Völkerrecht. Bernhard Kempen

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Völkerrecht - Bernhard  Kempen


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› Enteignungsrecht, internationales (Markus Perkams)

       I. Enteignungsrecht im Fremdenrecht

       1.Enteignung

       2.Öffentliches Interesse und Diskriminierungsverbot

       3.Entschädigung

       II. Enteignungsrecht in Investitionsförderungsverträgen

       1.Enteignung

       2.Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

       III. Menschenrechtliches Enteignungsrecht

      Lit.:

      R. Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985; J.A. Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, in: O. Depenheuer (Hrsg.), Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklung, 2005, 131; B. Kempen, Eigentum: ein universelles Menschenrecht?, WiVerw2 2009, 19; Chr. Ohler, Der Schutz privaten Eigentums als Grundlage der der internationalen Wirtschaftsordnung, JZ 2006, 875; M. Ruffert, The Protection of Foreign Direct Investment by the European Convention on Human Rights, GYIL 43 (2000), 116; B. Schöbener, Der menschenrechtliche Schutz des privaten Eigentums – eine Zwischenbemerkung, FS für K. Stern, 2012, 901.

      Das internationale Enteignungsrecht ist ein wesentlicher Bestandteil des völkerrechtlichen → Eigentumsschutzes. In ihm manifestiert sich die Wertgarantie des geschützten Eigentums. Diese Wertgarantie ergibt sich daraus, dass das Völkerrecht keinen absoluten Eigentumsschutz enthält, d. h. → Staaten berechtigt sind, Eigentum zu enteignen, dafür aber in der Regel seinen Wert ersetzen müssen. Die drei gegenwärtig wichtigsten Rechtsgrundlagen für das Enteignungsrecht sind das im → Völkergewohnheitsrecht verankerte Fremdenrecht (s. unten, I.), der völkervertragsrechtliche Investitionsschutz (s. unten, II.) und der im Wesentlichen auf regionalen Menschenrechtskonventionen beruhende menschenrechtliche Eigentumsschutz (s. unten, III.). In der Literatur wird zudem teilweise zwischen dem Begriff der Enteignung und dem der Nationalisierung differenziert, mit dem die Verstaatlichung ganzer Industriezweige bezeichnet wird. Da sich in der Praxis keine relevanten Unterschiede in der rechtliche Behandlung von Enteignungen und Nationalisierungen ergeben haben, wird im Folgenden nur der Begriff Enteignung verwendet.

      Das → Fremdenrecht enthält im Wesentlichen die folgenden Regeln für eine Enteignung ausländischen Eigentums: Enteignungen ausländischen Eigentums sind grundsätzlich erlaubt. Das Recht der Staaten, Enteignungen vorzunehmen, ist Folge und Ausdruck der staatlichen → Souveränität. Allerdings müssen bei der Enteignung ausländischen Eigentums bestimmte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beachtet werden: Die Enteignung muss im öffentlichen Interesse sein, sie darf nicht diskriminieren und der enteignende Staat muss eine Entschädigung zahlen. Werden diese Anforderungen nicht eingehalten, ist die Enteignung rechtswidrig und stellt damit ein völkerrechtliches Delikt dar (→ Verantwortlichkeit, völkerrechtliche). Die Rechtsfolge ist dann die Pflicht zur Wiederherstellung des vor dem Delikt bestehenden Zustands oder – wenn dies nicht möglich ist – die Zahlung einer Entschädigung, die alle Folgen der Enteignung ausgleicht.

      Der Tatbestand der Enteignung ist nicht klar definiert. Grundsätzlich ist anerkannt, dass sowohl direkte Enteignungen als auch indirekte Enteignungen erfasst werden. Das Iran – US Claims Tribunal charakterisierte den Tatbestand der indirekten Enteignung in Starrett Housing (para 154) wie folgt:

       „[I]t is recognized in international law that measures taken by a State can interfere with property rights to such an extent that these rights are rendered so useless that they must be deemed to have been expropriated, even though the State does not purport to have expropriated them and the legal title to the property formally remains with the original owner.“

      Wo genau die Grenze zu Eingriffen verläuft, die keine Enteignungen darstellen, hat im Fremdenrecht kaum praktische Bedeutung erlangt. Dies kann insbesondere damit erklärt werden, dass die Rechtsdurchsetzung hier den Staaten als → Völkerrechtssubjekte obliegt und dass diese bei Grenzfällen zurückhaltend agieren dürften.

      Die ersten beiden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen – das Bestehen eines öffentlichen Interesses und das Diskriminierungsverbot (→ Gleichheitsprinzip) – haben nur wenig praktische Bedeutung erlangt. Bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses wird den Staaten generell eine weite Einschätzungsprärogative zuerkannt. Trotz unterschiedlicher Behandlung von In- und Ausländern ist das Diskriminierungsverbot dann nicht verletzt, wenn die Regierung einen sachlichen Grund für diese Differenzierung hat. Auch bei der Bestimmung dieses Grundes steht dem Staat zumindest ein gewisser Spielraum zu.

      Die mit Abstand wichtigste und historisch umstrittenste Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist die Entschädigungspflicht, bzw. die Frage nach der Höhe der Entschädigung. Die jedenfalls bis zum Zweiten Weltkrieg vorherrschende Auffassung wurde 1937 von dem damaligen US-Außenminister Cordell Hull formuliert, der von Mexiko „prompt, adequate and effective compensation“ für die Enteignung amerikanischer Interessen in der mexikanischen Ölindustrie verlangte. Diese sog. Hull-Formel wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Zweifel gezogen. Während die Industriestaaten auf den weiteren Fortbestand der Hull-Formel bestanden, bestritt die Mehrzahl der anderen Staaten die Gültigkeit dieser Formel. Keine Seite konnte sich in diesem Streit klar durchsetzen. Dies verdeutlichen zwei Entwicklungen:

      Erstens wurde der Streit über die nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommenen, umfassenden Enteignungen im Wesentlichen durch Kompromisse in Form sog. Globalentschädigungsabkommen (lump sum agreements)


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