Die Macht des Tunnels. Hans P Vogt

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Die Macht des Tunnels - Hans P Vogt


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war auf neue Medikamente eingestellt worden.

      Dennis war froh, als beide wieder zu Hause waren. Jetzt würde endlich alles gut werden. Aber Mama war ausgelaugt und müde von den Sorgen. Es lag eine Spannung in der Luft.

      Dennis war nicht glücklich.

      Wenige Tage später verschlechterte sich Patricks Zustand erneut. Plötzlich, unerwartet und heftig. Der Stuhlgang blutete schlimmer als je zuvor. Patrick weinte und schrie. Der Ausschlag stellte sich über Nacht ein und breitete sich wie rasend aus. Patrick kam erneut ins Krankenhaus.

      Diesmal stellten die Ärzte eine hochgradige Vergiftung fest, welche bereits die Nieren in Mitleidenschaft zog. Patrick erhielt neue Blutkonserven. Gegen die Schmerzen wurden Sedativa verabreicht.

      Papa nahm Dennis dieses mal ins Krankenhaus mit. Er konnte nicht sagen, warum. Er fand, dies sei wichtig. Patrick schien zu schlafen. Tatsächlich war er in einer Art Dämmerzustand, hervorgerufen durch die Medikamente.

      Dennis schaute erst seinen Vater an und dann seine Mutter.

      „Mama, darf ich…“ und er deutete auf das Bett. Als Mama nickte, setzte er sich auf den Bettrand und nahm Patricks Hände, so wie er das schon oft gemacht hatte.

      Von Patricks Händen ging diesmal ein gewaltiger Strom von Wärme aus. Hitzewellen erfassten Dennis Körper. Es war wie ein Prickeln und Pulsieren in seinen Armen. Er hatte ein Gefühl, als würde er in einen Tunnel aus Wärme rasen. Er konnte nicht sprechen. Seine Kehle war wie ausgetrocknet.

      Die Lippen klebten aneinander. Er wollte sich befreien von diesem Hitzestrom, aber er genoss gleichzeitig dieses Erlebnis, wie eine Erleuchtung.

      Dennis glaubte zu sehen, dass Patrick ihn anlächelte.

      Niemand sah etwas davon, außer Dennis selbst. Niemand außer Dennis merkte etwas von diesem wahrhaft monströsen Ereignis. Es war ein Glutsturm der ihn erfasste und taumelnd mitriss in eine scheinbar endlose warme schwarze Röhre, deren Ende nur durch einen fernen Lichtschein angezeigt wurde. Dennis war wie gelähmt. Er wusste nicht, wie lange diese Reise dauerte. Später wurde ihm erzählt, er habe nur wenige Minuten dort gesessen und Patricks Hände gehalten.

      Dann begann der Strom abzuebben. Dennis liefen Tränen hinunter. Mama nahm seine Hände und löste sie aus Patricks Umklammerung. „Ist schon gut, Liebling“, sagte sie und zog ihn zu sich.

      Patrick war tot.

      Vorerst blieb das unerkannt. Papa und Mama hatten von dem Geschehen nichts bemerkt. Es war nur eine Sache zwischen Patrick und Dennis gewesen.

      Einige Minuten später kam die Schwester, um nach Patrick zu sehen. Sie warf einen Blick auf das Bett, und nahm routinemäßig und mit geübtem Griff Patricks Hand. Aber da war kein Puls mehr. Sie schickte Dennis und seine Eltern sofort hinaus. Sie alarmierte den Stationsarzt. Aber Patrick war bereits tot. Sie war zu spät gekommen. Es war vorbei.

      Ohne, dass Dennis das zu diesem Zeitpunkt hätte beschreiben können, hatte sein Bruder in diesen letzten Momenten seines Lebens ihm - Dennis - all seine verbliebene Kraft geschenkt - und noch viel mehr. Aber dass sollte Dennis erst viel später erfahren.

      Der Arzt teilte Dennis Eltern eine Stunde später mit, dass man alles versucht hätte, alles, um Patricks Leben noch einmal zu retten. Ohne Erfolg. Dennis Eltern waren geschockt.

      Sie „litten wie ein Tier“. Mama nahm Dennis verzweifelt in die Arme. Sie drückte ihn so fest an sich, dass er glaubte, sie wolle ihn zerquetschen. Die Tränen rollten aus ihren Augen.

      Nach einer Weile fing sie an laut zu schluchzen. Da löste Papa Dennis vorsichtig aus ihren Armen. „Du erdrückst ihn ja“, sagte er.

