Oberst von Huhn bittet zu Tisch. Axel Hacke
Читать онлайн книгу.Paprikaschoten, Involtini und das Halchfleisch sorgfältig befühlt habe, bevor er sie zubereitete.
Jedenfalls erinnert mich das Ganze an das Foto eines mit Kreide beschriebenen Schildes vor einer Bäckerei, das man mir mal schickte. Dort stand: »Das bewußte Frühstück-Brötchen Mit weniger Fett – Fett reduzierter Wurst u. Käse«.
Hier sind es nun nicht mehr wir, die etwas fühlen, hier ist es ein Brötchen, das über Bewusstsein verfügt. Aber wer, um Himmels willen, brächte es fertig, ein »bewußtes Brötchen« zu essen?! Hier geht es doch nicht mehr um ein »gefühltes Brötchen«, also um etwas, das wir – mag es nun ein Brötchen sein oder nicht – jedenfalls doch als Brötchen sehen. Hier ist es das Brötchen, das über ein Bewusstsein seiner selbst verfügt, sich also persönlich als Brötchen empfindet – und zwar noch im Zustand seines Brötchenseins. Das ist etwas anderes, als einen Kalbsbraten zu essen, der einmal ein Kalb war. Hier nehmen wir quasi ein noch lebendes Wesen zu uns.
Vor vielen Jahren wurden übrigens in einem Lebensmittelgeschäft in dem italienischen Dorf, in das ich regelmäßig fahre, »beleckte Brötchen« angeboten, das muss man sich einmal vorstellen: dass ein bewusstes Brötchen vor dem Verkauf nicht nur von Lebens mittelhändler fingern befühlt, sondern auch von einer Lebensmittelhändlerzunge beleckt wird!
Herr G. aus Bachern war vor Jahren in Bardolino am Gardasee. Überall im Hafen sah er Hinweisschilder, das Anlegen von Booten sei verboten. Einmal las er aber auch eine zusätzliche Mahnung: »Ungenehmigt parkende Boote werden abgeschlegt.«
Eigentlich nett, fand G., dass man sein Boot nur ohne Erlaubnis anlegen müsse, um es nach einem kleinen Spaziergang komplett abgeschlegt wiederzufinden. Aber seltsam doch andererseits, wozu italienische Zungen fähig und bereit sind …
Noch einige weitere Worte zu den Vorspeisen.
Es lässt sich feststellen, dass unter den Entree-Spezialisten der Weltküche Avantgardisten von Rang arbeiten, denken wir nur an jenen Kollegen, der in San Antonio auf Ibiza tätig ist und dessen Speisekarte Frau B. aus Riemerling ausfindig machte. Gleich als erste kleine Speise unter den »Appetitanregern« finden wir dort »Käse und Frühstücksspeck über Kartoffelschalen montiert, begleitet mit sauerer Creme«.
Nun ist ja das Verb »montieren« auch in der Küche gebräuchlich, allerdings eher im Zusammenhang mit dem Aufschlagen von Saucen. Beim Montieren von Käse und Frühstücksspeck über Kartoffelschalen hingegen denkt man an die in Werkstätten übliche Montage, an ein Verschrauben, Verlöten und Zusammennieten, und mir fällt sofort der »Pfeffer-Wagenheber-Käse« ein, der nach Auskunft von Frau K., die als Reisebegleiterin in den USA lebt, unter den »Aperitifs« der Karte des Quality Inn des Mountain Ranch Resorts in Williams/Arizona auftauchte, gleich um die Ecke des Grand Canyons, leider nur bis etwa ins Jahr 2008.
Zum Wagenheber-Käse würde als Wein ein »Sattelschlepper libies weiss« aus einer Pizzeria in Montefiascone am Lago di Bolsena passen. Den gäb’s auch in Rot, schreibt Herr T. aus Radolfzell.
Was dann unter den unter dieser Menüliste angebotenen »Chilitos jalapeños peniert« zu verstehen ist, nun ja, das geht vielleicht etwas zu weit, nicht wahr? Wir kennen von der Arbeit am Herd das Verbum »panieren«, aber ob wir um das vom Koch vorgenommene »Penieren« wirklich wissen wollen und ob wir eine »penierte« Speise bestellen wollen würden? Ich zweifle.
Bei der Verarbeitung von Rohstoffen ist unter den Vorspeisen-Köchen neben das Montieren und Penieren in den vergangenen Jahren offensichtlich auch das Rauchen getreten: Herr S. aus Wörrstadt brachte aus
Ist das nicht wunderbar?! Dass der Koch die eingekauften Fische zunächst selbst raucht und dann dieses Gerauchte zum Kochen verwendet?!
