Quantitative Methoden kompakt. Nicole Burzan

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Quantitative Methoden kompakt - Nicole Burzan


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setzen beide Werke theoretische Konzepte empirisch um und überprüfen sie. Sie wurden aus dem nahezu unbegrenzten Pool an thematischen und theoretischen Ansätzen sowie konkret verwendeten Methoden unter anderem deshalb ausgewählt, weil sie die Anwendung der grundlegenden Erhebungsinstrumente illustrieren.

      Sagt es etwas über Eltern aus, ob sie ihr Kind Dörte oder Denise, Henry oder Benjamin nennen? Jürgen Gerhards nimmt dies an. Er geht davon aus, dass die Vornamensgebung und insbesondere der Wandel von Namensgebungen in den letzten 100 Jahren Prozesse kulturellen Wandels abbilden. Woran orientieren sich Eltern, wenn sie für ihr Kind einen Namen auswählen? Wenngleich Eltern selbst oft nur diffuse Gründe angeben können (z. B. der Name klinge schön), lassen sich im Zeitverlauf bei der Betrachtung vieler Namensgebungen doch bestimmte Trends ausmachen, von denen Gerhards einige näher in Augenschein nimmt: In welchem Maße etwa orientieren sich Eltern an Traditionen, z. B. aus der Religion, der Nation oder der Verwandtschaft und Familie? Sind Vornamen, obwohl ihre Wahl nicht vom Einkommen oder anderen materiellen Ressourcen abhängt, schichtspezifisch, oder haben sie sich individualisiert? Welche Rolle spielen Moden? Schlägt sich Globalisierung bei den Vornamen nieder? Auf welche Weise markieren Vornamen im Zeitverlauf das Geschlecht des Kindes?

      Die Fragen deuten auf den kultursoziologischen Gehalt der Thematik hin: Vornamensgebungen im Zeitverlauf – so die These – zeigen einen kulturellen Wandel (oder auch Stabilität) an, da Eltern Namen nicht »zufällig« vergeben, sondern sich an bestimmten kulturellen Faktoren orientieren. Wenn ein Elternpaar seinem Kind etwa einen deutschen, angloamerikanischen oder christlichen Namen gibt, kann dies im Einzelnen viele Gründe oder auch keinen direkt angebbaren Grund haben. Wenn es aber bei der Betrachtung einer großen Zahl von Namensvergaben beispielsweise zwischen 1933 und 1942 zu einer besonderen Steigerungsrate bei der Wahl deutscher Namen kommt, liegt eine »Prägekraft kultureller Kontexte« nahe, die sich somit auch und gerade für »einen der privatesten Bereiche« zeigt (Gerhards 2003: 28).

      Versucht man, die Forschungsfrage danach zu systematisieren, was der Forscher erklären will und welche erklärenden Faktoren er heranzieht (im methodischen Sprachgebrauch heißt dies: Welche ist die abhängige, welche die unabhängige Variable), könnte man sagen: Erklärt werden soll die Vornamensgebung als Zeichen kulturellen Wandels. Mögliche Erklärungsfaktoren sind kulturelle Orientierungen und Prägungen (und nicht allein individuelle Vorlieben unabhängig davon), die wiederum von anderen, unter anderem sozialstrukturellen Faktoren abhängen. Gerhards hat damit nicht allein einen beschreibenden Anspruch (Welche Namen kommen wie häufig vor?), sondern er möchte die Trends auch erklären. Er verbindet dabei – ein in der Soziologie generell wichtiger Aspekt – das Handeln von Akteuren (die »Mikro«-Ebene) mit gesellschaftlichen Strukturen (der »Makro«-Ebene). Allerdings findet diese Verknüpfung allein auf einer kollektiven bzw. aggregierten Ebene statt. Damit ist gemeint, dass Gerhards z. B. die Häufung deutscher Vornamen in den 1930er-Jahren auf das politische System zurückführt. Man weiß aber nicht, warum einzelne Eltern ihren Kindern einen bestimmten Vornamen gegeben haben, oder ob gerade Anhänger des NS-Regimes deutsche Namen bevorzugt haben. Ein anderes Beispiel: Dass Kinder ab dem Ende der 1950er-Jahre seltener den Vornamen ihrer Eltern erhalten, bringt Gerhards damit in Verbindung, dass weniger Familien in der Landwirtschaft tätig sind, eine Hofübergabe an das Kind, insbesondere den Sohn, also wegfällt und damit diese Art der Tradition nicht gewahrt werden muss. Gerhards führt selbst an, dass der zwischen beiden Faktoren bestehende statistische Zusammenhang nicht zwingend einen ursächlichen Zusammenhang bedeutet, doch »leider stehen uns … keine Daten zur Verfügung, die eine Überprüfung auf der Individualebene zuließen. Uns bleibt allein die Möglichkeit auf theoretischer Ebene zu argumentieren, warum unserer Ansicht nach die aufgezeigten statistischen Zusammenhänge auf der Kollektivebene auch auf der Individualebene gegeben sind« (Gerhards 2003: 97). Trotz der Beschränkung des erklärenden Anspruchs auf Plausibilität lässt sich festhalten, dass die Studie zumindest mehrere erste Erklärungsansätze dafür liefert, wodurch die Namensgebung beeinflusst ist, warum und wie sich also ein kultureller Wandel in diesem Bereich vollzieht.

