Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart


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ist derjenige Bereich gemeint, in dem Menschen ihren natürlichen Affekten (v. a. innerhalb der familiären Intimsphäre) „und ihren privaten Geschäften (Markt) nachgehen“ (Imhof 2003: 193). Private, vertrauliche oder geheime Aktivitäten geschehen abgeschirmt „gegenüber Beobachtung oder Kenntnis von Unbefugten“ (Peters 1994: 44) und gelten als legitim (wie z. B. das Brief- oder das Geschäftsgeheimnis). Sogar in modernen Demokratien, die vielfach auf Transparenz setzen, werden Ausnahmen (wie Staatsgeheimnisse oder Beratungen hinter verschlossenen Türen) weithin anerkannt (ebd.).

      Öffentlich nennen wir dagegen Plätze, Häuser oder „Veranstaltungen, wenn sie, im Gegensatz zu geschlossenen Gesellschaften, allen zugänglich sind“ (Habermas 1990: 54). Diese Zugänglichkeit impliziert Situationen, in denen man auch mit „der grundsätzlichen Beobachtbarkeit von allem durch alle“ (Merten 1999: 217) rechnen muss – eben „im Sinne von nicht mehr geheim“ (ebd.: 219). Als öffentlich gilt schon seit jeher das, was „der Wahrnehmung jedes Menschen zugänglich“ (Pöttker 2010: 110) ist.

      Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive kann man unter Öffentlichkeit „ein offenes Kommunikationsforum für alle, die etwas sagen oder das, was andere sagen, hören wollen“ (Neidhardt 1994: 7) verstehen. Im deutschen Sprachraum ist die Bedeutung des Begriffs Öffentlichkeit eng mit der Rede-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit verbunden, wie sie vom liberalen Bürgertum des 18. Jahrhunderts als Prinzip gegenüber dem absolutistischen Staat angestrebt wurde (Donges/Jarren 2017: 75). In einer Zeit, als das (vom jeweiligen Monarchen) zu gewährende Druck-Privileg und die Zensur repressive Instrumente absolutistischer Kommunikationspolitik waren (ausführlich dazu: Duchkowitsch 2014)12.

      Öffentlichkeit „lässt sich am ehesten als ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen“ (Habermas 1992: 436) beschreiben, deren politische Funktion darin besteht, „gesamtgesellschaftliche Probleme wahrzunehmen und zu thematisieren“(ebd.: 441). Kennzeichnend für die politische Öffentlichkeit in modernen, demokratisch organisierten Gesellschaften ist eine Vielzahl an Kommunikationsforen mit prinzipiell offenem Zugang (d. h. ohne Bedingungen einer Mitgliedschaft), in denen sich verschiedene Akteure vor einem breiten Publikum zu verschiedenen politischen Themen äußern können (Gerhards 2002: 694).

      Formal betrachtet, entsteht Öffentlichkeit „dort, wo ein Sprecher vor einem Publikum kommuniziert, dessen Grenzen er nicht bestimmen kann“ (Neidhardt 1994: 10). In den modernen Mediengesellschaften (Saxer 2012a) gilt dies in erster Linie für die Kommunikation via Massenmedien, die gleichsam einen allgemein zugänglichen (virtuellen) öffentlichen Raum herstellen, in dem sich verschiedene Gruppen um die Aufmerksamkeit der Bürger bemühen. Mit Blick auf Politik und Wirtschaft geht es freilich auch um die Beeinflussung des Wahl- sowie des Kaufverhaltens.

      Der Soziologe Friedhelm Neidhardt (1994) hat gegen Ende des 20. Jhdts. eine vielzitierte Definition formuliert, die etwas später im Team (zwecks empirischer Umsetzung) zwar elaborierter, aber dennoch um wesentliche Aspekte verkürzt, publiziert worden ist (Gerhards/Neidhardt/Rucht 1998). Deshalb seien hier beide Versionen wiedergegeben:

      Version1:

      „Moderne Öffentlichkeit ist ein relativ frei zugängliches Kommunikationsfeld, in dem ‚Sprecher’ mit bestimmten Thematisierungs- und Überzeugungstechniken versuchen, über die Vermittlung von ‚Kommunikateuren’ bei einem ‚Publikum’ Aufmerksamkeit und Zustimmung für bestimmte Themen und Meinungen zu finden“ (Neidhardt 1994:7).

      Version 2:

      „Öffentlichkeit ist ein im Prinzip frei zugängliches Kommunikationsforum, für alle, die etwas mitteilen, oder das, was andere mitteilen, wahrnehmen wollen. In den Arenen dieses Forums befinden sich die Öffentlichkeitsakteure, die zu bestimmten Themen Meinungen von sich geben oder weitertragen: einerseits das Ensemble der Sprecher (z. B. Politiker, Experten, Intellektuelle, der ‚Mann auf der Straße‘ als ‚Augenzeuge‘), andererseits die Medien (also vor allem die Journalist·innen). Auf der Galerie des Öffentlichkeitsforums versammelt sich eine mehr oder weniger große Zahl von Beobachtern: das Publikum (Zuschauer, Hörer, Leser)“ (Gerhards/Neidhardt/Rucht 1998: 38).

