Tatort Nordsee. Sandra Dünschede

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Tatort Nordsee - Sandra Dünschede


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aber auch von demjenigen, in dem August mit seiner Familie lebte. Es war ein weiß verputzter Flachdachbungalow, passte eigentlich gar nicht in diese Gegend, war aber damals hochmodern gewesen. Augusts Eltern hatten ihn seinerzeit als Altenwohnsitz gebaut. Jetzt, im Herbst, lag das Haus bereits in der Dunkelheit, die sich früh im Polder breitmachte. Die Fenster leuchteten ihm indes hell entgegen, und als er das Haus passierte, hörte er aus einem dem Wirtschaftsweg zugewandten Fenster die Dusche brausen – Vorbereitungen seines Vaters für den Besuch der Heimatbühne in Norden. Seine Mutter würde wohl schon fix und fertig in der Küche auf und ab gehen, die Blumen auf dem Tisch bald hier-, bald dorthin rücken und immer nervöser werden aus Furcht, sie könnten den Beginn des Stückes doch noch verpassen, nur weil ihr Mann die Kühe wieder einmal wichtiger gefunden hatte. Dieser Vorwurf würde nicht zum ersten Mal über ihre Lippen kommen. August hörte, als er auf den kleinen gepflasterten Weg zu seiner Haustür einbog, wie das nur noch ganz leise wahrnehmbare Rauschen der Dusche verstummte – gute Chancen also, rechtzeitig in der Stadt und in der Aula der Realschule zu sein, in der das Stück aufgeführt wurde.

      Als August seine Haustür öffnete, stieß er fast mit Henrike zusammen, die gerade die Treppe herunterkam, auf dem Weg in die Küche. Henrike und August waren jetzt schon viele Jahre verheiratet, August musste immer wieder neu nachrechnen. Knapp 20 Jahre waren es (»unglaublich«). Sie hatten sich auf einem Schulfest in Norden kennengelernt und waren schon mehr als 25 Jahre (»kann doch gar nicht wahr sein«) das, was man als Paar bezeichnete. Das Fangeisen sei aber eben erst einige Jahre später an seinen Finger geraten, wie August es anderen erklärte.

      »Das war knapp«, sagte seine Frau, »eben bin ich hier mit mehreren Gläsern und wohl sechs Bechern vorbeigekommen. Die Kinder können nichts, was sie einmal mit nach oben nehmen, wieder runterbringen.« Und schon war Henrike in der Küche verschwunden. August folgte ihr, nachdem er sich seiner Stiefel entledigt hatte.

      »Schlafen die Kinder schon?«, fragte er.

      »Die Kleinen ja, die beiden Großen hören noch Radio, Kassette, CD, was weiß ich.«

      »Na, dann gehe ich noch mal kurz nach oben.« August wandte sich wieder dem Flur zu.

      »Hast du die …«, aber Henrike brach ab, denn sie sah auch so, dass August nicht etwa vergessen hatte, seine Stiefel auszuziehen. Sie selbst war trotz zweier erneut gefüllter Wäschekörbe und des lange Zeit schier aussichtslos scheinenden Kampfes mit ihrem Mann, dem sie das Bügeln beibringen wollte (der sich dabei zunächst ausgesprochen dämlich anstellte), recht guter Dinge. Zum einen hatte sie es irgendwann geschafft, und August nahm sich tatsächlich ab und an die Bügelwäsche vor, zum anderen war es kurz vor 8 Uhr, und um Viertel nach acht wollte sie einen Film sehen – was angesichts der derzeitigen Sachlage (Kinder im Bett, Wäsche zumindest für den kommenden Tag vorhanden, außerdem Mann im Haus, der in Notfällen einspringen konnte) möglich erschien. Wäsche hin, Wäsche her, sie hatte es in den letzten zwei, drei Monaten nicht einmal geschafft, pünktlich um Viertel nach acht vor dem Fernseher zu sitzen, und diese Chance wollte sie sich heute nicht entgehen lassen, die Vorzeichen standen schließlich gut.

      »Was gibt’s denn in der Glotze?«, wollte August wissen, nachdem er seinen beiden älteren Kindern gute Nacht gesagt hatte und wieder in der Küche stand.

      »›Notting Hill‹, mit Hugh Grant und Julia Roberts, habe ich vor Jahren schon gesehen, nicht gerade anspruchvoll, aber auch nicht schlecht und für einen stürmischen, dunklen Herbstabend genau das Richtige.«

      »Ist das nicht die mit dem breiten Mund?«, fragte August beiläufig, während er schon mit einem Auge auf der zufällig offen liegenden Sportseite der Tageszeitung war.

