Völkerrecht. Bernhard Kempen

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Völkerrecht - Bernhard  Kempen


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Anwendungsbereich der EMRK werden neben direkten Enteignungen auch de facto-Enteignungen erfasst. Auch hier ist die genaue Abgrenzung von de facto-Enteignungen und keine Enteignungen darstellenden Maßnahmen schwierig und beruht letztendlich auf den Umständen des Einzelfalls. Seit den grundlegenden Entscheidungen des EGMR in Sporrong and Lönnroth (NVwZ 2012, 1455) und James and Others (Bsw. Nr. 8793/79) ist zudem unbestritten, dass eine Enteignung entschädigungspflichtig ist, wobei der EGMR den Staaten hier ein weites Ermessen bei der Berechnung der Entschädigung zugesteht.

      E › Erga omnes-Pflichten (Andreas Funke)

       I. Allgemeines

       II. Erga omnes-Pflichten (im Sinne einer Berechtigung aller)

       III. Verpflichtungen erga omnes?

       IV. Abschließende Bewertung

      Lit.:

      Chr. Tams, Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, 2005; ders., Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, 2005; K. Zemanek, New Trends in the Enforcement of erga omnes Obligations, UNYB 4 (2000), 1.

      Manche Normen des Völkerrechts wirken erga omnes (wörtlich: gegen alle). Diese Wirkung kommt sowohl für die Berechtigungen als auch für die Verpflichtungen, die durch völkerrechtliche Normen begründet werden, in Betracht. Erga omnes-Wirkung kann nämlich bedeuten, dass ein → Staat eine Pflicht hat, die gegenüber allen Staaten besteht. Die zugrunde liegende Norm berechtigt mithin alle diese Staaten. Diese Wirkung ist üblicherweise gemeint, wenn von erga omnes-Pflichten die Rede ist (unter II.). Die Übersetzung des Ausdrucks erga omnes als „gegen alle“ ist deshalb missverständlich; gemeint ist: „gegenüber allen“. Gleichwohl wird manchen völkerrechtlichen Normen – und das ist sachlich etwas ganz anderes – eine erga omnes-Wirkung auch in dem Sinne zugesprochen, dass sie alle Staaten verpflichten (unter III.).

      Pflichten aus erga omnes-Normen, so der → IGH im insoweit grundlegenden Barcelona Traction-Fall (ICJ Reports 1970, 3 (32, Rn. 33)), bestehen gegenüber der → Staatengemeinschaft als ganzer. Sie sind eine Angelegenheit aller Staaten. Demnach haben, so der IGH, alle Staaten ein rechtliches Interesse am Schutz der Rechte, die durch solche Normen begründet werden. Es besteht also anders gesagt eine Pflicht gegenüber allen Staaten. Der IGH zählt zu diesen Pflichten das Aggressionsverbot (→ Aggression, → Angriff, bewaffneter), das Verbot des → Völkermordes und die grundlegenden → Menschenrechte, einschließlich des Schutzes vor Sklaverei und Rassendiskriminierung. Nicht aber – darauf kam es im konkreten Fall an – wirken die Regeln des diplomatischen Schutzes erga omnes. Später hat der IGH die Achtung des → Selbstbestimmungsrechts der Völker als erga omnes-Pflicht angesehen (ICJ Reports 1995, 90 (102) – Ost-Timor).

      Die praktische Bedeutung der erga omnes-Wirkung von Normen kann anhand der multilateralen Menschenrechtspakte veranschaulicht werden. Verletzt ein Vertragsstaat seine menschenrechtlichen Verpflichtungen, ist jeder andere Vertragsstaat, und zwar unabhängig von einer Betroffenheit in eigenen Rechtsgütern, berechtigt, → Gegenmaßnahmen einzuleiten (sofern nicht der Vertrag selbst spezielle Vorschriften über die Normendurchsetzung enthält, self-contained regimes). Diesen Gegenmaßnahmen gegenüber kann sich der betroffene Staat nicht darauf berufen, es läge eine Einmischung in innere Angelegenheiten (→ Interventionsverbot) vor. Eine andere Frage ist freilich, mit welchen Mitteln interveniert werden kann. Wirkt eine Norm hingegen nicht erga omnes, kann die mit ihr verbundenen Rechte nur ein Staat geltend machen, der in eigenen Interessen berührt ist. Im Falle des → diplomatischen Schutzes etwa ist dies ein Staat nur dann, wenn er den Schutz gerade für einen eigenen Staatsbürger beansprucht. Wird die Verletzung einer erga omnes-Norm gerichtlich geltend gemacht, kann der erga omnes-Charakter allerdings nicht das Fehlen der Einwilligung des Verletzerstaates in die Jurisdiktion des Gerichts ersetzen (so der IGH in dem Urteil Ost-Timor, a.a.O.).

      Verträge zu Lasten Dritter sind unzulässig (Art. 34 WVRK; Sart. II, Nr. 320). Verträge wirken nur inter partes, nicht erga omnes im Sinne von „zu Lasten aller“. Diese Grundregel kennt nur scheinbar Ausnahmen. So wirken die Normen des ius cogens nicht nur erga omnes in dem Sinne, dass ihre Verletzung von allen Staaten geltend gemacht werden kann. Sie binden auch alle Staaten und sonstigen Völkerrechtssubjekte. Diese Wirkung haben die Normen des → ius cogens aber nicht deshalb, weil sie zwingenden Charakter haben, sondern umgekehrt setzt die Entstehung von ius cogens voraus, dass die jeweilige Norm als Vertrags- oder Gewohnheitsrecht alle Staaten bindet, vgl. Art. 53 WVRK. Ähnliches gilt für sog. Statusverträge, d. h. Verträge, die den Status eines bestimmten Gebiets verbindlich regeln sollen (Beispiel: internationaler Status des Suez-Kanals). Über die Vertragsparteien hinaus kann diesen Verträgen eine – gewohnheitsrechtliche – Bindungskraft für all diejenigen zugesprochen werden, die nicht ausdrücklich widersprechen (acquiescence, → Völkergewohnheitsrecht). Nur in diesem eingeschränkten Sinne lässt sich dann von einer erga omnes-Verpflichtung sprechen. Ähnliches gilt schließlich auch für die Völkerrechtssubjektivität von → Staaten und → Internationalen Organisationen. Ist ein Staat von einigen Staaten als solcher anerkannt worden oder ist eine Internationale Organisation von einigen Staaten ins Leben gerufen worden, so besteht die damit je verbundene Rechtssubjektivität nicht in dem Sinne erga omnes, dass die nicht beteiligten Staaten diese gegen sich gelten lassen müssten, sondern nur im Verhältnis des anerkennenden Staates zum anerkannten Staat bzw. im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Internationalen Organisation untereinander.

      Das Konzept der erga omnes-Pflichten ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis


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