Wortstoffhof. Axel Hacke
Читать онлайн книгу.schrieb mir Herr K. aus München. Er hatte von der Karstadt-Filiale in Augsburg eine »Wertmarke fr den Transport von 1 Altgert« zugeschickt bekommen, versehen mit der Anmerkung: »Kleben Sie diese Wertmarke auf das zu entsorgende Gert«.
Man ahnt ja nun, wo Altgert landen wird, nicht wahr? Aber ist es nicht schnöde, den Gert, kaum dass er verbraucht ist, nur noch »das Gert« zu nennen?
Dies wenige kann man doch auch für den ältesten Gert der Welt noch tun, nämlich dass man ihn in einen anständigen Container für alte Männer wirft, wobei ich spätestens hier jetzt leider erwähnen muss: Das Geheimnis des Containers in Zell unter Aichelberg liegt im Kleingeschriebenen unter dem Wort »Männer«. Er gehört der Entsorgungsfirma von Herrn Willi Männer in Bissingen.
ANDEREMÄNNER
Jetzt mal zu einem Wort, das mir lange Zeit sehr auf die Nerven ging: Anderemänner.
Anderemänner, es reichte mir ganz schön mit Anderemänner. Wenn ich es nur hörte, Anderemänner, ich hätte in die nächste Wirtschaft rennen und mich volllaufen lassen können wie ein Fass, so zuwider war es mir. Anderemänner. Anderemänner sind die, die es anders machen als ich. Besser in jedem Fall. Anderemänner lassen ihrer Frau ein duftendes Bad ein, wenn sie gestresst ist. Massieren ungefragt, aber immer im richtigen Moment ihre Kopfhaut. Sie kochen einen Tee, wenn ihre Frau noch nicht einmal gedacht hat, dass sie einen Tee wünschen könnte, aber es gleich denken wird – dann steht der Anderemänner-Tee schon da. Anderemänner sind von großer emotionaler Präsenz, und wenn sie es gerade einmal nicht sind, können sie mit sanfter Stimme begründen, warum nicht. Anderemänner kommen auf Gedanken, die mir nicht kommen, jedenfalls nicht im richtigen Moment. Anderemänner sind der Wahnsinn, die ganze Welt scheint voll von ihnen zu sein, sie schlafen nie, ihre Energie ist unerschöpflich, und falls sie doch erschöpflich ist, lassen sie es sich nicht anmerken, oder sie weisen zum rechten Zeitpunkt (wenn es also einer Frau gerade überhaupt nichts ausmacht) auf diese momentane und bald vorübergehende Erschöpflichkeit hin.
Manchmal sind Anderemänner bei uns zu Besuch. Freund D. zum Beispiel kam mit seiner jungen Frau zum Kaffeetrinken vorbei, ihren winzigen Sohn hatten sie im Tragekörbchen bei sich, und wenn der winzige Sohn einmal auch nur winzig wenig wimmerte, stand D. sofort auf, um die noch gar nicht geäußerten und vielfach auch gar nicht äußerbaren Wünsche des Kleinen zu erfüllen. Ein Fläschchen. Ein Nuckinucki. Ein Windelchen. Ein Streichelchen.
Und wenn D. sich dann wieder setzte, ging er an seiner Frau vorbei und strich ihr mit zärtlicher Gebärde über den Kopf. Und ich wusste schon, was kommen würde, ich betrachtete D. mit flackerndem Blick, aber er machte einfach weiter.
Kaum waren sie gegangen, rief Paola: »Hast du gesehen, wie er ihr immer über die Haare strich! Ach, wenn du doch nur einmal …«
Jahrzehntelang kannte ich nur einen Wunsch: einmal wie Anderemänner sein. Und neulich erfüllte es sich, dieses Sehnen.
Da waren wir mit Paul und seiner Frau Anna zum Abendessen verabredet, in einem Restaurant. Anna und Paul haben ein Kind, das ist anderthalb Jahre alt, und wir haben auch so ein Kind, das anderthalb ist, Sophie heißt es. Aber für diesen Abend hatten wir Babysitter engagiert, Anna und Paul einen und Paola und ich auch einen. So konnten wir eben im Restaurant sitzen und uns in aller Ruhe gegenseitig von großen Müdigkeiten berichten, den verschiedenen Müdigkeitsformen und -stufen von Eltern, die jede Nacht aufstehen müssen, um Fläschchen zu bereiten oder sonstwie nett zu sein zu ihrem Baby.
Und plötzlich sagte Paola, seit einer Weile, seit sie nämlich zu und zu müde geworden sei vom nächtlichen Aufstehen und stundenlang schon gar nicht mehr einschlafen könne, wenn sie einmal nachts aufgestanden sei, seitdem also stünde ich (ihr Mann nämlich) nachts auf, um Fläschlein zu geben und Windilein zu wechseln und Dutzidutzi zu machen. Und sogar erhöbe ich mich um halb sieben schon wieder, um dem Luis sein Frühstück zu machen und dann ins Büro zu gehen – nur damit sie einige Monate lang mal wieder normal schlafen könne. Das sagte sie in die Gesichter Annas und Pauls hinein.
