Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten. Petra Herczeg
Читать онлайн книгу.über die Probleme des Erkennens und der Wissenschaft, der uns als Hintergrundfolie dient“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 39–40).
Dennoch ist einer der wissenschaftstheoretischen Zugänge, der sich in der Kommunikationswissenschaft vor allem etabliert hat, der Kritische Rationalismus. „Theorien dürfen im Kritischen Rationalismus durchaus spekulativ sein, aber sie müssen sich an der empirischen Wirklichkeit messen lassen und dürfen nicht einfach ohne methodisch systematische Empirie diskutiert werden, sollen sie einen wissenschaftlichen Wert haben und über ihren spekulativen Charakter hinausweisen (vgl. Popper, 1995, S. 120)“ (Scholl, 2016, S. 92). Der Kritische Rationalismus ist der Rationalität verpflichtet und die vorläufige Bewährung oder Falsifikation von theoriegeleiteten Annahmen ist durch die Methode bedingt. Karl Popper gilt als Begründer des Kritischen Rationalismus, der von dem Modell des Falsifikationismus ausgeht. Dieses Modell besagt, dass es nicht um eine „kontinuierliche Anhäufung von Tatsachen und Gesetzen [geht], sondern durch die [35] Ersetzung schlechter Hypothesen durch bessere nähern wir uns nach Poppers ‚Logik der Forschung‘ der Wahrheit“ (Fischer, 1995, S. 232) an.
Poppers Logik der Forschung (1973) zählt zu den wichtigsten wissenschaftstheoretischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts. Der Kritische Rationalismus lässt sich als eine Philosophie beschreiben, „die das menschliche Mitwissen betont, die Fehlbarkeit in der menschlichen Erkenntnis. […] Er [Popper] sah es als das Ziel der Wissenschaft an, zu immer besseren Theorien zu gelangen, die der Wahrheit immer näher kommen, die immer zutreffendere Darstellungen der objektiven Realität geben.“ (Gadenne, 2013, S. 125) Das Kernstück des Kritischen Rationalismus ist die Konzeption der Kritik. Ausgangspunkt jeglicher Forschung ist die problemorientierte Erkenntnissuche.
Wissenschaft ist die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. Theorien sind dabei „das Netz, das wir auswerfen, um ‚die Welt‘ einzufangen“ (Popper, 1973, S. 31). Um Theorien empirisch überprüfen zu können, müssen diese in Hypothesen bzw. Gesetzesaussagen formuliert werden. Allaussagen können nach Popper nie verifiziert werden. Und Poser präzisiert: „Nicht nach Wahrheitsbeweisen ist in den Erfahrungswissenschaften zu suchen, denn diese sind dort grundsätzlich unmöglich; vielmehr müssen sogenannte Naturgesetze ausschließlich als Hypothesen betrachtet werden, die so lange beibehalten werden, als sie nicht falsifiziert sind.“ (Poser, 2001, S. 120)
Um das Gegenteil zu beweisen, ist ein einziges Beispiel ausreichend. Das dabei in der Literatur zitierte Lieblingsbeispiel ist das Schwanenbeispiel. Wenn die Hypothese lautet: „Alle Schwäne sind weiß“, dann bedeutet dies, dass es logisch ist, dass es keine nicht-weißen Schwäne gibt. Jedoch gibt es in Australien schwarze Schwäne, sodass die Hypothese, dass alle Schwäne weiß sind, falsifiziert ist. Falsifizierbarkeit kann damit als „Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft und Spekulation“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 71) benannt werden. Auch sind Entwicklungen nur dann möglich, wenn es nie absolute Gewissheit gibt – diese Annahme gehört zur Lehre des Fallibilismus. Nach Popper ist Erkenntnisfortschritt immer erst aus Versuch und Irrtum möglich. Wissen ist immer Vermutungswissen. Dabei geht Popper nicht von einem naiven Falsifikationismus aus, denn die falsifizierenden Befunde müssen methodisch gesichert sein, so etwa durch wiederholte Experimente oder durch die Kontrolle von möglichen Fehlerquellen (vgl. Gadenne, 2013, S. 135). Das Ziel eines jeden Wissenschaftlers sollte es laut Poppers Logik der Forschung sein, dass unablässig nach der Wahrheit gesucht wird (vgl. Popper, 1973). [36]
3.5.3Die kommunikationswissenschaftliche Fachgeschichte
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Kommunikationswissenschaft in den USA „unter den Titeln: Communications, Communication Science, Study of Communication, seltener Communicology“ (Rühl, 2008, S. 13). Rühl zitiert in seinen Ausführungen dann Lasswell, der im Rahmen einer Festrede 1958 festhielt: „No change in the academic world has been more characteristic of the age than the discovery of communication as a field of research, teaching, and professional employment.“ (Lasswell, 1958, S. 245, zit. nach Rühl, 2008, S. 13) Dies zeigt bereits, welche Bedeutung dem Fach Kommunikationswissenschaft zugekommen ist.
