Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart


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sind, gelten übrigens als semiöffentlich, „weil der Zugang vom Eigentümer nach Gutdünken reguliert oder verweigert werden kann“ (ebd.).

      Nicht übersehen werden sollte außerdem die ökonomische Funktionalität solcher semiprivaten und semiöffentlichen Kommunikationsplattformen (ebd.: 264): Während das Geschäftsmodell der traditionellen Massenmedien darin besteht, die Aufmerksamkeit des Publikums über Werbeeinschaltungen zu verkaufen (vgl. dazu Kap. 7.9.3), erwirtschaften die semiprivaten und semiöffentlichen Plattformen im Netz ihren Profit damit, dass sie die Aufmerksamkeitswerte sowie das Kommunikations- und Konsumverhalten der User·innen weiterverkaufen (weiterführend dazu Kap. 7.8.1).

      Makroperspektivisch stellen alle diese kommunikationstechnischen Innovationen einen gewaltigen Entwicklungsschub für die öffentliche Kommunikation dar, der von seiner Nachhaltigkeit her bereits mit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg im 15. Jhdt. verglichen wurde (Ludwig 1999).

      Dem aktuellen (technischen) Quantensprung wird sogar noch größere Bedeutung attestiert: Hatte die Drucktechnologie für die öffentliche Kommunikation zunächst v. a. Rezipient·innen produziert, so macht es die Internet-Technologie „dem aktiven Rezipienten sogar möglich, in die Rolle des aktiven Kommunikators zu wechseln, der sich unmittelbar in gesellschaftliche Veränderungen einklinken kann“ (ebd.: 364). Man kann also durchaus von einer kommunikativen Revolution (weiterführend dazu Kap. 7.8) sprechen.

      Derart hochgeschraubte Überlegungen sind übrigens nicht neu: Ab den 1970er Jahren waren es die technischen Errungenschaften von Videokassette, Bildschirmtext und Kabelfernsehen, denen man ebenfalls als „neue Medien“ euphorisch begegnete (vgl. Schrape 2012). Was die neuere Entwicklung digitaler Öffentlichkeiten (Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015) betrifft, so verweist Schrape (2015: 199 f.) beispielsweise auf Gillmor (2004: 270), der die „Substitution massenmedialer Strukturen durch nutzerzentrierte Austauschprozesse“ prognostizierte. Er erinnert an Rheingold (2002), der die Diskussion um die Entwicklung einer kollektiven Intelligenz durch das Internet (= die Idee von der Weisheit der Vielen) wiederbelebte26 und an Castells (2001), der mit seinem Konzept einer „Netzwerkgesellschaft“ an die allgemeine Demokratisierung gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse glaubte (= die Macht der Ströme erhalte Vorrang vor den Strömen der Macht). Mit der modernen „Multimedia-Informationsgesellschaft“ (Ludes/Werner 1997: 7) sah man einen neuen Gesellschaftstyp heraufdämmern und stimmte zugleich den Abgesang auf die Massenkommunikation an: „… das ganze vertraute Paradigma ‚Massemedien’ bricht zusammen“ (Berghaus 1997: 83).

      Die Entwicklung der digitalen öffentlichen Kommunikation verläuft allerdings weder geradlinig noch eindeutig und daher mitunter anders, als die euphorischen Erwartungen suggerierten. Neuberger (2008) schält konkret drei „Öffentlichkeitsparadoxien im Internet“ (ebd.: 49 ff.)27 heraus:

      •Die Quantitäts- und Aufmerksamkeitsparadoxie

      Durch das Internet ist eine bislang unvorstellbare Informationsmenge im Prinzip für alle verfügbar. Allerdings sind die meisten Menschen in der Regel weder zeitlich noch von ihrer sachlichen Kompetenz her in der Lage, dieser Vielzahl an Informationsquellen (Breunig/Hofsümmer/Schröter 2014: 136) entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen. Dazu kommt, dass bei einer allfälligen Recherche im Netz (meist via Google) die starken Marken (wie Adidas, VW, Coca Cola) und die dominanten Medienakteure (wie Zeit, Bild, Spiegel, FAZ) bevorzugt erscheinen, weil deren Kommunikationsabteilungen via Suchmaschinenoptimierung dafür gesorgt haben, dass sie „von vornherein für den Aufmerksamkeitskampf gerüstet sind“ (Kirchhoff 2015: 35). Parallel dazu schwindet daher auch für die meisten der (weniger prominenten) Kommunikator·innen im Internet „die Wahrscheinlichkeit, Aufmerksamkeit und Resonanz in Form von Anschlusskommunikation zu erzielen“ (Neuberger 2008: 51) – wie etwa Daten aus der Blogosphäre zeigen: Während einige wenige Weblogs hohe Reichweiten erzielen, wird die überwiegende Mehrheit der Blogger·innen kaum wahrgenommen (vgl. etwa Anderson 2007, Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007: 108).