Und ich sah Interesse in den Augen Annas, und in denen ihres Mannes erblickte ich etwas wie, nun ja, war es Angst? War es Hass?
Jedenfalls wusste ich: In diesem Moment war ich Anderemänner für ihn und würde es noch eine Weile bleiben, und, wie soll ich sagen: Es war ganz schön, Freunde, es war ganz okay.
ANREDE
»Meine gefühlten Herzgrüße und Empfehlungen« – so beginnt eine E-Mail, die Professor S. in Tübingen eines Tages auf seinem Bildschirm fand, abgesandt von einem Absolventen der Universität Madras/Indien, der sich bei ihm um einen Posten bewarb, »ungeachtet der Tatsache, dass ich in ganz eine bequeme Position in der gegenwärtigen Universität gelegt werde«.
»Ist er schon deutscher Beamter?«, fragt dazu S.
Meine gefühlten Herzgrüße: eine ganz wunderbare Grußformel, wie ich finde, geeignet sowohl für Anfang wie für Ende von Briefen, wobei ich statt des ewigen »Mit freundlichen Grüßen« auch jenen Briefschluss in Erwägung ziehen würde, den mir Frau S. aus dem Münchner Fremdenverkehrsamt überließ, ein schönes und rares Stück aus Belgien: »Vorwärtshörfähigkeit von Ihnen bald schauend, danken wir Ihnen für Ihre Hilfe und Mitarbeit.«
Vorwärtshörfähigkeit – das haben viel zu wenige Menschen. Rar sind schon jene, die voraus schauend sind, aber vorwärts hörend? Ich wüsste niemand zu nennen. Rätselhaft bleibt, wie man eine Vorwärtshörfähigkeit schaut. Aber gut.
Alternativ kann ich anbieten, was Herr Dr. H., seines Zeichens Philologe in München, mir von einem seiner Kollegen in Weimar berichtete: Der erhielt eines Tages das Schreiben eines japanischen Germanisten, welches, so H., in die »unübertreffliche Formulierung« mündete: »Mit kochendheißem Dankgebet.«
Ein bisschen spezieller, weil persönlicher ist, was ich einem Schreiben von Leser T. aus Waldshut entnehme, der in seiner Familie vor Jahren eine französische Austauschschülerin zu Gast hatte, Anne aus Blois war das. Kaum nach Blois zurückgekehrt, schrieb Anne einen Brief, dankte für den angenehmen Aufenthalt und schloss mit einem besonderen Gruß an die Tochter: »Und viele Nordwinde für Petra.« Ein Rätsel. Bis man im Lexikon nachschlug und entdeckte, dass Anne wohl hatte schreiben wollen: »Und viele Küsse für Petra«. Kuss bzw. Wangenkuss heißt bise im Französischen, schlägt man aber unter bise nach, findet sich als erste deutsche Bedeutung »Nordwind«, dann erst »Wangenkuss«. Aber ist ein Nordwind – zumal in einem heißen Sommer – nicht ein ganz wunderbarer Gruß aus der Fremde?
Bei zu viel Nordwind kann ein Brief allerdings auch enden wie der, den vor Jahren eine meiner Leserinnen bekam. Er war unterzeichnet mit den Worten »Nach Diktat vereist«. Kaum hatte ich davon in einer Lesung dem Publikum berichtet, meldete sich Frau F. aus Köln, die den Abschiedsbrief einer aus der Firma scheidenden Kollegin zitierte. Er endete so: »Damit verbleiche ich mit freundlichen Grüßen.«
ANSCHLUSSMOBILITÄT
Was ich an der Deutschen Bahn immer besonders geliebt habe, war, dass sie eine eigene, ganz unverwechselbare Sprache hat (→ Fahrgastwunsch, Übergangsreisender), die einem immer neu zu denken gibt. In der es Wörter gibt wie »Anschlussmobilität«, das ich vor Jahren in der Bahn-Zeitschrift mobil entdeckte.
Was damit gemeint ist?
Einfach, dass man auch nach Verlassen des Zuges nicht stehen bleibt, sondern sich weiter bewegt, zum Beispiel mit Call a Bike oder DB Carsharing, ihrerseits ganz neue Wörter aus dem Bahnsprech. Man kann natürlich auch weiter gehen. Oder sich von der Ehefrau mit dem Auto abholen lassen, gute alte Formen der Anschlussmobilität, für die wir aber bisher einfach kein Wort hatten. Solche Wörter erfindet die Bahn für uns, da ist sie ganz groß, das macht ihr keiner nach.
Leser T. schickte mir eine E-Mail, in der er beschrieb, was er auf der Anzeigetafel las, als er von München aus mit dem ICE nach Mannheim fahren wollte: »Zug verkehrt in umgekehrter Zugreihung.«
Das