Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

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Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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standen sie staunend vor der Türe. Hier hielt sich niemand auf! Diese Türe war mit einem gebogenen Stahlstab, der in einer relativ stabilen Verschlussöse, ebenfalls aus Stahl, steckte, gesichert. Seltsamerweise konnte die Tür sowie das nahe Umfeld frei zugänglich genannt werden. Dieser Schuppen wurde anscheinend benutzt, nur jetzt konnte niemand drin sein! Er war zugesperrt! Also weiter das Gesträuch absuchen? Viel größer konnte doch das Grundstück gar nicht sein. Ratlosigkeit stand in ihren Gesichtern geschrieben. Die vermutliche Blutspur fehlte sowieso seit etwa zwei Metern. Schweigend sahen sie einander an. Standen sie vor dem nächsten Problem? War der Mann tatsächlich über den Zaun geklettert und durch die Wiesen geflüchtet? War sein Auto wirklich irgendwo abgestellt gewesen und er kam zu Fuß zurück, um seine Frau los zu werden? Denn wenn sich hier jemand aufgehalten hatte, dann war er längst auf und davon. Auch lagen überall alte und neuere Strauchruten zertreten am Boden. Aber es konnte definitiv niemand hier sein! Bestimmt nicht im Schuppen! Wie erklärte sich aber sein Blut auf dem Beil? Verletzte er sich wirklich zuerst selbst beim Zerteilen des Fleischstückes? Aber sein Blut war doch zuletzt auf das Beil gekommen! Und wieso wollte Frau Haas nach Hause, um mit ihrem Mann Schluss zu machen, war die Frau nicht mehr ganz bei Sinnen?

      „Ist er am Ende doch im Haus? Vielleicht eingesperrt?“ Löffler wollte gerade die Suche in dieser merkwürdigen Gartenanlage abblasen. Doch genau da trat Wolfgang in Aktion. Normalerweise käme kein Mensch auf die Idee, eine so von außen abgesperrte Türe zu öffnen, wäre da nicht Wolfgang das Greenhorn, wie sie ihn oft scherzhaft nannten! Ihm kamen jedoch die an dieser Türe sichtbaren dunklen Spritzer suspekt vor, die sichtbar geworden waren bei näherem Hinsehen. „Hier könnte doch die Hauptaktion stattgefunden haben“, fand er wichtigtuend. Bekam jedoch einen Vogel gezeigt. Kein Laut war zu hören, weder auf Klopfen und das „Hallo“ von Frau Schneider, die Wolfgang zuliebe scherzhaft auch noch an der Türe zu rütteln begann. Natürlich tat sich nichts, wie auch, die Türe war nun mal zu. Verriegelt von außen!

      Aber das Wort ‚eingesperrt‘ existierte nun mal jetzt vorrangig in Wolfgangs Kopf! Die Spuren auf dem Holz sahen zwar älter aus. Und ob das Blut war an der Tür? Es konnte genauso gut altes Öl oder was Ähnliches sein. War alles nur blinder Alarm? Würde jemand zuerst eine Türe zusperren und dann flüchten? Bestimmt nicht, wenn ein Täter vorsätzlich handelt! Egal ob die Türe nun auf oder zu gewesen war, würde der nicht einfach nur schnellstens abgehauen sein? Die Tür war bestimmt immer verriegelt. Wieso eigentlich? Wer sollte hier in dieser Wildnis etwas suchen wollen, außer den Ökos Haas selbst? Also weiter das Gestrüpp am Zaun entlang kontrollieren, oder den Einsatz ergebnislos abbrechen? Eine Probe der getrockneten dunklen Flecke, die Wolfgang für Blut hielt, von der Türe abkratzen und mitnehmen! Ebenso einige der befleckten Blätter von den Sträuchern – und Schluss!

      Doch dann, im nächsten Moment geschah es!

      Der Jüngste, dieser vorwitzige Assistent Wolfgang Ließem, von Natur aus mit einer so genannten großen Klappe bedacht, drängte sich ungeduldig an seiner Chefin vorbei, zog kurz entschlossen den Stab aus der Öse, beförderte ihn achtlos über seine Schulter hinter sich, riss die Türe auf und flog sogleich, wie von Geisterhand gestoßen, rückwärts zu dem entsorgten Stab. Und, oh Schreck, mitten hinein in ein Brennnesselfeld. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätten sie ihn zuerst gerügt, wegen eventueller Vernichtung von Beweismitteln, danach schallend ausgelacht, zumal er sich nicht aus den Brennnesseln so einfach befreien konnte, ohne diese unter Schmerzen immer wieder zu berühren. Nein! Sie fanden nicht einmal die Zeit, ihm hinterher zu sehen bei seinem Fall in das Nesselfeld. Seine eigenständige Aktion war mit einem Mal vorläufig in den Hintergrund gerückt.

      Das blanke Entsetzen ermächtigte sich ihrer. Sie vergaßen augenblicklich und auch noch eine ganze Weile länger, das Missgeschick ihres Jünglings. Keiner half ihm, sie starrten nur wie hypnotisiert ins Innere des Gerätehauses. Und ihnen kam auch nicht im Entferntesten der Gedanke, Wolfgang und seinen richtigen Riecher anerkennend zu würdigen. Denn der Anblick, der sich ihnen bot, ließ sie betroffen und entsetzt verstummen. Jedes Denken, alle Mutmaßungen der letzten halben Stunde gerieten auf der Stelle in Vergessenheit! Auch Wolfgangs stets kluges Mundwerk stand nun still. Er bekam ohnehin gerade eine sehr brennende Lektion erteilt und verzog schmerzhaft sein Gesicht.

