Die Grenz- und Asylpolitik der Europäischen Union. Dr. Domenica Dreyer-Plum

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Die Grenz- und Asylpolitik der Europäischen Union - Dr. Domenica Dreyer-Plum


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nach Brüssel schieben zu können. In dieser Lesart wird das two-level-game als bewusstes blame-shifting analysiert. Demnach engagierten sich die Justiz‑ und Innenminister für eine teilweise Verlagerung ihrer Ressorts auf die europäische Ebene, um unliebsame Entscheidungen und die negativen Reaktionen darauf ebenfalls auf die europäische Ebene zu verschieben (so argumentiert: Guiraudon 2000, ähnlich: Parkes 2010, anders: Kaunert und Léonard 2012, Ripoll Servent und Trauner 2014, Trauner und Ripoll Servent 2016). Doch ist diese Erklärung hinreichend? Immerhin beinhaltet die Verlagerung auf europäische Ebene das erhebliche Risiko, politische Entscheidungen umsetzen zu müssen, die den nationalen Interessen widersprechen.

      Im Liberalen Intergouvernementalismus ist dieser stufenweise Prozess der Effizienz europäischer Entscheidungen geschuldet und der Möglichkeit nationaler Regierungen, durch gemeinsame Politik auf europäischer Ebene gegenüber nationalen politischen Akteuren mehr Spielraum zu erlangen bzw. politische Verantwortung in unliebsamen Fragen zu delegieren.

      2.3 Zusammenfassung und Literatur

      Das Wichtigste in Kürze: Historische Grundlagen

      Kernmotiv der europäischen Integration war der gemeinsame Markt. Als Kernprinzipien dieses Gemeinsamen Marktes fungierten die vier Grundfreiheiten (Warenverkehr, Personen, Dienstleistungen, Kapital). Wenn Waren, Personen und Dienstleistungen an der Grenze nicht halt machen sollen, dann brauchte es über kurz oder lang eine Überwindung der physischen Grenzen, die bisher an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten die Ein‑ und Ausreise von Personen und Waren kontrollierten. Eine solche Abschaffung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten führte dazu, dass die Außengrenzen einzelner Mitgliedstaaten zu Außengrenzen aller Mitgliedstaaten des Wirtschaftsraums wurden. Daraus erwuchs eine funktionale wie politische Notwendigkeit zur Übereinkunft über Krtierien bei Grenzschutz, Einreise- und Asylgewährung.

      Die Grenz‑ und Asylpolitik wuchs aus diesen Wirkungszusammenhängen im Zuge der Schengener Kooperation in den Rechtskorpus der Europäischen Union hinein. Mit dem Ziel der Personenfreizügigeit im Gemeinsamen Markt gab es bereits seit den Gründungsverträgen von (1958) ein Vertragsziel, das die Abschaffung der Grenzkontrollen an den Grenzen der teilnehmenden Staaten anvisierte. Doch erst mit der Unterzeichnung des Schengener Abkommens im Juni 1985 wurde dieses Ziel Wirklichkeit. Zunächst schafften Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten die Kontrollen an ihren gemeinsamen Grenzen 1995 ab. Dadurch entwickelte sich ein gemeinsamer Raum ohne Binnengrenzen mit gemeinsamen Außengrenzen, weshalb Absprachen zum Umgang mit Einreise, Kurzaufenthalten und Asylfragen notwendig wurden. So entstanden Folgeabkommen, wozu das Dubliner Übereinkommen von 1990 zählte, das die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Asylanträge regelte und dessen Kriterien im Kern bis heute fortgeführt werden.

      Der Vertrag von Maastricht (1993) überführte erste innen‑ und justizpolitische Bereiche in das Gemeinschaftsrecht und definierte Asylpolitik als gemeinsames Interesse. Mit dem Vertrag von Amsterdam (1999) wurden zum ersten Mal konkrete Mandate zur Rechtsetzung in der europäischen Innen- und Justizpolitik formuliert. Der Vertrag von Lissabon (2009) bestätigte dieses Mandat durch eine Ausweitung der Aufträge zur Rechtsetzung durch die europäischen Organe in den Bereichen Grenze, Asyl und Einwanderung.

      Literatur zum Weiterlesen:

       Zur europäischen Integrationsgeschichte:

      DINAN, DESMOND. 2014. Europe Recast: A History of European Union (Basingstoke: Palgrave Macmillan:).

