Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart


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Trendanalyse (die Mediennutzungsdaten seit 1964 verwendete) deutete damals schon darauf hin, dass sich dieser Trend auch in Deutschland auszubreiten begann.

      Diese Entwicklung hat sich mittlerweile vollzogen.1 Man könnte also argumentieren, Zielgruppenkommunikation wäre der angemessene Nachfolge-Terminus für Massenkommunikation, letzterer sollte daher aus der Fachsprache eliminiert werden.

      Ich halte das allerdings für wenig sinnvoll. Abgesehen davon, dass die Bezeichnung Massenkommunikation bis in die Alltagssprache hinein gebräuchlich ist und wohl nur schwer durch ein anderes Wort ersetzt werden kann, gibt es weitaus gewichtigere inhaltliche Gründe, die dagegen sprechen, den Terminus Massenkommunikation auf die begriffliche Müllhalde zu verbannen. Die beiden Wortbestandteile verweisen nämlich auf strukturelle Grundmuster eines Prozesses, der keineswegs als überholt zu begreifen ist – wenn man ihn nur angemessen interpretiert. Auf dieser Grundlage sowie unter Bezugnahme auf aktuelle empirische Daten lässt sich nämlich begründet vermuten, dass das, was Massenkommunikation im Kern meint, entgegen manch vorschneller (Fehl-)Diagnosen wohl noch lange nicht verschwinden wird.

      Doch der Reihe nach: Zunächst muss es darum gehen, den „klassischen“ Begriff der Massenkommunikation überhaupt zu verstehen, der für die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts so charakteristisch war, wie kaum ein anderer.

      Der angloamerikanische Terminus mass communication taucht erstmals Ende der 1920er Jahre in den USA auf.2 Mit mass communication war übrigens seinerzeit immer ausdrücklich der Rundfunk gemeint, „weil Rundfunk als Instrument individueller drahtloser Kommunikation im Schiffsverkehr, in der Wirtschaft und beim Militär eingeführt wurde. Aus der Radiotelegraphie wurde dann ‚broadcasting’“ (Vowe 2013: 18). Weitere Bekanntheit erlangte der Begriff sodann ein Jahrzehnt später, als in den Jahren 1939/40 einschlägig interessierte Wissenschaftler zu regelmäßigen Sitzungen des sogenannten „Rockefeller Communication Seminar“ in New York zusammenkamen: Im monatlichen „Letter of Invitation“ war stets von mass communication die Rede (Rogers 1994: 222).

      Rühl (2008: 173) vermutet also zu Recht, dass man „den Terminus mass communication ohne Beziehungen zu einem vorab konsentierten Kommunikationsverständnis“ eingeführt hat. Er ist daher als ein ursprünglich theoretisch völlig unbedarfter Begriff einzustufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wortkombination dann „in zahlreiche Sprachen übersetzt“ (ebd.). Der Terminus Massenkommunikation ist somit die mehr oder weniger unreflektierte Eindeutschung des angloamerikanischen mass communication. Von seiner Etymologie her schleppt der Begriff deshalb nichts von dem abendländischen Ballast mit, den die beiden Wortbestandteile in den Sprachräumen des europäischen Kontinents implizieren. Genau darin liegt jedoch eine nicht unwesentliche Ursache für Missverständnisse, die diese Bezeichnung bisweilen auszulösen imstande war und ist.

      So hatte der Wortbestandteil Masse seinerzeit die Vorstellung wachgerufen, man könne die Rezipient·innen massenmedial verbreiteter Aussagen mit einer Masse gleichsetzen, wie sie etwa der französische Arzt Gustave Le Bon (1895) kulturpessimistisch-pejorativ als soziales Aggregat beschrieben hat, das sich auf niedrigem intellektuellem Niveau nach einem (Ver-)Führer sehnt. Man assoziierte kulturkritische Begriffe wie „Massenmensch“, „Vermassung“ oder „Massengesellschaft“, die von den Apologeten der späteren Massenpsychologie in der Nachfolge Ortega y Gassets (1930) vertreten wurden. Auch in den USA hatte Ende der 1920er Jahre übrigens der Begriff mass society Konjunktur: Mit dieser Massengesellschaft verband man die „oft unbesehen übernommene Behauptung, mit fortschreitender Industrialisierung weise die große Majorität der Menschen – der dann eine kleine ‚Elite’ gegenübersteht – bestimmte Veränderungen auf, die schließlich zum ‚Massenmenschen’ im ‚Massenzeitalter’ führen“ (Maletzke 1963: 25).

