Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos
Читать онлайн книгу.2005). Zunächst einmal kann ganz allgemein festgehalten werden, dass alles, was gesagt und gezeigt wird, den Inhalt darstellt. Um beim Beispiel der Nachrichtensendung zu bleiben, bilden alle Nachrichten, die in Wort und Bild vermittelt werden, den Inhalt der Sendung. Dabei ergibt sich die Frage, ob der Nachrichtensprecher, der schriftliche Nachrichten verliest und Bildbeiträge ankündigt, auch zum Inhalt gehört. Auf einer allgemeinen Ebene könnte man sagen: Der Inhalt einer Nachrichtensendung besteht darin, dass ein Nachrichtensprecher oder eine Nachrichtensprecherin Nachrichten verliest und Bildnachrichten in kurzen Filmbeiträgen gezeigt werden. Auf einer konkreteren Ebene können die Themen, die in den Wort- und Bildbeiträgen der Nachrichten abgehandelt werden, als Inhalt verstanden werden. Um diese Inhalte zu erforschen, werden im Rahmen der sogenannten Inhaltsanalyse methodisch Kategorien gebildet, nach denen sie klassifiziert werden können (vgl. Mayring 2015; Wegener 2005). Die Art und Weise, wie Nachrichten präsentiert werden, spielt dabei keine Rolle. Das wiederum kann Gegenstand der Film- und Fernsehanalyse sein.
Allerdings interessiert der Inhalt eines Films oder einer Fernsehsendung in dem beschriebenen Sinn nicht. Stattdessen ist für die Film- und Fernsehanalyse interessant, wie der Inhalt präsentiert wird und damit zur Produktion von Bedeutung und der sozialen Konstruktion von gesellschaftlicher Wirklichkeit beiträgt: »Der auszusagende Inhalt – ein Gedanke, eine Geschichte, ein Thema – wird mit einem Darstellungsformat vereinigt. Erst in dieser Gestalt kann er zum Element des kommunikativen Verkehrs werden« (Wulff 1999, S. 32; H.i.O.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass alles, was die Kamera zeigt, wichtig und bedeutsam ist. Wenn Film- und Fernsehtexte zum Wissen, zu den Emotionen, zur sozialen Kommunikation und zum praktischen Sinn der Zuschauer hin geöffnet sind, steht im Mittelpunkt der Analyse, wie diese Texte zum »sinnhaften Aufbau der sozialen Welt« (Schütz 1991) beitragen, und zwar in Bezug auf die strukturelle Rolle der Medien in der gesellschaftlichen Kommunikation sowie in Bezug auf die konkrete Rolle einzelner Medien und Medieninhalte für die Subjektkonstitution und Identitätsbildung konkreter Zuschauer und Zuschauergruppen.
Repräsentation meint »die Produktion von Bedeutung durch Sprache« (Hall 2013, S. 14). Dies ist kein unpersönlicher Prozess, sondern es gibt Akteure der Bedeutungsproduktion. Repräsentation ist daher genauer »der Prozess, bei dem Mitglieder einer Kultur Sprache benutzen […], um Bedeutung zu produzieren« (ebd., S. 45). Als Sprache gilt dabei jede Art von Zeichensystem, also auch Medien wie Film und Fernsehen. Es werden Zeichen benutzt, »die in verschiedenen Arten von Sprachen organisiert sind, um bedeutungsvoll mit anderen kommunizieren zu können« (ebd., S. 14), im Fall von Film und Fernsehen sind dies Bilder, Töne, Schrift, Sprache, Grafik und Musik (vgl. auch Hartley 1994, S. 265). Die Zeichen können für Objekte in der sogenannten realen Welt stehen, sie können aber auch für abstrakte Ideen und Fantasiewelten stehen. Nach Stuart Hall gibt es zwei Repräsentationssysteme: das Zeichensystem, in dem die Artikulation stattfindet, und mentale Konzepte, die »die Welt in bedeutungsvolle Kategorien klassifizieren und organisieren« (Hall 2013, S. 14). Es existiert keine Realität außerhalb der Repräsentation. In diesem Sinn können die kognitiven Aktivitäten, zu denen die Film- und Fernsehtexte als Zeichen- und damit als Repräsentationssystem hin geöffnet sind, als mentale Repräsentationssysteme gesehen werden. Filme und Fernsehsendungen können als Zeichensysteme betrachtet werden, die reale Welten und abstrakte Ideen, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit entstammen, oder mögliche Welten, wie sie in Geschichten erzählt werden, repräsentieren. Als Zeichensysteme stehen sie in Bezug zum »historischen, kulturellen und sozialen Wandel. Repräsentationen sind daher ein Ort des Kampfes um Bedeutung« (Taylor/Willis 1999, S. 40). In der Film- und Fernsehanalyse geht es jedoch nicht nur um das, was gezeigt wird, sondern vor allem auch darum, wie es gezeigt wird. Im ersten Kapitel in Teil II wird auf einzelne Aspekte dieser theoretischen Bezüge genauer eingegangen.
