Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

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Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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      Wie mit der Kommissarin abgesprochen, fragte Susanne Rosi nach ihrem Opa. Aber die Kleine kannte keinen Opa, auch keinen Großvater. War das möglich, erwähnte ihre Mutter nie einen Opa? Rosi war klug, sie wüsste es, wenn es einen gäbe. Rosi, mal abgesehen von der Trauer über den Verlust ihres Vaters, nahm nach dem ersten Schock inzwischen alles sehr ruhig, oder eher altklug auf. So kam eine Äußerung von ihr, die Susanne sehr fragwürdig, mehr noch, überaus erstaunlich fand.

      „Das Haus gehört nur Mama und mir!“

      Die Frauen waren viel zu verblüfft, um nachzuhaken. Konnte das möglich sein? Stimmte das?

      Wenig später sprach Rosi mit Michael darüber: „Wenn Mama stirbt, gehört das Haus mir ganz alleine, hat sie gesagt! Hilfst du mir dann aufräumen und es so sauber und schön machen, wie es bei deiner Mama ist, ja? Micha magst du?“ Rosis Kopf war jetzt völlig klar, erstaunlich klar für eine Fünfjährige! Sie schien genau zu wissen, über was sie sprach. Beredete Siglinde mit dem Kind Dinge, welche normalerweise Erwachsene unter sich erörtern?

      Michael schluckte und nickte schweigend, wenn es auch so gut wie nie vorkam, dies verschlug ihm die Sprache.

      Und nicht nur ihm.

       16

      Susanne versuchte gegen 16 Uhr Frank auf seinem Handy zu erreichen, aber da meldete sich nur die Box und sie legte wieder auf. So saß sie mit Rosi und Michael auf der Couch und schaute mehr oder weniger interessiert in den Fernseher. Natürlich war die Arbeit am Fluss weiterhin zurückgestellt worden und so blieb derzeit nur ein bisschen Ablenkung am Fernsehapparat. Susanne gab sich Mühe, konnte aber die Handlung des Dokumentarfilms nicht so aufmerksam verfolgen wie gewohnt, ihre Gedanken schweiften ständig ab. Kein Wunder, die Ereignisse der letzten Tage hatten sich regelrecht überschlagen, wie sollte sie sich jetzt auf diesen Tierfilm konzentrieren können? Die Sendung, die sie eigentlich sonst gerne sah, jetzt kam sie ihr unwirklich und überzogen vor.

      Rosi lehnte ihren Kopf an Michaels Schulter. Die Kinder fühlten sich zu einander hingezogen, das war längst spürbar. Vor Jahren, als Mark noch lebte, fragte Michael eines Tages nach einem Geschwisterchen. Nicht bei ihr, bei der Mutter, nein, bei seinem Vater musste er dies gar als ‚dringenden Wunsch‘ geäußert haben. Damals kicherte sie darüber: ‚Er kennt schon die richtige Adresse‘. Doch daraus war leider nichts mehr geworden. Ob er diesen Wusch immer noch hegte, sah er in Rosi so etwas wie eine kleine Schwester? Nach einer Weile schubste Michael seine Mutter an, zeigte auf Rosi. „Sieh mal, sie ist eingeschlafen“, flüsterte er.

      Susanne erhob sich und nahm das Kind vorsichtig auf ihre Arme. „Geh vor und mach mir die Türen auf, ich lege sie aufs Bett. Wahrscheinlich wird sie gleich wieder wach und kommt runter, aber sie schläft nachts sehr schlecht, es wird ihr gut tun“, erklärte sie leise ihrem Sohn.

      Michael saß wieder vor dem Fernseher als sie zurückkam, er lächelte ihr entgegen. „Komisch, sehr komisch Mama, ich dachte immer, ich hätte dich für mich alleine und nun?“

      „Oh nein mein Sohn, das glaube ich dir nicht, das kannst du nicht ernsthaft meinen. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, Micha? Ich kann dir versichern, du bist die Hauptperson in meinem Leben und das wird sich auch nicht ändern!“

      „Na, ich weiß nicht, mit Frank musste ich dich ja auch schon teilen“, feixte er.

      Susanne zog ihn an sich. „Das, mein Lieber, ist etwas ganz Anderes! Warte noch ein wenig, dann wirst du das verstehen.“

      Michael schmunzelte verschmitzt vor sich hin. Es war lange her, dass er mit seiner Mutter den späten Nachmittag, gemütlich wie jetzt, verbrachte. „Mama, vielleicht können wir morgen am Steg Ordnung schaffen“, sagte er etwas später. „Wenigstens schon mal anfangen. Und wenn du mit Frank telefonierst, bestelle ihm Grüße von mir. Übrigens, das eben, das habe ich natürlich nicht so gemeint, das war nur Spaß, vom Teilen mit Frank und so.“

      Susanne lachte. „Weißt du, manchmal war es eher so, da fragte ich mich, ist Frank wegen dir oder mir hier? Aber inzwischen wissen wir es ja besser, er ist wegen uns hier.“

      Susanne scheiterte auch bei einem weiteren Versuch, Frank über sein Handy zu erreichen. Dafür fühlte sie, wie sich allmählich eine eigenartige Unruhe in ihr ausbreitete. Seltsam, Frank sagte doch er wolle sein Handy eingeschaltet lassen, wieso nahm er dann das Gespräch nicht an, was konnte denn da schon wieder passiert sein? Sie grübelte darüber nach und die absurdesten Dinge machten sich in ihrem Kopf breit. Ich werde die ganze Nacht kein Auge zu tun, war ihr klar. Sie versuchte noch einmal Frank zu erreichen, und wieder war alle Hoffnung umsonst.