      Der semantische Kern dieser Massengesellschaft war die Vorstellung einer Gleichförmigkeit der Menschen in ihren Wahrnehmungen, Einstellungen, Motiven und Verhaltensweisen (Vowe 2013: 20 ff.). Als charakteristisch für diesen Massenmenschen galten seine Persönlichkeitsverarmung, die Nivellierung seiner Denkweise, seines Geschmacks und Lebensstils sowie das Schwinden von persönlicher Selbständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Initiative. All dies hätte letztlich zu einer Massengesellschaft geführt, in der die – durch massenmedial verbreitete Propaganda bzw. Werbung gesteuerte – öffentliche Meinung das Denken und Handeln des Einzelnen bestimmt (Maletzke 1963: 26). Obwohl die „Massenpsychologie wissenschaftlich bereits abgewirtschaftet hatte“ (Rühl 2008: 174), wirkte die Idee von der Massengesellschaft jahrzehntelang in die (Massen-)Kommunikationswissenschaft hinein (Vowe 2013: 23). Vowe sieht die bis heute anzutreffende „Vorstellung von universalen, linearen, starken Wirkungen medialer Impulse“ (ebd.) diesem Massenparadigma geschuldet.

      Der Wortbestandteil Masse im Terminus Massenkommunikation will allerdings weder massenpsychologische noch kulturkritische Assoziationen wecken. Gemeint war (und ist) damit lediglich, dass man sich mit den zu vermittelnden Aussagen an eine Vielzahl von Menschen richten kann (Schulz 1971: 93), die sich für die jeweiligen Kommunikator·innen – wie es Wright (1963: 11 ff.) seinerzeit auf den Punkt brachte – als unüberschaubar, heterogen und anonym darstellt:

      –Unüberschaubar, weil sie zahlenmäßig über eine Größe verfügt, die eine direkte Interaktion (von Angesicht zu Angesicht) zwischen Kommunikator·innen und Rezipient·innen unmöglich macht,

      –heterogen, weil diese Menschen eine Vielzahl sozialer Positionen bekleiden und den Aussagen daher aus verschiedenen Rollen heraus (d. h. mit unterschiedlichen Erwartungen) Aufmerksamkeit schenken. Und schließlich

      –anonym, weil die konkreten Personen, die sich den Aussagen zuwenden, den jeweiligen Kommunikator·innen unbekannt sind.

      Hat man also die Gesamtheit jener Menschen im Auge, die man via Massenkommunikation erreicht, so scheint es in der Tat angemessener zu sein, anstatt von „Masse“ hier (mit Gerhard Maletzke 1963: 28 f.) von einem Publikum zu sprechen. Dabei denkt man zunächst wahrscheinlich an ein Präsenzpublikum: Es entsteht, wenn Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort anwesend (präsent) sind und eine Aussage oder Darbietung auf sich einwirken lassen (wie z. B. ein Theaterstück, einen Vortrag, ein Konzert, eine Kundgebung etc.). Maletzke führte deshalb den Terminus disperses Publikum ein und fokussiert damit auf Individuen, aber auch kleine Gruppen, deren verbindendes Charakteristikum v. a. darin besteht, dass sie sich Aussagen der Massenmedien zuwenden.

      Disperse Publika sind keine überdauernden, sondern flüchtige soziale Gebilde, sie entstehen immer nur „von Fall zu Fall dadurch, dass sich eine Anzahl von Menschen einer Aussage der Massenkommunikation zuwendet“ (Maletzke 1963: 28). Zwischen den Mitgliedern eines derartigen dispersen Publikums existieren in der Regel keine direkten zwischenmenschlichen Beziehungen, denn üblicherweise sind die Rezipient·innen (oder Rezipient·innen-Gruppen) räumlich voneinander getrennt, gegenseitig anonym und wissen lediglich, dass außer ihnen noch zahlreiche andere Menschen dieselbe Aussage aufnehmen (ebd.: 29).

      Schließlich sind disperse Publika noch vielschichtig inhomogen, d. h., sie umfassen Personen, die aus verschiedenen sozialen Schichten stammen, deren Interessen, Einstellungen, deren Lebens- und Erlebensweise oft sehr weit voneinander abweichen, überdies sind sie unstrukturiert und unorganisiert: Ein disperses Publikum „weist keine Rollenspezialisierung auf und hat keine Sitte und Tradition, keine Verhaltensregeln und Riten und keine Institutionen“ (Maletzke ebd.: 30). Damit ist klargestellt: Der Wortbestandteil „Masse“ im Terminus Massenkommunikation ist im Sinn des dispersen Publikums zu verstehen.

      Kommunikation kann allerdings nicht ohne ein Medium stattfinden – dies wurde


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