Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg
Читать онлайн книгу.belangloser Tagesabläufe belästigt wurden. Frau Weber war da die große Ausnahme, sie hielt sich nun mal sehr oft in ihrem Vorgarten auf und sobald sich etwas auf der Straße bewegte, was nun wirklich nicht so oft vorkam, wurde ihr Interesse geweckt und sie begann ein Gespräch, versuchte es zumindest, und bekam auch irgendwie immer etwas heraus. Möglicherweise hörte sie auch mehr, als ihr anvertraut wurde? Vielleicht kombinierte sie auch so einiges in die falsche Richtung, so wie eben die Sache: Freund Hauff. Eventuell ließ sich gerade damit die Zurückhaltung der Leute erklären?
Als Mark Schnells gestorben war, gab es kurzfristig drei oder vier Gespräche zwischen ihnen, doch schon bald stellte sich leider wieder die übliche Distanz ein, von der eigentlich kein Mensch wirklich wusste, warum das denn so war. Susanne nahm sich augenblicklich vor: Das muss sich ändern! Den ersten Schritt ging sie soeben, sie bat Helene Weber ihr Gast zu sein, beim Picknick für den morgigen Samstag. „Oder haben Sie schon was vor?“
„Nein, ich komme gerne, vielen Dank für die Einladung.“
Susanne verstaute die Einkäufe und suchte gleichzeitig nach dem Rezept für den Salat, ihr eigenes Rezept, obwohl das eigentlich nur einige schnell notierte Zutaten waren, welche sie vor Jahren selbst zu einem Hauptmenü erdachte und es auch mehrfach ausprobierte. Genau das müsste die Nachbarin beeindrucken, mit Sicherheit! Susanne hörte ihren Sohn die Treppe herunter sprinten. Er kam direkt zu ihr in die Küche und legte seine Arme von hinten um ihre Taille. Das hat er schon ewig nicht mehr gemacht, dachte Susanne belustigt.
„Entschuldige Ma, dass ich vorhin so kurz angebunden war, aber auch wenn Mathematik mein liebstes Fach ist, denken muss ich trotzdem dabei!“
Susanne drehte sich um und nahm ihren Sohn in die Arme. Sie strich ihm gedankenverloren übers Haar und hielt plötzlich überrascht inne, bemerkte erstaunt: „Du bist gewachsen!“
Michael lachte herzhaft. „Das hättest du wohl gerne, dass ich so klein bleibe?“, dabei zeigte er mit einer Hand etwa in Höhe seiner Knie. „Übrigens, ich dachte zum Picknick könnte doch Markus auch kommen, oder?“
„Natürlich, wenn du das möchtest, lade deinen Freund ein. Damit sind wir dann schon vier. Du wirst staunen, wen ich soeben eingeladen habe, dreimal darfst du raten, also – was meinst du?“
Michael überlegte: „Frau Pieper?“ Er sah seine Mutter an, doch sie schüttelte nur wortlos den Kopf.
„Das kleine Mädchen von gegenüber? Rosa oder so?“
Und wieder Mutters Kopfschütteln.
„Sag schon, wen dann?“, fragte er ungeduldig.
„Frau Weber!“
Überaus langsam setzte Michael sich auf einen Stuhl, er sah seine Mutter an, als sehe er gerade einen Geist.
„Micha – was ist denn, hey – findest du das so schlimm? Sie ist doch ganz alleine und nur deshalb so neugierig. Außerdem hat sie unser Schild neben der Haustüre stehen sehen und ganz falsch gedeutet. Herrn Hauff hat sie wohl auch gesehen und sich ihren ganz speziellen Reim darauf gemacht.“ Susanne schwieg kurz. „Anscheinend erzählt sie jetzt herum, ich hätte einen neuen Freund“, erklärte sie. „Darum fand ich, die Einladung war nötig!“
Da ging plötzlich ein eigenartiges Grinsen über Michaels Gesicht. Die Idee kam ihm wie ein Blitz und begann, sich augenblicklich in seinem Kopf auszubreiten. Seine Mutter war jedoch viel zu beschäftigt, um dies bewusst wahrzunehmen. Wie sollte sie aber auch ahnen, dass inzwischen ein ganz bestimmtes Telefonat erfolgt war.
7
Das Handy spielte seine Melodie. Hans-Peter Scholz hielt am Straßenrand an, fingerte es aus der Brusttasche seines Hemdes, klappe es auf und erkannte im Display die Nummer seines Schwagers Georg. „Hallo Georg, ich rufe dich gleich zurück, bin gerade mit Vater auf dem Heimweg, bis später.“ Er ließ das Handy zurück in seine Hemdtasche gleiten und fuhr weiter zu Vaters Haus. Dort parkte er in der Einfahrt und begann die eingekauften Waren auszuladen. Nach einer Weile sah er sich nach seinem Vater um, der noch nicht bis zur Haustüre gekommen war, um zu öffnen. Nein – seltsamerweise saß er nach wie vor noch im Auto, zeigte immer noch seine miese Laune-Miene, machte auch keine Anstalten auszusteigen.