      „Mama, nun setz dich endlich wieder hin, lass uns den Film zu Ende ansehen, es sind nicht mal mehr zehn Minuten. Frank sieht das doch, dass du ihn erreichen willst und er ruft zurück, sobald er kann“, versuchte Michael sie zu beruhigen.

      Aber sie war inzwischen fahrig und stand ein wenig neben sich, der Film war ihr sowieso egal, dann schellte das Telefon. Michael kannte sich aus. Aber, das war nicht Franks Stimme, das war vielmehr die eines Polizei-Hauptkommissars: „… ich möchte Ihnen mitteilen, Herrn Hauff geht es gut. Er meldet sich sobald er Gelegenheit dazu bekommt, derzeit ist er bei uns in Gewahrsam. Er bat mich Sie anzurufen, regen Sie sich bitte nicht auf, es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht.“ Mit diesem albernen Sprichwort endete auch das Gespräch.

      Blöd, Susanne stand eine Weile völlig ratlos da, wie vor den Kopf geschlagen. Sie brauchte etliche Sekunden, ehe sie die neue Situation begriff. Offensichtlich registrierte sie weder den Namen noch die Dienststelle innerlich, vergaß sie vielleicht auch sofort wieder oder sie konzentrierte sich nur auf das, was Frank direkt betraf. Ihr Gefühl sagte ihr nur, da war etwas ganz und gar nicht wie es sein sollte! Langsam stieg Ärger in ihr hoch, der sich bis zur Wut steigerte. Diese blöde Ziege, in was zieht sie ihn da hinein? Doch sogleich zwang sie sich selbst zur Ruhe und wusste augenblicklich, was zu tun war! Ihre Bereitschaft zur sozialen Hilfeleistung für das kleine Nachbarkind bestätigte sie mit ihrer Unterschrift. Nun würde sie für Frank bürgen, sollte es hart auf hart kommen, auch eine Kaution zahlen. In Unkenntnis, wie eventuell diese gesetzlichen Begebenheiten ablaufen könnten, war sie auf alles gefasst. Wenn sie schon mit sozialen Tätigkeiten begann, dann auch richtig! Sie versuchte Lukas Rhode, Franks Freund, in der Firma zu erreichen, aber er war nicht anwesend.

      „Ich bin Hannah, Herrn Rhodes Sekretärin, kann ich etwas für Sie tun?“

      „Ach ja, bitte, wissen Sie, wo ich Herrn Rhode erreichen kann? Es ist sehr wichtig!“

      „Dann gebe ich Ihnen seine Privat-Nummer, versuchen Sie es dort.“ Hannah gab die Telefon-Nummer durch.

      Susanne bedankte sich und erreichte Lukas Rhode tatsächlich in seiner Wohnung, erklärte ihr Vorhaben und bat: „Bitte Herr Rhode, finden Sie heraus was ich tun kann, sollte eine Kaution nötig werden, erfragen Sie die Summe und wohin ich überweisen soll, hier kann ich nicht weg, das geht nicht!“ Es entstand eine Gesprächspause, Susanne dachte schon, sie seinen getrennt worden. „Hallo? Herr Rhode, sind Sie noch da?“

      „Ja, bin ich. Die Sache mit der Kaution, das habe ich schon in die Wege geleitet, Frau Schnells, ich denke, Frank kommt dann raus. So wie ich das aber verstanden habe, muss er jederzeit zur Verfügung stehen! Das heißt, er wird nicht verreisen dürfen, er muss hier in der Stadt bleiben.“

      Susanne hätte gerne mehr in Erfahrung gebracht, offensichtlich war Herr Rhode ja bestens im Bilde, doch sie bemerkte die eigenartige Ablehnung dieses Mannes und gab sich erst einmal mit seiner Auskunft zufrieden. Das Gespräch wurde beendet, brachte aber so gut wie nichts. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr fand sie: Ich habe doch nichts von verreisen gesagt, was soll das, meint er etwa damit, Frank kann nicht nach hier kommen? Da stimmt doch was nicht und ahnte noch nicht, wie nahe sie der Wahrheit kam. Wie dreist ihr soeben eine dicke Lüge aufgetischt worden war.

      „Was ist eigentlich los, Mama, mit wem hast du telefoniert, das war doch nicht Frank?“ Michael, jetzt auch etwas beunruhigt, stand plötzlich neben ihr.


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