Die Analyse des Inhalts und der Repräsentation von Fernsehsendungen und Filmen hat einen besonderen Stellenwert. Sie ist wichtig, um die Prozesse des sinnhaften Aufbaus der sozialen Welt zu verstehen, weil sich darüber die Subjekte in der Gesellschaft positionieren. Als Repräsentationen korrespondieren Film- und Fernsehtexte mit gesellschaftlichen Strukturen. Damit stehen sie auch fundamental in Beziehung zu Macht und Herrschaftsverhältnissen (vgl. Orgad 2012, S. 25). Darin liegt ihre ideologische Komponente. Zugleich beziehen sie sich auf den gesellschaftlichen Wissensvorrat, der die Positionierung des Individuums in der Gesellschaft bestimmt (vgl. Berger/Luckmann 2010, S. 43). Da die Texte aber zugleich zu den Aktivitäten der Zuschauer hin geöffnet sind, spielen sie für Identität und Subjektivität eine wichtige Rolle (vgl. Bachmair 1996, S. 238 ff.; Fiske 2011, S. 4 ff.; Fritzsche 2003; Gauntlett 2002; Wegener 2008; Wierth-Heining 2004 sowie die Beiträge in Mikos u.a. 2009, Vollbrecht/Wegener 2009 und Winter u.a. 2003). Auf dieser Basis reflektieren die Menschen »ihre Erfahrungen und ihren Platz in der Welt« (Grossberg u.a. 1998, S. 227). Im Rahmen eines Verständnisses von Film und Fernsehen als Kommunikationsmedien wird die Rezeption und Aneignung von Film- und Fernsehtexten »zu einer kontextuell verankerten gesellschaftlichen Praxis«, in der die Texte »erst auf der Basis sozialer Erfahrung produziert werden« (Winter 1997, S. 54), indem Zuschauer mit ihnen im Alltag und ihrer Lebenswelt sinnvoll handeln. Daraus resultiert die Relevanz von Film- und Fernsehanalysen, die sich z.B. mit der Darstellung der Frau, der Verwendung von ethnischen Stereotypen oder der Rolle von Kindheit auseinandersetzen.
2.2 Narration und Dramaturgie
Die zweite Ebene, auf der Filme und Fernsehsendungen analysiert werden können, ist zwar eng mit der ersten verknüpft, aber nicht mit ihr identisch. Geht es auf dieser Ebene doch um die Art und Weise der Repräsentation von sozialen Welten, sowohl von Aspekten der gesellschaftlichen Wirklichkeit als auch von möglichen Welten, die der Imagination entsprungen sind. Was aber ist unter Narration und Dramaturgie in Bezug auf Filme und Fernsehsendungen zu verstehen?
Auf eine knappe Formel gebracht kann man sagen: Die Narration oder Erzählung besteht in der kausalen Verknüpfung von Situationen, Akteuren und Handlungen zu einer Geschichte; die Dramaturgie ist die Art und Weise, wie diese Geschichte dem Medium entsprechend aufgebaut ist, um sie im Kopf und im Bauch der Zuschauer entstehen zu lassen. Genauer kann Erzählung zunächst als eine Form der kommunikativen Mitteilung verstanden werden, die sich von anderen Formen unterscheidet, z.B. von der Beschreibung oder der Argumentation (vgl. Chatman 1990, S. 6 ff.). Sie ist das Resultat einer kommunikativen Handlung: des Erzählens. Diese Tätigkeit wird von einem Akteur ausgeübt, dem Erzähler, der seine Erzählung an einen Adressaten, das Publikum, richtet. Eine Erzählung entsteht so immer durch die Positionierung und Perspektive des Erzählers und seinen Blick auf das Erzählte bzw. auf die Geschichte vor dem Hintergrund der Publikumsadressierung. Grundsätzlich kann das Erzählen als eine »alltägliche kommunikative Handlung« (Schülein/Stückrath 1997, S. 55; Ehlich 1980) begriffen werden. Der Erzähler kann sich beim Erzählen verschiedener medialer Formen bedienen, z.B. der Sprache, der Schrift, des Films, des Fernsehens oder des Hypertextes. Dabei benutzt er verschiedene Strategien des Erzählens, die den Zuschauer einbeziehen:
»Narration ist folglich nicht substantiell, sondern prozessural zu verstehen, als kommunikativer Akt, in dem eine Geschichte entfaltet wird, deren Erschließung Aufgabe eines interpretierenden Zuschauers ist. Narration ist damit zugleich eine Aktivität, die das Wissen des Rezipienten und seine Eingeweihtheit in das Geschehen reguliert« (Hartmann/Wulff 1997, S. 81; vgl. auch Bordwell 1990, S. XI).
Erzählungen haben einen Anfang und ein Ende, dazwischen entfaltet sich die Geschichte für die Dauer des Films oder der Fernsehsendung (vgl. auch Bordwell 2008, S. 95). Der prozessurale Charakter der Erzählung verweist bereits auf ihre zeitliche Dimension, die doppelt konstituiert ist: einerseits über die Dauer der Präsentation des Films oder der Fernsehsendung und andererseits über die Dauer des Erzählten, genauer ausgedrückt, der erzählten Zeit der Geschichte (vgl. dazu Chatman 1990, S. 9). In diesem Sinn wird zwischen der Erzählzeit, z.B. den 100 Minuten eines Spielfilms, und der erzählten Zeit, z.B. den fünf Tagen, in denen sich die Geschichte dieses Films ereignet, unterschieden. Zugleich muss differenziert werden zwischen dem, was der Film oder die Fernsehsendung zeigt (Plot oder Sujet) und der erzählten Geschichte (Story oder Fabel), die erst im Kopf der Zuschauer entsteht (vgl. dazu Kapitel II-1.1