Die UNO. Reinhard Wesel
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Die UNO
Aufgaben und Arbeitsweisen
UVK Verlag München
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ePub-ISBN 978-3-8463-5292-2
1. Einführung: „Die UNO“
„Die UNO“ gibt es nicht!
Im Geist von des Sophisten Gorgias’ Essay Über das Nicht-Seiende ist über sie zu sagen:
1 die UNO existiert nicht;
2 wenn die UNO existieren würde, wäre sie nicht begreiflich;
3 wenn die UNO begreiflich wäre, würde sie nicht zu vermitteln sein;
4 wenn die UNO vermittelbar wäre, würden dies kein Fernsehsender und erst recht kein Blog bringen.
1.1 Was ist „die UNO“?
Was ist „die UNO“ – und was nicht? Erst einmal muss diese Frage geklärt werden.
Dabei helfen kann eine klassische Antwort auf die verwandte Frage: Wozu gibt es denn die Vereinten Nationen – in diesem Buch meist nur „UNO“ genannt – überhaupt?
This organization is created to prevent you from going to hell.
It isn’t created to take you to heaven.
Diese Organisation wurde geschaffen, um Euch davor zu bewahren, zur Hölle zu fahren.
Sie wurde nicht gemacht, um Euch in den Himmel zu bringen.
Henry Cabot Lodge Jr., amerikanischer Politiker und 1953-1960
Ständiger Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen
Der Bezug auf Himmel und Hölle ist so abwegig nicht, wenn es um die Vereinten Nationen geht. Keine große politische Institution außer der katholischen Kirche wurde je mit so vielen Heilshoffnungen und Verwünschungen bedacht wie diese erste funktionierende „Weltorganisation“. Schon ihr erfolgloser Vorgänger, der Völkerbund, war an seinen realen Möglichkeiten und Machtmitteln gemessen völlig überfrachtet worden mit Erwartungen, die er von vornherein nicht erfüllen konnte.
Der Völkerbund war ein Produkt des Ersten Weltkrieges, die Vereinten Nationen sind im Zweiten Weltkrieg aus ihm heraus entstanden. Aus der verstörenden Erfahrung dieses Krieges wuchsen ihr früh als Garantin des Weltfriedens und Agentin des allgemeinen Fortschritts der Menschheit symbolpolitische Funktionen zu, die mehr zu einem Bittgottesdienst passen als zu einem kontrollierten Mechanismus zum Ausgleich nationaler Interessen oder zur zwischenstaatlichen Konfliktaustragung. Das mag zum einen in naiv idealistischer Friedenssehnsucht gründen oder zum andern scheinheilig zu frommen Ersatzhandlungen und zu zynischer Manipulation funktionalisiert worden sein – immer noch glauben viel mehr Menschen – auch Journalisten und Politiker – über die UNO als dass sie wissen.
Die gängigen Vorstellungen über „die UNO“ in der Öffentlichkeit schwanken zwischen
der vagen, aber zählebigen Idee oder kontra-faktischen Meinung, sie sei eine Art „Weltregierung“, und
der abgeklärt-skeptischen Einsicht, sie sei lediglich eine institutionalisierte „permanente Botschafterkonferenz“.
Oft werden überzogene Erwartungen an „die UNO“ zumindest implizit gehegt und gepflegt: Sie soll jedes irgendwie denkbare politische, soziale und kulturelle Problem erkennen, klären, aufgreifen und lösen. Weil das fast so oft nicht so recht funktioniert, erhebt sich leicht enttäuschte Pauschalkritik – und über das „Versagen der UNO“ wird in der Medien-Öffentlichkeit meist sehr undifferenziert und weit entfernt von der Materie schwadroniert und geleitartikelt; zum Beispiel
wird „der UNO“ gerne vorgeworfen, sie sei untätig, unfähig und ineffizient – und das auch von denselben Leuten, die ungeachtet möglichen besseren Wissens irreale Erwartungen geschürt haben;
ist häufig in den USA, aber auch bei uns der pauschale Vorwurf zu hören, „die UNO“ sei zu teuer und letztlich Verschwendung – dagegen hilft auch der Hinweis wenig, dass pro Kopf der Weltbevölkerung für das ganze UN-System jährlich weniger als 2 US-Dollar aufgewendet werden, für Rüstung aber weit über 150 US-Dollar;
beschwören meinungsstarke Gegner multilateraler Politik, wieder besonders in den USA, gerne die Gefahren, die von „der UNO“ als einer Weltverschwörung oder gar einer sich Allmacht anmaßenden „Weltregierung“ ausgingen;
versteht die bei uns gängigere weniger absurde Variante „die UNO“ als hoffnungsvolles Weltregierungs-Projekt, was aber als solches dann versagt und enttäuscht.
„Die UNO“ muss entmystifziert werden gemäß der banalen Einsicht, dass sie weder himmlisch noch höllisch, sondern einfach weltlich, d.h. politisch funktioniert. Man muss unterscheiden – und sich entscheiden – zwischen
der wohlfeilen Unart, ohne hemmende Rücksicht auf Sachverhalte über „die UNO“ zu reden, um Weltsichten und Projektionen auszudrücken, die mit der konkreten internationalen Organisation nichts oder nicht viel zu tun haben, und
dem anspruchsvollen Versuch, die UNO als komplexes Phänomen und vielschichtigen Prozess zu betrachten und zu verstehen.
Beispiele von Missverständnissen: „Die UNO“ als Welt-Instanz oder Sündenbock?
Süddeutsche Zeitung vom 13.09.1999, Leserbrief zur Kirchensteuer (Hervorhebungen R.W.):
„Diese Situation ist so, als gäbe es für einige Bürger nicht die Gleichheit vor dem Gesetz und als existiere nicht die Rechtsschutzpflicht des Staates. Diese ist unter anderem auch in der UN-Charta festgelegt und damit höher im Rang als die entsprechenden Kirchenartikel des Grundgesetzes.“
Ein Kämpfer gegen die Kirchenmacht ruft die Autorität der Charta der höheren Instanz UNO an.
Süddeutsche Zeitung vom 22.02.2018, Kommentar zum Syrien-Krieg:
Unter der Überschrift „Das brutale Versagen der Vereinten Nationen“ im Text: „Während Menschen von Bomben zerrissen werden, blockiert die Vetomacht Russland den UN-Sicherheitsrat. Doch die Weltgemeinschaft ist nicht so ohnmächtig wie sie tut.“
Das passt nicht zusammen: der Vorwurf des „brutalen Versagen“ und die Feststellung der Verweigerung einer „Vetomacht“, die ja gerade dadurch definiert ist, dass sie „die UNO“ blockieren kann; die angesprochene nicht ohnmächtige Handlungsalternative ist fiktiv.
Was also ist die UNO?
Die UNO ist historisch gesehen ein mühsam und nur dank vieler fragwürdiger Kompromisse ausgehandeltes Kriegsergebnis; die schlimmsten Massenmörder des 20. Jahrhunderts waren auf ihre Weise Paten der Vereinten Nationen: Hitler als Kriegsfeind ihrer Allianz, Stalin als Alliierter und Mitgründer.
Der politische Prozess der Ausarbeitung und Aushandlung der Charta der Vereinten Nationen
verarbeiteten die