigittas Fischarbeit nicht sonderlich interessant