      EPPLER, ANNEGRET und HENRIK SCHELLER. 2013. Zur Konzeptionalisierung europäischer Desintegration: Zug- und Gegenkräfte im europäischen Integrationsprozess (Baden-Baden: Nomos).

      SCHORKOPF, FRANK. 2015. Der Europäische Weg. Grundlagen der Europäischen Union, 2. Auflage (Tübingen: Mohr Siebeck:).

      VAN MIDDELAAR, LUUK. 2016. Vom Kontinent zur Union: Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa (Berlin: Suhrkamp).

      WEIDENFELD, WERNER. 2013. Die Europäische Union: Akteure, Prozesse, Herausforderungen (München: Fink).

       Zur Einführung in Theorien europäischer Integration:

      BIELING, HANS-JÜRGEN und MARIKA LERCH (Hrsg.). 2012. Theorien der europäischen Integration (Wiesbaden: Springer VS).

      GRIMMEL, ANDREAS und CORD JAKOBEIT. 2009. Politische Theorien der Europäischen Integration: Ein Text- und Lehrbuch (Wiesbaden: VS, Verlag für Sozialwissenschaften).

      LEUFFEN, DIRK, BERTHOLD RITTBERGER und FRANK SCHIMMELFENNIG (2012). Differentiated Integration. Explaining Variation in the European Union (Basingstoke: Palgrave Macmillan).

      ROSAMOND, BEN. 2000. Theories of European integration (Basingstoke: Macmillan).

       Zur Einführung in europäische Politikprozesse:

      BUONANNO, LAURIE und NEILL NUGENT. 2013. Policies and Policy Processes of the European Union (Basingstoke: Palgrave Macmillan).

      CINI, MICHELLE und NIEVES PÉREZ-SOLÓRZANO BORRAGÁN (HRSG.). 2019. European Union Politics, 6. Auflage (Oxford: Oxford University Press).

      CRAIG, PAUL und GRÁINNE DE BÚRCA (HRSG.). 2011. The Evolution of EU Law (Oxford: Oxford University Press).

      HIX, SIMON und BJØRN HØYLAND (HRSG.). 2011. The Political System of the European Union, 3. Auflage (Basingstoke: Palgrave Macmillan).

      WALLACE, HELEN, MARK A. POLLACK und ALASDAIR YOUNG (HRSG.) 2014. Policy-Making in the European Union, 7. Auflage (Oxford: Oxford University Press).

       Schengenraum – Geschichte und Politik:

      BOSSONG, RAPHAEL und TOBIAS ETZOLD. 2018. Die Zukunft von Schengen, SWP Aktuell 53 (Stiftung für Wissenschaft und Politik), S. 1-8.

      PEERS, STEVE. 2013. The Future of the Schengen System (Stockholm: Sieps).

      ZAIOTTI, RUBEN. 2011. Cultures of Border Control: Schengen and the Evolution of Europe’s Frontiers (Chicago: University of Chicago Press).

       Fachzeitschriften mit aktuellen Publikationen zum Thema:

      European Constitutional Law Review, European Journal of Political Research, European Law Journal, European Societies, integration, Journal of Common Market Studies, Journal of Contemporary European Research, Journal of European Integration, Journal of European Integration History, Journal of European Public Policy, West European Politics

      3 Grenzpolitik der Europäischen Union

      Eine Grenzpolitik der Europäischen Union gibt es streng genommen nicht, weil die Europäische Union nicht über die ausschließliche Zuständigkeit in der Grenzpolitik verfügt. Die GrenzpolitikGrenzpolitik zählt zur Innenpolitik eines Landes. Auf europäischer Ebene wird dieser Politikbereich mit der Umschreibung Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bezeichnet. Im Vertrag von LissabonVertrag von Lissabon (2009) wird der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als ein politischer Hauptbereich bezeichnet, in dem sich die Europäische Union die Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten teilt (Art. 4 Abs. 2 lit. j. AEUV).

      Bei geteilter Zuständigkeit agieren die europäischen Institutionen nur insoweit es die Vertragsziele vorgeben bzw. politische Ziele im Politikbereich nur durch europäische Standards verwirklicht werden können. Hier greift das SubsidiaritätsprinzipSubsidiarität:

      „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.“ (Art. 5 Abs. 3 EUV)

      Die genauen Ziele zur Erreichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des RechtsRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werden im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 67 genannt:

      (1)


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