Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

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Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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kein bekanntes Gesicht. – Jedenfalls noch nicht. Für die Kleinigkeit, die sie nur kaufen wollte, holte sie sich erst gar keinen Einkaufswagen und ging zielstrebig durch die Drehtür. Und, wie es der Zufall wollte, Berger Junior gab gleich hinter dem Eingang Anweisungen an zwei Angestellte. Das kam Helene Weber natürlich sehr gelegen. „Morgen Herr Berger. Morgen“, und auf die mit Paletten beladene Karre deutend fragte sie: „Na, neue Ware bekommen?“

      „Frau Weber, Sie habe ich aber lange nicht hier gesehen, geht es Ihnen gut?“

      „Ja danke, aber ich brauche nicht immer was vom Baumarkt.“

      „Dann haben Sie noch nicht mein schönes Gartenparadies in der neuen Halle besichtigt, Frau Weber? Das sollten Sie aber unbedingt nachholen. Übrigens, bei diesem nassen Wetter ist einpflanzen neuer Blumen genau das Richtige!“

      Tüchtig, tüchtig! Der Junge weiß seine Ware anzubieten. Helene Weber lächelte ihn an. „Ich glaube, da besorge ich mir lieber vorsichtshalber direkt einen Einkaufswagen, so wie ich mich kenne!“ Sie blinzelte Ralf Berger zu und meinte: „Das muss ich unbedingt Frau Schnells erzählen, mit dem Paradies meine ich. Ach, haben Sie schon mitbekommen, Frau Schnells hat endlich wieder einen Freund!“

      „Nein, hat sie?“ Ralf Berger war durch seine Arbeit etwas abgelenkt und es war ihm im Moment auch nicht bewusst, wer diese Frau Schnells sein könnte, bezweifelte sowieso ob er das überhaupt wissen wollte.

      „Hat sie! Vor zwei Tagen kam er mit einem Jeep, wie lange die sich aber schon kennen, weiß ich nicht.“

      Herr Berger begann plötzlich schallend zu lachen. Oh, diese redselige Weber. Ihm war inzwischen auch bewusst, wer Frau Schnells war.

      Helene Weber, ein wenig irritiert über sein lautes Lachen, zuckte die Schultern und schwieg.

      „Ist doch gut, Frau Weber. Ich gönne es der Frau“, fand Herr Berger.

      „Aber ja, ich doch auch. Sie ist noch viel zu jung um alleine zu bleiben!“

      Eine Angestellte suchte den Rat ihres Chefs und Herr Berger entschuldigte sich höflich: „Ich werde gebraucht, bis bald mal. Machen Sie’s gut, Frau Weber.“

      Sie nickte hinter ihm her. Schade, sie hätte gerne noch mit dem Junior, auch über alte Geschichten, geplaudert. Immerhin kannte sie ihn schon seit seiner Jugend, aus der Zeit ihrer Beschäftigung bei seinen Eltern, die sich erst vor kurzem zur Ruhe gesetzt hatten. Damals nannte sich dieses Haus noch ‚Schmiede‘, die Bezeichnung existierte vom Großvater, der den Ackergäulen im gesamten Umkreis Hufe schmiedete und anpasste. Seitdem war das Unternehmen um einiges gewachsen und nannte sich schon seit einigen Jahren Bergers-Markt. Nur den Alteingesessenen passierte es immer noch ‚Schmiede‘ zu sagen und zu denen gehörte Helene auch. Sie machte so etwas wie eine Lehre bei Rudolf und Bettina Berger als Büroangestellte, oder richtiger gesagt: ‚Mädchen für Alles‘, und war bis zu ihrer Heirat im Geschäft geblieben. Sie lernte ihren um fast fünfzehn Jahre älteren Mann in diesem Haus kennen. Helene schüttelte ihren Kopf, doch lieber nicht zurückdenken, nicht jetzt, heute war heute und jetzt musste sie sich einen Einkaufswagen besorgen und die neue Gartenabteilung unter die Lupe nehmen. Der Junior hat Ideen, „Gartenparadies“. Mal sehen, ob es auch den Namen verdient hat, schmunzelte sie. Und dann vergaß Helene Weber vorläufig die aktuelle Neuigkeit aus der Nachbarschaft unter die Leute zu bringen. Sie war entzückt über diese Blumen- und Pflanzenpracht, auch darüber, wie geschickt alles arrangiert wurde und die Blicke auf sich ziehen musste. Immerhin gehörte derartige Kunst auch in ihre Berufszeit. Jetzt überlegte sie sich jeweils, wohin die eine oder andere Blume oder Staude in ihren Garten passen könnte und belud so nach und nach den Wagen. An der Kasse war sie zwar etwas erstaunt, aber der Bon zählte insgesamt elf Pflanzen und sie zahlte den stolzen Preis von 106,75 Euro. „Meine Güte, ein Glück, dass ich es mir leisten kann“, murmelte sie vor sich hin und freute sich auf den Nachmittag. Da musste der Friseur erst einmal zurückstehen. Und die Noppen, – die waren sowieso in Vergessenheit geraten. Sie schob den Einkaufswagen über den Parkplatz zu ihrem Fahrzeug. Das heißt, es war ihre Absicht gewesen, bevor sie Otto Scholz erspähte. Er stand rücklings an einen weißen Opel gelehnt da. Ein Auto mit fremdem Kennzeichen? Herr Scholz war ein Nachbar vom Ende der Bergstraße, der linken Seite. Seltsamerweise bekam sie ihn in letzter Zeit nicht zu Gesicht, eine ganze Weile schon nicht, fiel ihr soeben auf. Welchen Grund konnte das denn haben? Er sah gelangweilt aus, stocherte abwechselnd mit seiner linken, dann mit der rechten Schuhspitze zwischen den Pflastersteinen herum und schien sie noch nicht bemerkt zu haben, jedenfalls stellte es sich ihr so dar. Helene Weber vollführte einen kleinen Schlenker mit ihrem beladenen Einkaufswagen, steuerte ihn ein wenig umständlich in Richtung ‚Schwätzchen halten‘ und blieb neben Herrn Scholz stehen.