      Als Erhebungsinstrument wählt Gerhards die Inhaltsanalyse. Dabei wertet er Geburtsregister von Standesämtern aus zwei deutschen Kleinstädten aus, zum einen aus dem überwiegend katholischen Gerolstein in Westdeutschland, zum anderen aus dem protestantischen, später eher konfessionslosen Grimma in Ostdeutschland. Die Auswahl von nur zwei Gemeinden sichert keine Verallgemeinerbarkeit, doch zieht der Autor zum Vergleich Forschungsergebnisse aus anderen Regionen heran. Sie zeigen ähnliche Trends, was die Reichweite bzw. Generalisierbarkeit der Ergebnisse Gerhards’ wiederum stärkt.

      Was genau hat Gerhards nun erhoben? In einem vier- bzw. zweijährigen Abstand erfasste er jeweils die 100 ersten Geburten eines jeden Jahrgangs zwischen 1894 und 1994 bzw. 1998. Die Information zu jeder Geburt enthielt die Merkmale Geburtsdatum, Vorname(n), Geschlecht, außerdem von den Eltern die Vornamen, die Religionszugehörigkeit und den Beruf. Im Nachhinein ergänzte er dieses Raster durch den Kulturkreis, aus dem die Vornamen stammten, anhand von Namenshandbüchern; außerdem teilte er die Berufe in drei Gruppen ein (unqualifiziert, qualifiziert, hoch qualifiziert). Die Zuordnung zu einem Kulturkreis ist dabei nicht ganz unproblematisch. Ausschlaggebend war der zeitlich letzte Kulturkreis, so zählt etwa beim Namen Martin der Bezug zu dem Heiligen Martin, dem Bischof von Tours, nicht der lateinische Ursprung »Mars«. Dem liegt die (nicht bewiesene) Annahme zugrunde, dass der zeitlich letzte der für Eltern bekanntere oder jedenfalls bedeutsamere Kulturkreis ist.

      Eine zusätzliche kleine Befragung von Müttern in Entbindungsstationen spielt in dem weiteren Forschungsbericht leider nur am Rande eine Rolle, so dass dieses Element einer »Mikro-Ebene« nachrangig bleibt.

      Die erhobenen Merkmale bilden nun Hinweise (»Indikatoren«) für die Prüfung verschiedener Trends bei der Namensgebung. Die folgende Auflistung zeigt einige Beispiele auf (siehe Tab. 2.1).

      Manchmal wären weitere Untersuchungen sowohl auf der Ebene der Fragestellungen als auch der Indikatoren denkbar, die zum Teil mit der vorliegenden Datenbasis nicht durchgeführt werden konnten, so gab es für die Prüfung der Facette Verwandtschaftsbeziehungen keine Informationen über die Namen der Großeltern und Paten. Es wurde ebenfalls nicht gefragt, ob Eltern mehrerer Kinder ihren »Vorlieben« treu blieben. Bei der Heterogenisierung wäre es bei entsprechender Datenbasis interessant gewesen, welcher Anteil der Eltern einen Namen aus den »Top 10« des (Vor-)Jahres wählt etc. Ebenfalls wäre zu überlegen, ob pro »Trend« nicht in einigen Fällen mehrere Indikatoren sinnvoll gewesen wären. Positiv ist hervorzuheben, dass der Autor in jedem Kapitel die Fragestellung und die Indikatoren klar benennt.

      Tab. 2.1: Dimensionen und Indikatoren in der Studie von Gerhards

Einfluss vonIndikator
religiösen Bindungen bzw. SäkularisierungAnteil der christlichen Vornamen an der Gesamtmenge der Vornamen (laut Namenshandbuch)
nationaler OrientierungAnteil der deutschen Vornamen an der Gesamtmenge der Vornamen
VerwandtschaftsbeziehungenAnteil der Weitergabe der elterlichen Vornamen auf den Namen des Kindes an der Gesamtmenge der Vornamen
IndividualisierungHeterogenisierung, gemessen am Anteil unterschiedlicher Namen an der Gesamtzahl der Namen
Schichtspezifik
Globalisierung bzw. TransnationalisierungAnteil nicht christlicher und nicht deutscher Namen bzw. Anteil der Namen aus romanischem und angloamerikanischem Kulturkreis

      Im zweiten Teil der jeweiligen Prüfungen zieht Gerhards weitere Merkmale hinzu, die nun nicht mehr aus der eigenen Erhebung, sondern aus der Literatur entnommenen Daten stammen, z. B. der erwähnte Rückgang der in der Landwirtschaft Tätigen. Diese Merkmale dienen der (heuristischen) Erklärung,


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