      •Die Qualitäts- und Glaubwürdigkeitsparadoxie

      Das quantitative Wachstum von Informationsangeboten im Netz hat auch qualitative Auswirkungen. Es herrscht (häufig wohl zu Recht) „Unsicherheit über die Qualität der Angebote“ (Neuberger 2008: 52). Bei vielen Online-Quellen existiert überdies „keine flächendeckende Qualitätssicherung durch eine Redaktion“ (ebd.), wie sie für Presse und Rundfunk unterstellt werden kann. In der traditionellen Massenkommunikation war bzw. ist die Zahl der Anbieter·innen dagegen relativ überschaubar, man kennt außerdem viele Quellen bzw. Medien schon über einen längeren Zeitraum hinweg als vertrauenswürdige Marken. Deshalb profitieren die Online-Auftritte traditioneller Massenmedien auch vom Markentransfer und der Glaubwürdigkeit des Mediums (experimentell dazu: Schweiger 1998). Allerdings scheint der Konkurrenzdruck im Netz dazu beizutragen, dass sich parallel dazu auch in den Onlineauftritten der traditionellen publizistischen Medien die Bereitschaft zu verdeckter (Schleich-)Werbung erhöht. Gerade im Internet verschwimmt die Grenze zwischen Werbung, PR und Journalismus (vgl. Neuberger 2002: 36 ff.) – was im Zweifelsfall neuerlich Glaubwürdigkeitsverluste provoziert.

      •Die Vermittlungsparadoxie

      Wenn Informationen (prinzipiell) für alle verfügbar sind, dann scheint auf den ersten Blick die professionelle Vermittlungsleistung der Journalist·innen (in ihrer Rolle als Gatekeeper28) obsolet zu werden. Doch die Vermittler·innen werden keineswegs überflüssig. Schon seit Langem (vgl. Weischenberg 1985) ist klar, dass sich dann das Problem der Zugänglichkeit in besonderem Maße stellt: In einer arbeitsteiligen Gesellschaft benötigen wir kompetente Kommunikator·innen, die uns die zunächst unzusammenhängenden Daten angemessen erschließen, entsprechend aufbereiten und präsentieren und damit erst Information in Wissen umwandeln (ebd.: 191). Zu Recht wurde auch vor der Illusion des „hyperaktiven“ Publikums gewarnt (Schönbach 1997), das sich lieber passiv unterhalten und auch informieren lässt. Eine der neuen Herausforderungen für die professionellen Kommunikator·innen könnte nach Neuberger (2008: 55) „in der Orientierung über das unübersichtliche Internet“ bestehen,29 Journalist·innen könnten sich (unter Nutzer·innenbeteiligung) als Moderator·innen öffentlicher Kommunikation im Internet betätigen und so den Zugang der Nutzer·innen zur Öffentlichkeit unterstützen (vgl. ebd. sowie Neuberger 2006).

      Die angesprochenen Paradoxien weisen auf die Fragwürdigkeit vorschneller Verallgemeinerungen über die Veränderungen der öffentlichen Kommunikation durch das Internet hin. Man hat es also (wohl wenig überraschend) mit einem ambivalenten Entwicklungsschub zu tun, der von den genannten kommunikationstechnischen Innovationen ausgeht. Eine Ambivalenz, bei der man nach Donges/Jarren (2017: 91 ff.), insbesondere mit Blick auf die politische Kommunikation, eine enthusiastische und eine skeptische Position ausmachen kann.

      –Für die Enthusiasten ist der Einfluss (der internetbasierten kommunikationstechnischen Innovationen) auf die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse stark und positiv. Die Bürger·innen würden nicht nur untereinander mehr kommunizieren als bisher, es ist auch vom „direkten Draht“ zwischen Bevölkerung und Politik die Rede, durch den die Kommunikation einfacher geworden wäre. Außerdem würden soziale, zeitliche und räumliche Barrieren, die bislang viele Menschen von einer Teilnahme am politischen Geschehen abgehalten hätten, nun fallen. In ihrer radikal plebiszitären Variante gehen die Enthusiasten davon aus, dass die vermehrte Kommunikation zu einer elektronischen Öffentlichkeit führt, die auch das jeweilige politische System verändert. Auf einem „elektronischen Marktplatz“ könne man Meinungen austauschen und sich schließlich als Willen aller in den politischen Prozess einbringen. In der gemäßigt deliberativen Variante wollen die Enthusiasten mit einer elektronischen Öffentlichkeit wenigstens die Partizipation erhöhen und damit das politische System insgesamt stärken.

      –Demgegenüber sind die Skeptiker davon überzeugt, dass die Barrieren zwischen den Bürger·innen und der politischen Öffentlichkeit soziale und nicht technische sind. Es gehe v. a. um ein begrenztes Zeitbudget,


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