      Er sah sie mit mürrischem Gesicht an.

      Das störte sie aber nicht weiter und es konnte sie schon gar nicht davon abbringen, ihn anzusprechen: „Hallo Herr Scholz, wie geht es Ihnen? Ich habe Sie ja schon länger nicht mehr gesehen, gehen Sie nicht mehr Gassi mit ihrem Hund?“

      „Rex ist tot!“ Herr Scholz kratzte sich am Hinterkopf. Muss die jetzt hier aufkreuzen? „Er war schon über dreizehn, bin jetzt alleine. Nur für ein paar Tage besucht mich mein Sohn.“

      „Oh, das tut mir aber leid, das mit ihrem Rex, meine ich.“

      „Mir auch“, sagte er und obwohl ihm so gar nicht der Kopf nach Tratschen stand, redete er weiter: „Mein Sohn will mich ins Altenheim stecken. Das kommt natürlich alles von seiner Frau, die konnte mich noch nie leiden. Angeblich kann ich mich nicht mehr richtig versorgen. So ein Blödsinn!“ Herr Scholz war sichtlich grantig, vielleicht auch enttäuscht und gleichzeitig traurig, aber der Ärger überwog deutlich. „Denen geht es nur ums Erbe! Schenkung zu Lebzeiten nennt sich das, dass ich nicht lache“, nörgelte er sich gerade so richtig in Rage. „Die wollen so schnell wie möglich mein Haus verkaufen, es geht nur um die Flocken, so ist das!“

      Helene Weber fragte erschreckt: „Sie haben doch auch noch Töchter Herr Scholz, was sagen die denn dazu?“

      „Meine zwei Mädchen? Die denken genau so, sagen im Heim hätte ich‘s doch viel besser, bekäme alles gemacht, gekocht, gewaschen und so. Nur Augenwischerei, sonst nix! Ne nee, es geht nur ums Geld!“

      Helene Weber hätte dem aufgebrachten Mann gerne noch etwas Tröstendes zu diesem brisanten Thema gesagt, doch inzwischen war dessen Sohn Hans-Peter im Anmarsch und sie zog es vor, sich zu verabschieden und ihm noch schnell „alles Gute“ zu wünschen.

       5

      „Na, wer war das denn?“ Hans-Peter Scholz begann die Waren vom Einkaufswagen in den Kofferraum seines Autos zu räumen.

      „Sie ist eine Nachbarin. Die Weber von Nummer 5, die lebt auch alleine, hat keine Kinder die sie ins Heim stecken wollen“, antwortete Vater patzig.

      Hans-Peter sah einen Moment verblüfft aus, war das ernst gemeint? „Also Papa, haben wir das nun nicht schon oft genug durchgekaut? Außerdem, die Weber ist ja wohl noch keine zweiundachtzig, oder?“ Hans-Peter reagierte sauer. Jetzt kaufte er Tapete und Farbe, erklärte sich bereit, Vaters Wohnzimmer, die Diele und das Bad zu renovieren und trotzdem wurde er angemeckert. „Na komm schon, lass gut sein Papa“, lenkte er nachsichtig ein. „Möchtest du richtig zu Mittag essen, oder sollen wir was vom Bäcker mitnehmen?“

      „Mir egal.“ Vater blieb verstimmt.

      „Setz dich schon mal ins Auto, ich bringe nur schnell den Wagen zurück.“ Und als er dabei Helene Weber begegnete, die ihrerseits ebenfalls den Einkaufswagen zurück stellte, grüßte er höflich lächelnd mit: „Hallo“, welches sie vorsichtig mit leichtem Kopfnicken beantwortete. Schließlich weiß man nie, zu was Kinder, die den Vater ins Heim abschieben wollen, sonst noch so fähig sind. Vornehme Zurückhaltung erschien ihr diesmal der sicherste Weg. Einen Augenblick später dachte sie daran, dass sie sich von Kind an kannten, und sich dennoch soeben wie Fremde gegenüber standen.

      „So Vater, dann fahren wir jetzt zur Agnes,


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