      Was an diesen Definitionen bzw. an diesem Verständnis von Öffentlichkeit wichtig ist:

      •Zunächst, dass reale Öffentlichkeit nur als relativ frei oder als im Prinzip frei zugänglicher Kommunikationsraum begriffen werden kann. Abseits der idealtypischen normativen Vorstellung von Öffentlichkeit (vgl. Peters 1994) als einer für alle zugänglichen Sphäre, verfügen in konkreten Situationen aus verschiedenen (materiellen, physischen, psychischen, sozialen oder temporären) Gründen naturgemäß niemals wirklich „alle Individuen“ (auch nicht alle, die vom jeweiligen Thema betroffen sind) über die gleichen Teilnahmechancen. Heute wird mit dem Begriff „Öffentlichkeit“ daher in der Regel ein bestimmter Kreis von Personen gemeint, „die Zugang zu Informationen haben, über die sie ohne (oder nur unter geringen) Beschränkungen miteinander kommunizieren können“ (Pöttker 2013: 252).

      •Außerdem wird deutlich, dass Öffentlichkeit in der Regel nicht zufällig, sondern anlassbezogen entsteht. Sie wird vielfach unter „Konkurrenzdruck“ (Neidhardt 1994: 17) von verschiedenen Akteuren regelrecht hergestellt. Diese Akteure verfolgen jeweils spezifische Interessen: Sie wollen Aufmerksamkeit für ihre Themen erzeugen, eventuell auch Zustimmung für ihre Meinungen finden und versuchen daher, ihre Beiträge an ein großes Publikum zu vermitteln (vgl. ebd.).

      •Sodann weist die Definition darauf hin, dass sich im Kommunikationssystem Öffentlichkeit unterschiedliche Akteursgruppen herausbilden. Es kommt demnach zu einer Rollenverteilung:13 sogenannte Sprecher·innen und Hörer·innen (in ihrer Vielzahl: das Publikum) sowie – gleichsam als Bindeglied zwischen Sprecher·innen und Publikum – die Vermittler (Kommunikateure) in Gestalt von professionellen Journalist·innen, die in den Redaktionen von Massenmedien arbeiten.

      Sprecher·innen können in verschiedenen Rollen auftreten (Donges/Jarren, 2017: 86 ff., Peters 1994: 57 ff., Pfetsch/Bossert 2013): Als Repräsentant·innen sozialer Gruppierungen (Interessenverbände, politische Parteien oder andere Organisationen sowie Betroffene/Involvierte), als Expert·innen (Spezialist·innen aus diversen Professionen oder Wissenschaften), als Advokat·innen (die anstelle von Betroffenen deren Situation artikulieren) als öffentliche Intellektuelle (wie Literat·innen, Künstler·innen oder Wissenschaftler·innen), die sich kraft ihrer Reputation als „Zeitdeuter“ (Peters 1994: 58) äußern oder auch als Kommentator·innen (z. B. Journalist·innen, die nicht bloß berichten, sondern auch Meinungen äußern).

      Der schon seinerzeit diagnostizierte Trend in der Politik, wonach „die etablierten Sprecher ihre ‚Public Relations’ professionalisieren und damit zu eigenständigen Öffentlichkeitsgrößen werden“ (Neidhardt 1994: 36) hat sich inzwischen im Rahmen einer umfassenden Kommunifizierung (Langenbucher 1983, Plasser 1985, Vowe/Opitz 2006) und Medialisierung (Donges 2008, Marcinkowski/Steiner 2010, Saxer 2012a: 25 ff., Schulz 2011: 30 ff.)14 nicht nur der Politik, sondern in praktisch allen Bereichen unserer Gesellschaft weitgehend etabliert.15

      Als Vermittler·innen oder Kommunikateur·innen gelten sodann Journalist·innen, die innerhalb professioneller Medienorganisationen „auf Basis eines redaktionellen und publizistischen Programms“ (Donges/Jarren 2017: 87) tätig sind. Sie haben Kontakt zu den jeweiligen Sprecher·innen, holen Informationen ein, greifen Themen auf und kommentieren diese.

      •Was schließlich die Hörer·innen und somit das Publikum als Adressaten der Botschaften betrifft, so hat man es hier vorwiegend mit Laien zu tun, bei denen für die meisten Themen sowohl die Aufmerksamkeit, als auch das Interesse zunächst einmal zu wecken ist. Die Sprecher·innen benötigen daher Thematisierungsstrategien, „um Aufmerksamkeit für bestimmte Themen zu erzielen und damit ein Publikum für diese Themen überhaupt erst zu konstituieren“ (Neidhardt 1994: 18) und sie benötigen Überzeugungsstrategien, „um Meinungen zu den Themen durchzusetzen, die auf der Agenda der Öffentlichkeit verhandelt werden“ (ebd.).

      •Gut


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