      »Ja, genau. Die mit dem breiten Lächeln. Die findest du doch so schön. Wichtiger ist mir aber Hugh Grant«, gestand Henrike und fügte hinzu: »Wie wäre es, wenn ich heute mal fernsehe, und du machst wenigstens einen Teil der Wäsche, die deine Kinder tagtäglich produzieren?«

      »Du«, August dachte offenbar nach, »… ich muss noch unbedingt an den Computer, die wollen bald die genauen Flurstücksgrößen haben, und ich will die Luftbilder, die uns zugeschickt wurden, mit den alten Plänen vergleichen, nicht dass am Ende falsche Werte vorliegen, die dann zur Berechnung der Ausgleichszahlungen für die Brachflächen herangezogen werden.«

      »Aber mit dreckiger Unterhose willst du ja wahrscheinlich auch nicht über deine Brachfläche gehen, oder?« Henrike funkelte ihn, fast wütend wirkend, an.

      Dann mal ran an die Wäsche, dachte August und wollte mit einem »Nee, wohl nicht« den Raum verlassen.

      »Na, denk mal drüber nach, wenn du Zeit hast, das mit den Luftbildern wird schon nicht so lange dauern. Du kennst doch dein Land besser als jedes Luftbild … Trinken wir heute noch ein Glas Wein? Das würde prima in meinen Plan passen.«

      »Mal sehen, wie lange ich für die Pläne und Luftbilder brauche, das ist eine komplexe Materie«, August lächelte, »aber dann, warum nicht, ein Pils wäre zwar auch nicht schlecht, aber man muss ja flexibel sein. Aber erst mal muss ich jetzt duschen.« Mit diesen Worten nahm er sich die Sportseite vollständig vor.

      Henrike machte es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich, der Fernseher lief, es war genau 20.15 Uhr, die Titelmusik des Erzeugnisses aus Hollywood begann.

      »Du kannst mir ruhig schon ein Glas vorbeibringen«, rief sie in die Küche, was August aus seinem leichten Ärger über die erneute Niederlage des HSV herausriss und zu einem geistesabwesenden »Mach ich« veranlasste. Bevor er ins Bad ging, suchte er eine Flasche Wein im Keller, fand einen roten, französischen, aus dem Roussillon, entkorkte ihn und brachte Henrike ein Glas. Sie quittierte mit einem kurzen »Danke«, und als August ansetzte, etwas zu sagen, schickte sie vorsorglich ein »Psst« hinterher, um dieser Gefahr gleich zu begegnen. Er merkte, dass es kaum Sinn hatte, gegen Hugh Grant auf der Mattscheibe anzureden, raunte nur, als dieser zufällig im Bild erschien: »Na so toll sieht der nun auch wieder nicht aus«, worauf Henrike noch entschiedener »Psst« machte und »Ruhig« hinzufügte. August drehte kurzerhand um, wollte nun endlich unter die Dusche, als Henrike ihm ihrerseits nachrief: »Ach, August, Wiard hat noch angerufen. Er will mit dir über irgendetwas am neuen Deich sprechen. Ob du morgen mal Zeit hast?«

      »Vielleicht lag am Deichfuß eine alte Plastikplane oder eine verölte Möwe? Darüber kann er sich ja aufregen wie sonst kaum einer. In letzter Zeit ist er wieder ganz auf dem Umwelt-Trip …«, rief August zurück und murmelte noch, mehr zu sich: »… die grüne Socke.«

      »Weiß ich nicht, hat er auch nicht gesagt, sprich außerdem nicht so über ihn, er ist ein feiner Kerl. Und nun sei mal still.« Henrike wusste zwar nicht immer, was sie wollte, heute Abend wusste sie es aber ziemlich genau.

      »Na, so wichtig wird’s schon nicht sein. Ich fahr aber morgen sowieso zu dem neuen Stück Land, das wir gepachtet haben, da komm ich bei Wiard vorbei. Werde mal kurz bei ihm reinschauen.«

      »Dann mach das mal«, kam, leicht genervt, zurück, und August nahm sich vor, bis zum Ende des Films nichts mehr zu sagen. Er erhaschte noch einen Blick auf Julia Roberts, fand den Mund tatsächlich breit, die Frau insgesamt aber sehr ansehnlich und verschwand unter der Dusche mit dem Gedanken, dass die den neuen Laufstall mal eben aus ihrer Haushaltskasse hätte bezahlen können. Aber was sollte Julia Roberts mit einem Kuhstall.

      Wiard Lüpkes war das, was man eigenbrötlerisch nennt. Er wohnte nicht allzu weit entfernt des Saathoff’schen Hofes. August verstand sich ganz gut mit ihm, sie hatten öfter mal miteinander zu tun, und wenn es nur das zufällige Treffen irgendwo in den umliegenden Poldern oder wie neulich in Norden war, bei dem man ein paar Worte wechselte. Dabei kebbelten sie sich immer, denn die politischen Ansichten von Wiard und August gingen durchaus nicht immer konform, manchmal diametral auseinander, aber sie akzeptierten sich. Früher hatte Wiard beim Finanzamt in Emden gearbeitet, bis ihm »das Amt und alles, was damit zu tun hatte, zum Halse raus hing«, und hatte seitdem keine feste Anstellung mehr gehabt. Die Leute hatten es kaum nachvollziehen können: »So eine Stelle auf’m Amt, Mensch, beim Staat, also, die gibt man doch nicht auf, heutzutage, bei mehr als fünf Millionen Arbeitslosen …«,


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