Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos

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Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos


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bezeichnet und verglichen die Kombination der Filmbilder mit dem Satz in der Sprache (ebd.). Dieser Ansatz wurde in den 1960er und 1970er Jahren durch Semiotiker wie Christian Metz (1972) weiterentwickelt und dann in den Einführungen zur Filmanalyse aufgegriffen. Allerdings hatte Metz (ebd., S. 148) bereits darauf hingewiesen, dass die filmischen Strukturen lediglich denen der Sprache ähneln. Von einer »Filmsprache« oder »Sprache des Films« zu sprechen hat dann lediglich metaphorischen Charakter. Der Literaturwissenschaftler Ralf Schnell folgert daraus: »Die Erzählformen des Films beruhen nicht auf linguistischen Strukturen, sondern entstehen aus technischen Mitteln, die ihrerseits Stiltraditionen generieren« (Schnell 2000, S. 183). Dennoch hat die Rede von der »Filmsprache« bzw. der »Fernsehsprache« weiterhin Konjunktur (vgl. Bienk 2006; Jost/Kammerer 2012; Marshall/Werndly 2002; Wharton/Grant 2007), und es wird davon ausgegangen, dass die Verwendung filmischer Codes auf Sprache basiert (Kuchenbuch 2005, S. 98 ff.), die Beschreibung von filmischen Darstellungsweisen auf linguistische Strukturen zurückgreift (Branigan 2006), und das »Zeichensystem des Films« (Beil u.a. 2012, S. 11) die Grundlage semiotischer Filmanalysen ist (vgl. Gräf u.a. 2011; Kanzog 2007). Im vorliegenden Buch geht es nicht darum, die »Filmsprache« oder die »Fernsehsprache« zu analysieren, sondern die Mittel, die ein Film oder eine Fernsehsendung einsetzt, um mit den Zuschauern zu kommunizieren. Dabei spielen inhaltliche, darstellerische, dramaturgische, erzählerische und ästhetisch-gestalterische Mittel ebenso eine Rolle wie die Kontexte, in die filmische Strukturen und Zuschauer eingebunden sind. Filmische Strukturen sind während einer Analyse immer auf dreifache Weise zu befragen: erstens im Hinblick auf die inhaltliche und erzählerische Kohärenz eines Films, zweitens im Hinblick auf die gestalterischen Mittel, die auf die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Zuschauer zielen, und drittens im Hinblick auf den kommunikativen Prozess und dessen Kontexte, denn der Sinn eines Films oder einer Fernsehsendung realisiert sich erst in der Rezeption durch Zuschauer. Die »Sinnhaftigkeit« von Filmen und Fernsehsendungen existiert nicht als quasi objektive faktische Gegebenheit, sondern wird erst während des Zuschauens vom Zuschauer hergestellt.

      Die Bücher zur Filmanalyse, die seit den 1980er Jahren erschienen sind (vgl. Beil u.a. 2012; Faulstich 1988; Faulstich 2002/2013; Hickethier 1993/2012; Kamp/Braun 2011; Keutzer u.a. 2014; Korte/Faulstich 1988; Korte 1999/2010; Kuchenbuch 2005; Monaco 1980/2009), verfolgen zwar einen etwas weiteren Ansatz und greifen auch auf neuere Filmtheorien aus dem angelsächsischen Raum zurück (vgl. Beil u.a. 2012; Kuchenbuch 2005; Kurwinkel/Schmerheim 2013), doch der kommunikative Aspekt des Films wird nur am Rand berücksichtigt. In der angelsächsischen Literatur orientieren sich die Einführungen in erster Linie an theoretischen Positionen, die eine Filmanalyse leiten können (vgl. Berger 1982/2013; Gledhill/Williams 2000; Hill/Church Gibson 1998; Hollows/Jancovich 1995; Nelmes 1996), sie stellen Einzelanalysen von Filmen in den Mittelpunkt, die verschiedene Aspekte der Analyse betonen (vgl. Barker 2000; Cardullo 2015; Carroll 1998; Elsaesser/Buckland 2002), oder sie gehen von unterschiedlichen theoretischen Standpunkten aus auf die Filme ein (vgl. exempl. die Beiträge in Collins u.a. 1993; Geiger/Rutsky 2005; Gibbs/Pye 2005). Die wenigen Ausnahmen, in denen die Techniken des Filmemachens auch im Hinblick auf die Konsequenzen für die Zuschauer genauer dargestellt werden, bestätigen die Regel (vgl. Bordwell/Thompson 1979/2013; Caldwell 2005/2010; Gillespie/Toynbee 2006; Phillips 1999; Wharton/Grant 2007 und zum Teil Salt 1983/1992; Salt 2006). Im romanischen Raum steht weiterhin die Semiotik hoch im Kurs (vgl. Bellour 1979/1995; Mitry 2000). Allerdings gibt es auch Ausnahmen (Casetti/di Chio 1990/1994; Goliot Lété/Vanoye 1992/2012), die über eine rein semiotische Analyse hinausgehen.