Mich erinnert das an eine Mail, die ich einmal von Frau J. erhielt. Ihre Familie habe, berichtete sie, auf dem Grundstück einen Räucherofen besessen, den der Großvater befeuerte und dessen Asche er in einen Eimer zu füllen pflegte. Eines Tages sei, schrieb J., vorne im Haus ihre Tante mit diesem Eimer erschienen und habe auf die Frage nach dessen Inhalt geantwortet: »Das ist die Asche vom Opa, hinten vom Räuchern.«
Eine Enttäuschung war hingegen, was meine liebe Freundin A., immer an kulinarischer Avantgarde interessiert, in Budapest erlebte. Auf der Karte stand »Ungarischer Vorspeisenteller, neu gedacht«. Es handelte sich dann aber lediglich um eine rote und eine grüne Paprika, eine Scheibe Paprikawurst, dazu eine Art Paprikafrischkäse. Vielleicht sei noch eine Gurke dabei gewesen, sagt A., sie wisse es nicht mehr genau. Jedenfalls war nichts daran neu, auch nicht neu gedacht. Es war alte ungarische Vorspeisenschule.
Bevor wir zum Höhepunkt dieses Kapitels kommen, hier einige weitere Beispiele für einfallsreiche Entrees aus der großen weiten Welt der Vorspeisen.
Herr K. aus Gilching sah vor vielen Jahren in einem türkischen Lokal in Köln-Mülheim »Muchelen mit Shane und ville Sarfe«.
Herr B. aus Aystetten genoss in Los Llanos auf La Palma »Salat der Befestigungsklammer«.
Schließlich: »Makrone gebratener Stopfleber tunkt Honigkuchen aus« stammt aus einem Lokal in Cancale in der Bretagne, eines der innovativsten Restaurants überhaupt, leider ist mir sein Name entfallen – aber die Fotos der Speisekarte liegen hier, ich war nämlich selbst dort und habe sie gemacht. Und wir werden in diesem Buch noch mehr davon lesen.
Nun aber zum Gipfel modernen Vorspeisenwesens überhaupt.
Frau H. aus Mainz schickte mir eine Karte, die, so schrieb sie, vor Jahren vor den ausgesuchten Gästen einer Werkseröffnung einer großen deutschen Autofirma in Russland auf den Tischen lag.
Dieses Menü wurde eröffnet mit einem Gericht namens »Die königliche Krabbe mit dem frischen Laub und Toast aus der französischen Leiste«, wobei uns besonders das frische Laub natürlich sofort an das Noma in Kopenhagen erinnert, von Kennern wiederholt zum besten Restaurant der Welt gekürt. Der dortige Chefkoch René Redzepi geht bei der Produktsuche gern auch in die dänischen Wälder und kommt mit Moosen und Flechten zurück, die dann auf den Tellern landen – warum also nicht auch einmal mit frischem Laub? Dass man dann aus einer französischen Leiste Toast gewinnen kann, ist überraschend, zumal die wenigsten wissen, was eigentlich eine französische Leiste ist, auch ich nicht.
Es gab aber ein Gericht in Russland, mit dem der Koch dort Redzepi weit hinter sich ließ: »Die Kollektion der Scheibchen des Roastbeefs und des Kalbfleisches Vom Gelee aus der roten Schuld«.
Dass man sich hier, vor den Gästen eines festlichen Menüs, so en passant zur »roten Schuld«, also der Hinterlassenschaft des kommunistischen Regimes in Russland, nicht nur bekannte, sondern diese Schuld auch noch in einen Bestandteil des Festmahls verwandelte, sie einkochte, gelierte und neben einer Fleischscheibchen-Kollektion drapierte, so dass die Essenden sich diese rote Schuld einzuverleiben in der Lage waren, wodurch wiederum diese Schuld einerseits in den Körpern der Essenden verarbeitet wurde, anderseits genau diese Körper kräftigte und zu neuen, hoffentlich in Schuldlosigkeit ausgeführten Taten befähigte – das hat ja eine Größe, die nicht nur weit über banales Kochen hinausgeht, sondern auch die Grenzen der Molekularküche eines Ferran Adrià überschreitet, des Katalanen vom El Bulli, der in seiner Molekularküche eigentlich keine Rohstoffe mehr nutzte, sondern nur noch Geschmacksessenzen. Und der so viele Jahre als bester Koch der Welt galt.
Hier befinden wir uns im Bereich des Happenings und der Kunst.
Verzückt sollen die Gäste in Russland die Teller abgeschlegt haben.