      Vor ihnen lag ein Mann, seitlich gekrümmt, halb über einem Holzklotz hängend. Sein Hemd war zerrissen und gab den Blick auf eine hässliche, blutverkrustete Wunde in seinem oberen Bauchbereich frei. Blutige Stoff- und Papiertuchfetzen lagen überall herum. Er musste vergeblich versucht haben die blutende Wunde abzudrücken. Für diesen, gelinde gesagt, hageren, eher schmächtigen Mann war es wohl zu schwer gewesen, die von außen gesicherte Türe aus den Angeln zu hebeln. Womöglich, kopflos und panisch vor Angst, kam ihm diese Möglichkeit nicht in den Sinn. Vermutlich war er aber auch einfach nur ohnmächtig geworden und umgekippt, durch den starken Blutverlust, oder eingeschlafen vor Schwäche und nicht wieder aufgewacht. Die übrigen Einsatzkräfte und der Arzt erreichten nun ebenfalls den Holzschuppen. Auch sie standen still, fast andächtig, vor der offenen Türe, vor diesem Anblick des Schreckens. Keiner sprach auch nur ein einziges Wort. Sie fanden offensichtlich Bernhard Haas, die Suche nach ihm konnte beendet werden.

      Fest stand auch jetzt, seine Frau war ihm körperlich um einiges überlegen gewesen. Was war da geschehen? Wieso vernahm keiner der Nachbarn Rufe oder Geschrei? Mit Sicherheit war das nicht stumm vonstatten gegangen. Waren sie bei dieser Familie an laute Auseinandersetzungen gewöhnt oder war es nur zu unbequem hinzuhören? War das Gezeter über das Grundstück und das vermüllte Haus wichtiger? Hätte bereits am vermeintlichen Unglückstag die Spurensuche auf das Grundstück ausgedehnt werden müssen, obwohl sich alles so darstellte, als wäre die Verletzte mit dem Kind alleine gewesen, sie anfangs auch noch Zweifel hegten, was das kleine Mädchen betraf? Zumindest so lange, bis die Spuren an dem Fleischerbeil untersucht gewesen waren. Wäre Herr Haas zu retten gewesen? Der Arzt konnte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nur noch den Tod feststellen.

      „Wie lange?“, fragte Löffler.

      „Seit vorgestern? – Kann erst nach der Obduktion mehr sagen.“

      „Verdammt.“ Löffler drehte sich um, er erlag wieder einmal einer gehörigen Portion Selbstzweifel. „Verdammt noch mal“, stöhnte er, da fiel sein Blick auf Wolfgang, er schluckte und ging auf ihn zu. „Komm Junge, du wirst mal ein ganz großer Detektiv! Wie kamst du nur darauf, konntest dir so sicher sein?“

      Der Gefragte hob verlegen die Schultern. „Nur Gefühl!“

      Langsam verließen sie den wüsten Garten. „Danke Junge, ohne dich wüssten wir immer noch nicht die Wahrheit.“

      „Ach Kommissar, Sie haben doch selbst gedacht: Vielleicht eingesperrt! Und ich habe doch immer gesagt, dass ich so lange ich lesen kann alle Krimis verschlungen habe. Die Frau hat ihn eingesperrt!“

      „Ja, sicher! Jetzt gibt ihr Geschrei im Krankenhaus auch einen Sinn.“ Sie entfernten sich von diesem grausigen Ort. Den Rest mussten die Leute der Spurensicherung und Gerichtsmedizin nun übernehmen.

       15

      An diesem Sonntag, der bisher einiges an Schrecken brachte, rief abends Frank Hauff bei Susanne Schnells an. Nach seiner Abfahrt am Freitag begann ja merkwürdigerweise das Unglück in der Siedlung und von Frank kam nun auch keine gute Nachricht. „Tag Susanne, wie geht es bei euch, hier ist es fürchterlich! Und ich vermisse dich!“

      „Seit du weg bist, ist hier der Teufel los. Wir haben Zuwachs bekommen, die kleine Rosi von gegenüber, mit polizeilicher Anordnung!“ Susanne schilderte ihm in Kurzfassung bis zum Zinksarg, in welchem Bernhard Haas vor wenigen Stunden aus dem Haus getragen worden war, von den ihr bereits bekannten entsetzlichen Ereignissen und versicherte Frank: „Ich vermisse dich auch. Und du, sag wie geht es bei dir, was hat sich bei dir denn Fürchterliches getan?“

      „Es ist zwar keine blutige Sache, aber eine für uns alle sehr enttäuschende finanzielle krumme Tour, wie es Lukas schon ausgedrückt hat“, berichtete Frank: „Meine geschiedene Frau hat offensichtlich schon seit mehreren Jahren immer wieder sehr dreist Unterschlagungen vorgenommen. Oder Scheinbuchungen vom Firmenkonto, jedenfalls betrügerische Taten gemacht, was weiß


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