      Dennis selbst war unschlüssig, was zu tun sei. Er, mit seinen drei Jahren ahnte, dass es von ihm erwartet würde, auch zu weinen. Aber er konnte das nicht. Immer noch fühlte er in sich ein unbeschreibbares Gefühl von Kraft, seit er Patricks Hände gehalten hatte. Eine Kraft, wie er sie nie zuvor kennen gelernt hatte. Eine Kraft, die ihn (den kleinen dreijährigen Knirps) ahnen ließ, sein Weg vor ihm sei klar aufgezeichnet und behütet, so wie die U-Bahn damals dem Scheinwerferlicht und den tanzenden Schatten durch den Tunnel gefolgt war. Zielsicher.

      Dennis weinte nicht.

      Auch Papa weinte nicht, aber Dennis sah, dass sich eine Art grauer Schleier über Papas Augen gelegt hatte.

      Die nächsten Jahre sollten zeigen, dass Dennis Weg vorgezeichnet war. Doch er war keineswegs ohne Hindernisse.

      5.

      Der Tod des knapp vier Monate alten Patrick war so ungewöhnlich, dass die Krankenhausleitung die Staatsanwaltschaft informierte, um eine Obduktion herbeizuführen und um die Todesursache genau festzustellen.

      Die Ärzteschaft hatte, nach dem Krankheitsbericht zu schließen, ordentlich gearbeitet. Das wollte sich die Krankenhausverwaltung bestätigen lassen, um sich gegen eventuelle rechtliche Forderungen zu wehren. Schließlich war auch ein Fremdverschulden nicht auszuschließen. Schon die früheren Untersuchungen hatten ungewöhnliche Abweichungen der Blutwerte ergeben.

      Patrick wurde auf einen Tisch gelegt und der Pathologe der Rechtsmedizin begann seine Arbeit.

      Patricks Nieren hatten versagt. Die Darm- und Magenwände waren perforiert und befanden sich in einem hochgradigen Zustand der Auflösung. Im Blut wurden diverse Bakterien, Viren und Antikörper gefunden, die da nicht hingehörten. In den Gewebeproben wurden Spuren festgestellt, die in ihrer Zusammensetzung den chemischen Bausteinen nicht unähnlich waren, aus denen viele Windelhersteller das Granulat in Babywindeln herstellen, um die hohe Saugfähigkeit zu garantieren. Eindeutige Schlüsse ließ das jedoch nicht zu. Eine Unverträglichkeit lag auf der Hand, als Todesursache kam das nicht in Betracht. Die Untersuchung des Gehirns zeigte eine ungewöhnliche fast erschreckende Ausformung der Frontal-, Parietal-und Okzipitallappen, die auf eine überragende Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit, der Sensibilität und der Persönlichkeitsbildung schließen ließen.

      Sonstige Abnormitäten, oder gar durch äußerliche Gewalt verursachte Veränderungen wurden nicht festgestellt.

      Der herbeigezogene Virologe schloss die Ursache tropischer Infekte ebenso aus, wie alle durch Viren oder Bakterien bekannten Kinderkrankheiten.

      Der Obduktionsbericht war in einem Punkt eindeutig. Ein ungünstiges Zusammentreffen mehrerer Faktoren war für den Tod des kleinen Patienten verantwortlich. Als Todesursache wurde eindeutig das Versagen der Nieren und eine daraus resultierende hochgradige Vergiftung des Körpers bestimmt.

      Ein Fremdverschulden - wie etwa eine bewusst herbeigeführte Vergiftung - wurde ausgeschlossen. Auch ein schuldhaftes Verhalten der Ärzte bestand nach der Analyse aller vorliegenden Krankheitsunterlagen nicht.

      Der Staatsanwalt las den Bericht und machte sich einen Vermerk. Die Akte wurde geschlossen. Das nach dem Anfangsverdacht vorbeugend gegen Eltern und Mediziner aufgenommene Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Der kleine Körper wurde zur Beerdigung freigegeben.

      6.

      Die Beerdigung war ein äußerst emotionaler Abschied.

      Patrick wurde auf dem Friedhof in Schöneberg bestattet, auf dem vor über 100 Jahren schon die Gebrüder Grimm beigesetzt wurden.

      Alle Kinder von Dennis Kindergruppe waren da. Sie hatten Bilder mitgebracht, kindlich naiv und teilweise erschreckend direkt. Eines der Bilder zeigte einen Engel, der Patrick mit in den Himmel nahm. Es sah aus, als hätte der Engel Patrick auf halben Weg losgelassen, so dass Patrick zurück zur Erde stürzte. Ein anderes Bild zeigte Papa, Mama, Dennis und Patrick (durch die Größe der Figuren eindeutig zu erkennen). Patrick war mit dicken Linien mehrfach heftig durchgestrichen. Kindliche Logik folgt nun einmal nicht der Pietät der Erwachsenen.

      Auch die Eltern der Kindergruppe waren


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