„Papa, willst du nicht die Haustür aufschließen?“, rief er.
Vater Scholz hielt seinen Schlüsselbund zum Beifahrerfenster hinaus, er wartete regungslos. Hans-Peter ging kopfschüttelnd darauf ein, nahm die Schlüssel an sich, öffnete die Eingangstür, hob die Renovierungs-Materialien auf und trug sie nacheinander ins Haus. Und Vater saß immer noch schweigend im Auto.
„So, jetzt reicht es, das ist mir doch zu toll.“ Seine verdammte Laune! Hans-Peter schritt resolut auf sein Fahrzeug zu und riss die rechte Türe auf. „Was soll das, steigst du endlich aus oder willst du den Rest des Tages im Auto verbringen?“
Vaters Antwort kam prompt: „Nein, nur so lange, bis mein einziger Sohn telefoniert hat, kannst mir ja sagen, wenn du damit fertig bist!“
„Wie bitte? Hey Papa, das war Georg, keine Heimlichkeit!“
„Ach so? Wieso haste denn nicht mit ihm gesprochen, vorhin?“ Vater Scholz verzog spöttisch die Lippen, seine wegwerfende Handbewegung sagte alles – er wusste doch inzwischen, was da hinter seinem Rücken lief.
Dem Sohn ging ein Licht auf, erleichtert lächelte er. „Das kann ich dir sagen, warum: Weil es verboten ist während der Fahrt ein Handy zu halten, um zu telefonieren, darum! So, jetzt steig schon aus, du sturer Kopp.“
Ein bisschen ungläubig sah ihn sein Vater an, das war ja interessant, neumodischer Kram und gleich mit neuem Gesetz dazu. Dann blieb er dabei als Hans-Peter und Georg miteinander telefonierten. Damit keine neuen Missverständnisse entstehen konnten, stellte Hans-Peter das Handy auf laut. „Na, was habt ihr euch ausgedacht für Sonntag?“, fragte Hans-Peter in den Apparat.
„Marlis und ich fahren zu Anneliese und Siegfried, holen sie ab und ihr könnt dann etwa ab 14 Uhr mit uns rechnen. Marga kommt mit den Kindern. Sie ruft dich aber auch noch an.“
„Alles klar, bestens. Dann streiche ich morgen die Diele und das Bad, mit tapezieren fange ich erst am Montag an. Will ein bisschen renovieren bei Papa, wenn ich schon hier bin. Grüß alle schön, auch von Papa, bis dann, Georg.“ Das Gespräch war beendet.
Otto Scholz‘ miese Laune schwand dahin, dennoch, er stand breitbeinig im Türrahmen, schüttelte ein paarmal den Kopf bevor er Wort für Wort abwägend, fragte: „Da bin ich doch jetzt neugierig, und das beschäftigt mich schon den ganzen Tag, wenn ihr wollt, dass ich in ein Heim gehe, warum willst du dann überhaupt noch hier renovieren?“
„Ach Papa, erstens – weil es nötig ist. Zweitens – wissen wir ja noch nicht wie und was wir alle zusammen entscheiden, uns einig werden und drittens – wenn du wirklich in ein Heim gehst, dann müssen wir erst mal eins für dich suchen und dich dort anmelden. Du bekommst nicht von heute auf morgen einen Heimplatz. So was kann dauern!“
Das war der Lichtblick! Ein schwaches Lächeln umspielte Vaters Mund, hoffentlich würde es noch recht lange dauern. Etwas später entschloss er sich in den Garten zu gehen, um nach dem Rechten zu sehen, wie er sich ausdrückte. „Komm Junge, lass uns etwas Ordnung schaffen, sonst denkt unser Besuch am Sonntag wirklich noch, ich tauge zu nichts mehr.“
„Na also, so gefällt mir mein Vater wieder besser“, grinste Hans-Peter aufatmend. Immerhin schien es Vater selbst bemerkt zu haben, wie vernachlässigt besonders sein Garten aussah.
Margas Anruf kam gegen Abend über Vaters Anschluss. Ein wenig atemlos erzählte sie von den Kindern, von Jonas und Jessica: „Als die zwei hörten, wir fahren am Sonntag zu Opa, musste ich noch mit ihnen ein Geschenk einkaufen. Wir sind kurz vor Ladenschluss noch in der Gärtnerei gewesen und haben etwas für seinen Garten gekauft.“
„Das ist prima. Und ich freue mich auf euch.“
„Soll ich Kuchen