      Die Fernsehanalyse hat im Gegensatz zur Filmanalyse bisher kaum Interesse gefunden und schlägt sich dementsprechend selten in einführenden Publikationen nieder. Die deutschsprachigen Publikationen zur Fernsehanalyse versammeln Aufsätze, die sich aus verschiedenen theoretischen Perspektiven auf Einzelaspekte des Fernsehens konzentrieren (Hickethier 1994) oder setzen sich pauschal mit verschiedenen Sendungsformen auseinander, ohne spezifische Analyseschritte zu vollziehen (Faulstich 2008). Das trifft auch auf die in Großbritannien und Italien erschienenen Bücher zu (Allen/Hill 2004; Casetti/di Chio 1997/2000; Creeber 2006; Geraghty/Lusted 1998; McQueen 1998; Miller 2002). Lediglich Knut Hickethier geht in seinem Buch »Film- und Fernsehanalyse« (1993/2012) neben dem Film explizit auf das Fernsehen ein. Im englischsprachigen Raum bieten Jonathan Bignell (2004/2012), Graeme Burton (2000), Karen Lury (2005) und Phil Wickham (2007) eine umfassende Einführung in die Fernsehanalyse. Letztere geht dabei auf Bild und Ton sowie Zeit und Raum ein.

      Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Filme und Fernsehsendungen nicht nur im Kino und im klassischen linearen Fernsehen verfügbar, sondern auch auf Online-Plattformen, und sie können auch mobil auf dem Tablet oder dem Smartphone genutzt werden. Die Entwicklung digitaler und mobiler Medien hat neue Möglichkeiten entstehen lassen, die Angebote auf verschiedene mediale Plattformen zu verteilen, um so das Publikum über verschiedene Nutzungsformen einzubinden. Dabei ist nicht nur am Beispiel des Fernsehens, sondern auch am Beispiel des Films zu beobachten, dass es »verschwimmende Grenzen zwischen verschiedenen Medien- und Kommunikationsanwendungen« (Hasebrink 2001, S. 105) gibt.

      Diese Grenzen verschwimmen sowohl in technischer, ökonomischer, inhaltlicher und ästhetischer Hinsicht als auch mit Blick auf die Nutzung von Medienangeboten. Menschen handeln in »konvergierenden Medienumgebungen« (Hasebrink u.a. 2004, S. 10). Damit ist »die Gesamtheit der Phänomene der Konvergenz auf den verschiedenen Ebenen sowie der zunehmend ausdifferenzierten Formen von Crossmedialität« (ebd.) gemeint. In ökonomischer Hinsicht kann Konvergenz als eine »Ausweitung der kommerziellen Reichweite einzelner Filme oder Unterhaltungsangebote durch die Verbindung mit anderen Absatzmärkten« (Keane 2007, S. 2) gesehen werden, »deren ultimatives Ziel es ist, den gleichen Markeninhalt über verschiedene Medien zu verbreiten« (ebd.). Auf der Seite der Mediennutzer kommt dem das Bedürfnis entgegen, beliebte Inhalte auf verschiedenen Medienplattformen zu suchen. Das gilt offenbar besonders für Angebote, die der Unterhaltung dienen, wie Henry Jenkins bemerkt:

      »Unter Konvergenz verstehe ich die Ausbreitung von Inhalten über verschiedene Medienplattformen, die Kooperation zwischen verschiedenen Medienindustrien und das nomadische Verhalten von Medienpublika, die auf der Suche nach den Unterhaltungserlebnissen, die sie wünschen, nahezu überall hingehen« (Jenkins 2006, S. 2).

      Dabei zeigen sich allerdings unterschiedliche Muster der konvergenten Medienaneignung (vgl. Wagner u.a. 2006; siehe auch Göttlich 2006, S. 194 ff.; Groebel 2014, S. 79 ff.). Die Verbindung zwischen den Angeboten und der Mediennutzung wird durch eine Ästhetik transmedialen Erzählens hergestellt (vgl. Kapitel II-5.2). Für Filme und Fernsehsendungen, die auf mehreren medialen Plattformen verbreitet werden, hat sich der Begriff »Franchise« durchgesetzt (vgl. Johnson 2013) und ist am Beispiel von »Der Herr der Ringe« (Mikos u.a. 2007; Thompson 2007; Wasko 2008), »Matrix« (Jenkins 2006, S. 101 ff.) und »Star Wars« (Kapell/Lawrence 2006) untersucht worden. Bei solchen Franchise-Produkten können zwar noch die einzelnen Filme analysiert werden, doch müssen sie im Kontext der anderen medialen Ausprägungen gesehen werden. Denn der Erfolg eines Films oder einer Fernsehsendung hängt zunehmend von der Einbettung in die konvergierenden Medienumgebungen ab.

      Mit der Digitalisierung sind neue Möglichkeiten der Verbreitung von Filmen und Fernsehsendungen entstanden (vgl. Aigrain 2012; Allen-Robertson 2013; Cunningham/Silver 2013). So findet man auf dem Videoportal YouTube vor allem Ausschnitte aus Fernsehshows, aber auch ganze Sendungen und einzelne Folgen von Fernsehserien. Einige historische Filme können ebenfalls dort angesehen werden. Die neuen Verbreitungswege ändern auch die Produktionsweisen und die Ästhetik. Wenn die Video-on-Demand-Plattform Netflix eigenproduzierte Fernsehserien nicht mehr Folge für Folge, sondern alle Episoden auf einmal onlinestellt, dann müssen einerseits alle Folgen auch bereits fertig produziert sein, und andererseits bedarf es keiner Cliffhanger mehr, um die Spannung zur nächsten Episode aufzubauen, ebenso wie die sogenannten Recaps – eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Ereignisse aus den vorherigen Folgen – entfallen. Die in den USA übliche Praxis, spätere Episoden der Staffel einer Fernsehserie noch zu produzieren, während die ersten Episoden schon gesendet werden, ist dann nicht mehr möglich. Außerdem macht die veränderte Ästhetik die Fernsehserien für das klassische Fernsehen in gewisser Weise unbrauchbar, da sie sich nicht mehr an dessen Gesetzen und Gewohnheiten der Zuschauerbindung orientiert.

      Im


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