An der Universität Erlangen-Nürnberg wurde 1964 der kommunikationswissenschaftliche Lehr- und Forschungsbetrieb aufgenommen. In ihrer Analyse der ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg kommen Meyen & Löblich zu dem Schluss, dass sich die Zeitungsbzw. Publizistikwissenschaft damals in einer Krise befunden habe (vgl. Meyen & Löblich, 2006).
Sie resümieren: „Die sozialwissenschaftlichen Ansätze, die am Ende der Weimarer Republik von zumeist jüngeren Forschern entwickelt worden waren, sind durch Emigration und durch die Annäherung der akademischen Disziplin Zeitungswissenschaft an die Propagandalehren der Nationalsozialisten verloren gegangen.“ (Meyen & Löblich, 2006, S. 10) Es wird deutlich, dass es eine kontinuierliche Entwicklung des Faches nicht gegeben hat.
Wie die Kommunikationswissenschaft als Fach begriffen werden kann, dazu gibt es divergierende Zugänge und kontroversielle Befunde. 1980 verweist Maletzke auf die historisch-hermeneutische, geisteswissenschaftliche Verortung der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Als bei näherer Betrachtung brüchig beschreiben Steininger & Hummel (2015) in Anlehnung an Maletzke die Beschaffenheit des Bodens der Kommunikationswissenschaft. Und sie zitieren dabei u. a. Schweiger et al. (2009), die konstatieren, dass die Selbstverständnisdebatten im Fach kontrovers geführt werden. Primär geht es um „die Begrifflichkeiten Sozialwissenschaft, Interdisziplinarität, Integrationswissenschaft und Unüberschaubarkeit der Disziplinen“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 5), wenn es um das Ringen um eine Fachidentität geht. Einerseits wird die Kommunikationswissenschaft als „interdisziplinär angelegtes Integrationsfach“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 6) beschrieben, Hepp sieht in dieser Definition allerdings eher eine „Proklamationsethik“, da aus seiner Sicht die Kommunikationswissenschaft kontinuierlich an einer eigenständigen und transdisziplinär ausgerichteten [37] Theoretisierung arbeiten müsste (vgl. Hepp, 2005, S. 6, zit. nach Steininger & Hummel, 2015, S. 6). Um die Entwicklung des Faches zu verstehen, ist es notwendig sich mit seiner Geschichte zu befassen. Wobei Fachgeschichte dabei weder eine Art Weltgericht ist noch bestimmte Rezepte vorzugeben hat. „Vielmehr soll sie das Reflexionsniveau hoch ansetzen, um die Grundlagen der fachlichen Tätigkeit angemessen in historischer Perspektive zu erörtern.“ (Bohrmann, 2005, S. 179)
Für die Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte können aktuell unterschiedliche Initiativen beobachtet werden, wie Averbeck-Lietz & Löblich (2017) in ihrem Sammelband über Kommunikationswissenschaft im internationalen Vergleich schreiben. Das Interesse für die institutionelle Absicherung des Faches ist gestiegen, sowohl auf Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) als auch auf europäischer und internationaler Ebene werden dafür unterschiedliche Aktivitäten unternommen. „Diese Geschichtsschreibung erfolgt bisher allerdings weitgehend unsystematisch, aufgehängt an oft eher zufällig rekrutierten Einzelstudien und bei knappen Ressourcen – was indes miteinander zusammenhängt“ (Averbeck-Lietz & Löblich, 2017, S. 3). Um kurz darauf zu verweisen, was es bedeutet, die unterschiedlichen kommunikationswissenschaftlichen Traditionen miteinander zu vergleichen, soll zur Illustration ein Überblick über Modelle kommunikationswissenschaftlicher Forschung gegeben werden:
•„German Model“: publizistikwissenschaftlich –
politische Kommunikation
•„French Model“: semiotisch-linguistisch –
Mediensemiotik und -kultur, interpersonale Kommunikation
•„British Model“: kulturwissenschaftlich –
Medienaneignungsprozesse
•„Euro-American Model“: sozialwissenschaftlich-interdisziplinär, integrative Forschungsgegenstände
(vgl. Averbeck-Lietz & Löblich, 2017, S. 13)
Diese Übersicht verdeutlicht die unterschiedlichen internationalen Wissenschaftskulturen sehr gut und wie diese die jeweiligen kommunikationswissenschaftlichen Ausrichtungen geprägt haben. Über alle unterschiedlichen kommunikationswissenschaftlichen Fokussierungen hinweg kann als gemeinsamer Nenner die